Beitrag

Dieselfälle: Ersatzfähigkeit von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und Deliktszinsen

1. Deliktszinsen nach § 849 BGB können nicht verlangt werden, wenn der Geschädigte für die Hingabe seines Geldes im Wege des Leistungsaustauschs eine in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbare Gegenleistung erhält.

2. Für die Höhe des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruches ist der Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts mit der außergerichtlichen Tätigkeit maßgeblich. Danach gezogene Nutzungen bleiben bei der Bestimmung des Gegenstandswerts auch im Außenverhältnis außer Betracht.

(Leitsätze des Verfassers)

BGH, Urt. v. 2.11.2021 – VI ZR 731/20

I. Sachverhalt

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung auf Schadenersatz in Anspruch, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des von ihm erworbenen Pkw Audi A4 Avant. In dem Fahrzeug ist ein Dieselmotor des Typs EA189 verbaut, in dessen Motorsteuerung seitens der Beklagten eine Software zur Abgassteuerung installiert wurde, die über zwei unterschiedliche Betriebsmodi zur Steuerung der Abgasrückführung verfügt. Der „Modus 1“ ist im Hinblick auf den Stickoxidausstoß optimiert. Er wird auf dem Prüfstand für die Bestimmung der Fahrzeugemissionen nach dem maßgeblichen Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) automatisch aktiviert und bewirkt eine höhere Abgasrückführungsrate, wodurch die gesetzlich geforderten Grenzwerte für Stickoxidemissionen eingehalten werden. Im normalen Fahrbetrieb ist der „Modus 0“ aktiviert, der zu einer geringeren Abgasrückführungsrate und zu einem höheren Stickoxidausstoß führt.

Der Kläger begehrte u.a. die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten, die Feststellung des Annahmeverzuges der Beklagten sowie Deliktszinsen aus der Kaufpreissumme seit Zahlung des Kaufpreises bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit.

Das Landgericht bejahte dem Grunde nach das Bestehen eines Schadenersatzanspruches aus §§ 826, 31 BGB, allerdings übersteige der Wert der gezogenen Nutzungen den Kaufpreis, so dass der Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises und damit auch das hiermit im Zusammenhang stehende Begehren auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten unbegründet seien. Es bestehe allerdings ein Anspruch des Klägers auf Verzinsung des von ihm gezahlten Kaufpreises ab dem Zeitpunkt der Kaufpreiszahlung bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit nach §§ 849, 246 BGB.

II. Entscheidung

Der BGH sah es anders: Sowohl die Revision der Beklagten als auch die Anschlussrevision des Klägers hatten Erfolg.

Deliktszinsen seien nach Auffassung des BGH von der Beklagten nicht zu zahlen. Denn Deliktszinsen nach § 849 BGB könnten nicht verlangt werden, wenn der Geschädigte – wie hier – für die Hingabe seines Geldes im Wege des Leistungsaustauschs eine in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbare Gegenleistung erhalte. In diesem Fall kompensiere die tatsächliche Nutzbarkeit der Gegenleistung die Nutzungsmöglichkeit des Geldes.

Bei der Berechnung der dem Geschädigten zustehenden und durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten sei grundsätzlich auf die Kosten abzustellen, die für den Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig gewesen seien. Kosten, die dadurch entstanden, dass der Geschädigte einen Anwalt zur Durchsetzung eines unbegründeten Anspruchs beauftrage, könnten dem Schädiger nicht mehr als Folge seines Verhaltens zugerechnet werden, weshalb bei der Berechnung der dem Geschädigten zu erstattenden vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten im Verhältnis zum Schädiger grundsätzlich der Gegenstandswert zugrunde zu legen sei, der der berechtigten Schadensersatzforderung entspreche.

Hinsichtlich der Höhe der objektiv begründeten Hauptforderung sei nicht nur darauf abzustellen, ob die den Anspruch einschließlich der Anspruchshöhe begründenden Voraussetzungen erfüllt seien und der Anspruch „zunächst begründet“ sei, sondern auch darauf, ob und inwieweit der Anspruchsgegner mit Einwendungen oder Einreden gegen den Anspruchsgrund oder die Anspruchshöhe Erfolg habe.

Zur Bestimmung des Gegenstandswerts für die Nebenforderung sei daher etwa ohne Belang, ob eine auf § 254 BGB gestützte Einwendung vor oder nach der Beauftragung des Rechtsanwalts oder der Geltendmachung des Anspruchs durch den Geschädigten erhoben werde und ob der Geschädigte bis zur Erhebung der Einwendung davon ausgehen durfte, die von ihm ermittelte Schadenshöhe sei zutreffend. Beispielhaft verweist der BGH hier auf den Fall eines zulässigen Verweises auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit und die damit verbundene Beschränkung des Anspruchs auf Ersatz fiktiver Reparaturkosten oder aber auf den Fall des Verweises des Geschädigten auf ein höheres Restwertangebot nach Beauftragung des Rechtsanwalts. Möglich sei dies, weil die Angaben des Sachverständigen in seinem Gutachten zur Höhe der voraussichtlich anfallenden Reparaturkosten keinesfalls stets verbindlich den Geldbetrag bestimmten, den der Geschädigte für die Reparatur benötige.

Etwas anderes gelte aber, wenn eine bei Beauftragung des Rechtsanwalts objektiv berechtigte Forderung durch später eintretende Umstände in ihrem Bestand reduziert werde. Denn solche Umstände änderten nichts daran, dass die Forderung bei Beauftragung des Rechtsanwalts objektiv berechtigt gewesen sei. Vor diesem Hintergrund komme es vorliegend im Hinblick auf den geltend gemachten materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch nicht darauf an, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die Hauptforderung zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz aufgrund der Anrechnung der Vorteile der Fahrzeugnutzung gemindert worden sei. Vielmehr sei der Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts mit der außergerichtlichen Tätigkeit maßgeblich und danach gezogene Nutzungen blieben bei der Bestimmung des Gegenstandswerts auch im Außenverhältnis außer Betracht.

III. Bedeutung für die Praxis

Eine weitere Entscheidung zu den Dieselfällen, in welcher Grundsatzfragen geklärt worden sind. Auf Aktivseite dürfte die Frage der Berechnung der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten nicht nur, aber insbesondere auch bei den Dieselfällen von Bedeutung sein. Der nicht rechtsschutzversicherte Mandant, aber auch die Rechtschutzversicherer werden sich über eine möglichst hohe Erstattung der verauslagten außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren freuen, vorausgesetzt, es wurde überhaupt noch für das außergerichtliche Verfahren Kostenschutz gewährt. Unter Berücksichtigung der laut dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) bereits im Mai 2021 überschrittenen Milliardengrenze im Hinblick auf das Schadenvolumen bei den Dieselfällen sind möglichst hohe Erstattungsansprüche gerne gesehen.

RA/FA VerkehrsR Markus Schroeder, Velbert

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…