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Kostentragung nach Einstellung des Bußgeldverfahrens wegen Verjährung

Ist das Verfahrenshindernis der Verjährung bereits eingetreten, bevor eine Hauptverhandlung stattgefunden hat, ist für die Anwendung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO kein Raum.

(Leitsatz des Verfassers)

LG Magdeburg, Beschl. v. 6.10.2021 – 28 Qs 31/21

I. Sachverhalt

Gegen die Betroffene ist ein Bußgeldbescheid wegen Nichteinhaltens des erforderlichen Mindestabstands ergangen. Dagegen hat die Betroffene durch ihren Verteidiger Einspruch eingelegt. Die Bußgeldstelle hat die Sache über die Staatsanwaltschaft dem AG vorgelegt. es wurde Hauptverhandlung anberaumt. Die Termine wurden dann mehrfach – zumeist auf Antrag des Verteidigers – verlegt, zuletzt auf den 29.6.2021. Zwischenzeitlich wurde zudem ein Sachverständigengutachten zur Ordnungsmäßigkeit der Abstandsmessung eingeholt. Nachdem durch die zuständige Richterin dann festgestellt wurde, dass in der Sache inzwischen Verjährung (§ 31 OWiG) eingetreten war, wurde der Hauptverhandlungstermin aufgehoben.

Das AG hat dann das Verfahren gemäß 206a StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG wegen der Verjährung auf Kosten der Staatskasse eingestellt. Die notwendigen Auslagen der Betroffenen wurden der Staatskasse nicht auferlegt (§ 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Eintritt der Verjährung aus § 31 Abs. 2 OWiG folge und sich die Kostenfolge aus der aufgrund des Gutachtens hohen Verurteilungswahrscheinlichkeit rechtfertige. Dagegen hat die Betroffene sofortige Beschwerde eingelegt. Das Rechtsmittel hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Nach Auffassung des LG waren der Staatskasse (auch) die notwendigen Auslagen der Betroffenen aufzuerlegen. Gemäß § 467 Abs. 1 StPO fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse u.a. zur Last, wenn das Verfahren gegen ihn eingestellt wird. Nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO kann das Gericht aber davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht, es aber bei Hinwegdenken dieses Hindernisses mit Sicherheit zu einer Verurteilung gekommen wäre (BGH NStZ 1995, 406). Dabei handelt es sich allerdings um eine Ausnahmevorschrift, welche eng auszulegen ist (BeckOK StPO/Niesler, 40. Ed. 1.7.2021, StPO § 467 Rn 11; KK-StPO/Gieg, 8. Aufl. 2019, § 467 Rn 10; MüKoStPO/Grommes, 1. Aufl. 2019 StPO § 467 Rn 20). Auf ein vorwerfbares Verhalten komme es nicht an (OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2015, 294).

Eine solche Schuldspruchreife könne – so das LG nach der Ansicht des BVerfG indes nur nach vollständig durchgeführter Hauptverhandlung und dem letzten Wort des Angeklagten eintreten (BVerfG NJW 1992, 1612, 1613), so dass die Vorschrift des § 467 Abs. 3 Satz 1; Nr. 2 StPO nur Anwendung finde, wenn das Verfahrenshindernis nach dem letzten Wort des Angeklagten bekannt werde (KK-StPO/Gieg, a.a.O., § 467 Rn 10a; Hilger NStZ 2000, 332). Nach insoweit anderer Ansicht des BGH (BGH NStZ 2000, 330, 331) könne eine solche Schuldspruchreife auch dann eintreten, wenn nach weitgehend durchgeführter Hauptverhandlung ein erheblicher Tatverdacht bestehe und keine Umstände erkennbar seien, die bei Fortführung der Hauptverhandlung die Verdichtung des Tatverdachts zur Feststellung der Tatschuld in Frage stellen würden.

Das LG hat diese Streitfrage offen gelassen, weil gegen die Betroffene jedenfalls keine Hauptverhandlung vor dem AG stattgefunden habe. Das Verfahrenshindernis der Verjährung sei hier bereits eingetreten, bevor eine Hauptverhandlung stattgefunden hatte, sodass eine für die Anwendung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO erforderliche Schuldspruchreife sowohl nach der Ansicht des BVerfG als auch des BGH nicht vorliege. Soweit Seitens des AG im Rahmen seiner Beschlusses auf die hohe Verurteilungswahrscheinlichkeit aufgrund des eingeholten Gutachtens abgestellt wurde und dass sich daraus die Kostenfolge zu Lasten der Betroffenen rechtfertige, teilt das LG diese Auffassung nicht. Insoweit sei nicht ausgeschlossen, dass die Betroffen das eingeholte Gutachten im Rahmen der Hauptverhandlung – eventuell erfolgreich – angegriffen hätte. Jedenfalls lasse sich eine für die Anwendung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO erforderliche Schuldspruchreife insoweit nicht herleiten.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Das Zauberwort in diesen Fällen ist die „Unschuldsvermutung“, mit der auch BVerfG und BGH argumentieren. Das BVerfG betont dazu immer wieder, dass es sich bei der in § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO eröffneten Möglichkeit, von der Erstattung der notwendigen Auslagen abzusehen, wenn der Angeschuldigte wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht, um eine Ausnahmeregelung handle. Das eingeräumte Ermessen – „kann“ – sei erst dann eröffnet, wenn das Gericht überzeugt ist, dass der Angeschuldigte ohne das Verfahrenshindernis verurteilt werden würde. Zum Verfahrenshindernis als alleinigem der Verurteilung entgegenstehenden Umstand müssen demnach weitere besondere Umstände hinzutreten, die es billig erscheinen lassen, dem Angeschuldigten oder Betroffene die Auslagenerstattung zu versagen (vgl. z.B. BVerfG NStZ 2016, 159; s. auch noch BVerfG NJW 2017, 2459; wegen weiterer Nachweise Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, Rn 772 ff.).

2. Zu der Problematik, die von AG immer wieder falsch entschieden wird, haben sich in letzter Zeit geäußert LG Berlin, Beschl. v. 18.6.2018 – 538 Qs 65/18; LG Köln DAR 2021, 416; LG Neuruppin StraFo 2021, 166; LG Stuttgart JurBüro 2018, 258 = DAR 2018, 597.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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