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Bloßes Schieben eines Fahrrades als Trunkenheitsfahrt?

Es liegt kein Führen eines Fahrrads im Straßenverkehr i.S.d. § 316 StGB vor, wenn das Fahrrad lediglich geschoben wird.

(Leitsatz des Gerichts)

LG Freiburg, Urt. v. 26.10.2021 – 11/21 10 Ns 530 Js 30832/20

I. Sachverhalt

Der Angeklagte besuchte am Abend des 8.8.2020 eine private Feier, die im Vereinshaus seines Sportvereins ausgerichtet wurde. Hierbei trank er alkoholische Getränke, was dazu führte, dass er noch am 9.8.2020 um 07.34 Uhr eine Blutalkoholkonzentration von 2,3 Promille aufwies. In den frühen Morgenstunden des 9.8.2020 wollte er mit dem Fahrrad nachhause fahren. Zu diesem Zweck zog er das Rad aus dem Fahrradständer und schloss es auf. Bereits hierbei fiel er mit dem Fahrrad zu Boden. Er bemerkte, dass er zu betrunken war, um auf das Fahrrad aufzusteigen, und wollte das Fahrrad daher die ca. 3 bis 4 km bis zu seinem Wohnort schieben. Hierbei stieß er wegen seiner alkoholbedingten Gleichgewichtsstörungen noch einmal an einer Brücke gegen das Brückengeländer. Einige hundert Meter weiter geriet er, das Fahrrad schiebend, nach links vom Weg ab. Dort fiel er mit seinem Fahrrad in die Böschung. Das Fahrrad ließ er dort liegen und ging dann noch wenige Meter weiter, bevor er alkoholbedingt stürzte bzw. sich zum Schlafen auf der Straße niederließ. Das AG hat den Angeklagten wegen einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt nach § 316 StGB verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung des Angeklagten hatte Erfolg. Das LG hat den Angeklagten frei gesprochen.

II. Entscheidung

Die Strafkammer konnte sich nicht davon überzeugen, dass der Angeklagte auf dem Weg vom Vereinsheim bis zu der Stelle, an der er aufgefunden wurde, zu irgendeinem Zeitpunkt mit dem Fahrrad gefahren ist. Der Angeklagte habe somit sein Fahrrad nicht geführt im Sinne des § 316 StGB. Zwar bediene der Schiebende sich dafür in aller Regel des Lenkers (s. BayObLG VRS 75 127, 128), so dass das Zweirad unter eigenverantwortlicher Handhabung einer seiner wesentlichen technischen Vorrichtungen durch den öffentlichen Verkehrsraum geleitet werde. Dennoch geht die h.M., der sich die Strafkammer angeschlossen hat, davon aus, dass das Schieben eines Fahrrads nicht als Führen im Sinne des § 316 StGB angesehen werden kann. Die Gefahrenlage sei so viel geringer, dass es sachgerecht erscheine, einschlägige Verhaltensweisen im Wege der teleologischen Reduktion aus dem Tatbestand zu eliminieren. Dafür könne stützend die Wertung der StVO, so z.B. § 25 Abs. 2 StVO, herangezogen werden, wonach die genannten Phänomene wesentlichen Regelungen des Fußgängerverkehrs unterworfen seien. Sich betrunken zu Fuß im öffentlichen Verkehrsraum zu bewegen, sei somit auch dann nicht strafbar, wenn hierbei ein Fahrrad geschoben werde.

III. Bedeutung für die Praxis

Die h.M. verlangt für das Führen eines Fahrzeugs, dass jemand das Fahrzeug in Bewegung setzt oder es unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrbewegung lenkt (vgl. u.a. BGHSt 35, 390 m.w.N.). Geht man von der Definition aus, handelt es sich beim bloßen Schieben eines Fahrzeugs, also auch eines Fahrrades, nicht um ein Führen (zum Schieben s.a. OLG Oldenburg MDR 1975, 42; König in Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 13. Aufl. 2021, § 315c Rn 14; zweifelnd Fischer, StGB, 68. Aufl., 2021, § 315c Rn 3a). Dafür spricht auch das äußere Erscheinungsbild: Denn, wenn man ein Fahrzeug schiebt, fährt man nicht, sondern geht, steht also einem Fußgänger gleich. Die Entscheidung ist daher zutreffend.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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