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Nutzungsausfallentschädigung bei langer Reparaturdauer

1. Verzögerungen bei der Reparatur des unfallbeschädigten Kfz, die nicht vom Geschädigten zu vertreten sind, gehen zu Lasten des Schädigers.

2. Hat die Werkstatt die Verzögerung mit Lieferschwierigkeiten bei Ersatzteilen begründet, trifft den Geschädigten keine dahingehende Schadenminderungspflicht, selbst bei anderen Werkstätten oder bei dem Fahrzeughersteller nach der Verfügbarkeit der Ersatzteile zu forschen. Er darf sich vielmehr grundsätzlich darauf verlassen, dass sich die von ihm beauftragte Werkstatt unter Ausschöpfung aller verfügbaren Möglichkeiten um die zeitnahe Beschaffung der Ersatzteile bemühen wird.

3. Der Geschädigte muss sich zur Verkürzung der Ausfallzeit grundsätzlich nicht mit einer Teilreparatur seines Kfz zufrieden geben.

4. Dem Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung steht nicht entgegen, dass dem Geschädigten während der Ausfallzeit seines Kfz von einem Familienmitglied ein anderes Kfz zur Verfügung gestellt worden ist. Insofern handelt es ich um die freiwillige Leistung eines Dritten, die den Schädiger nicht entlastet.

(Leitsätze des Gerichts)

OLG Düsseldorf, Urt. v. 9.3.2021 – 1 U 77/20

I. Sachverhalt

Nachdem es am 11.6.2018 zwischen dem Fahrzeug der Klägerin und dem bei der Beklagten versicherten Fahrzeug zu einem Verkehrsunfall gekommen war, gab die Klägerin am 29.6.2018 ein Gutachten zur Schadenermittlung in Auftrag, welches am 2.7.2018 erstellt und der Beklagten mit anwaltlichem Schreiben vom 23.7.2018 übersandt wurde.

Die bezifferten Ansprüche wies die Beklagte mit Schreiben vom 1.8.2018 zurück mit der Begründung, dass nach Angaben des Beifahrers des bei ihr versicherten Fahrzeugs dieses bei gelber Ampelschaltung in den Kreuzungsbereich eingefahren sei, sodass keine Eintrittspflicht bestehe. Die Klägerin erteilte sodann am 9.8.2018 der Reparaturfirma einen Reparaturauftrag mit der Maßgabe, dass mit der Reparatur erst nach eindeutiger Klärung der Haftungsfrage begonnen werden solle. Am 14.8.2018 erfuhr die Klägerin, dass der Fahrer des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs seinen Einspruch gegen den gegen ihn aufgrund des Unfalls erlassenen Bußgeldbescheid zurückgenommen hatte, woraufhin am selben Tag mit der Reparatur begonnen wurde.

Im Zeitraum der Reparatur nutzte die Klägerin einen Pkw, der jedenfalls auch durch ihren Sohn genutzt wurde. In den Zeiträumen vom 10.9.2018 bis zum 20.9.2018 und vom 15.10.2018 bis zum 5.11.2018, in denen sich der Sohn mit dem Fahrzeug im Urlaub befand, nutzte die Klägerin einen Mietwagen. Die Reparaturarbeiten waren am 18.12.2018 abgeschlossen. Die lange Reparaturdauer war auf ein nicht lieferbares Airbag-Modul für die Beifahrerseite zurückzuführen, ohne welches das Fahrzeug nicht betrieben werden durfte. Nach Lieferung des Moduls stellte sich heraus, dass auch der Kabelbaum der Beifahrertür defekt gewesen ist, weswegen dieser nachbestellt und eingebaut werden musste.

Die Beklagte erstattete Mietwagenkosten für die Dauer von 31 Tagen. Die von der Klägerin darüber hinaus geforderte Nutzungsausfallentschädigung für weitere 159 Tage zahlte die Beklagte nicht.

II. Entscheidung

Nach erstinstanzlicher Klageabweisung hatte die Berufung überwiegend Erfolg: Das OLG sprach der Klägerin eine Nutzungsausfallentschädigung für 104 Tage zu.

Zunächst stellte das OLG klar, dass die Möglichkeit, das Fahrzeug des Sohnes als Ersatzfahrzeug nutzen zu können, dem Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung nicht entgegenstehe.

Zwar fehle es an der für einen solchen Anspruch erforderlichen Fühlbarkeit der Nutzungsentbehrung, jedoch werde ein Nutzungsentschädigungsanspruch nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Geschädigte von Dritten, worunter auch Familienmitglieder fallen, unentgeltlich ein Ersatzfahrzeug erhalten hat. Hier greife der Rechtsgedanke des § 843 Abs. 4 BGB, wonach der Schädiger nicht durch eine (freiwillige) Leistung Dritter entlastet wird, die ihm nach dem Sinn der schadensrechtlichen Vorschriften nicht zugutekommen soll.

Die Klägerin hätte aus Sicht des OLG jedoch gerade im Zeitraum nach dem Unfall die Wiederherstellung des Fahrzeuges zügiger in die Wege leiten müssen. Unter Berücksichtigung der einem Geschädigten zuzubilligenden, aber nur im Ausnahmefall und unter besonderen Umständen vollständig auszuschöpfenden Überlegungszeiträume von jeweils bis zu drei Tagen für die Auswahl des Sachverständigen sowie nach Erstellung des Schadensgutachtens für die Entscheidung über die Art der Schadensbeseitigung

(Reparatur oder Ersatzbeschaffung) sei es möglich und zumutbar gewesen, die Begutachtung des Fahrzeuges schon zwei Tage nach dem Unfall in Auftrag zu geben und nicht erst einige Wochen später. Ihre etwaige Unsicherheit, wie nach einem Unfallereignis zweckmäßigerweise vorzugehen sei, rechtfertige die hier vorliegende Verzögerung nicht ohne weiteres, zumal sie zeitnah anwaltliche Hilfe hätte in Anspruch nehmen können.

Auch Unsicherheiten hinsichtlich der Regulierungsbereitschaft der Beklagten oder die Befürchtung, den Nachweis ihres Anspruchs gegen die Beklagte nur durch sachverständige Unfallrekonstruktion erbringen zu können, hätten aus Sicht des OLG ein längeres Zuwarten nicht gerechtfertigt. Ein Geschädigter sei grundsätzlich nicht berechtigt, eine Schadensbeseitigung bis zu einer Klärung der Haftungsfrage zurückzustellen. So stehe es ihm etwa nicht zu, vor einer Reparatur eine Übernahmebestätigung durch den Haftpflichtversicherer der Gegenseite abzuwarten. Stattdessen habe sich der Geschädigte so zu verhalten, als ob ihm kein ersatzpflichtiger Schädiger gegenüberstünde.

Er habe im Regelfall keinen Anspruch darauf, dass der Haftpflichtversicherer ihm das wirtschaftliche Risiko des zu erteilenden Reparaturauftrags durch eine sogenannte Übernahmebestätigung abnimmt. Etwaige Ungewissheiten zum Grunde des Anspruchs, etwa darüber, ob vielleicht eine Quotelung in Betracht kommt, dürfe ein Geschädigter nicht auf den Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer abwälzen. Bei möglichen Beweisschwierigkeiten müsse der Geschädigte unverzüglich geeignete Maßnahmen der Beweissicherung, wie etwa die Einleitung eines selbstständigen Beweisverfahrens, ergreifen.

Vollständig zu berücksichtigen sei im vorliegenden Fall der Zeitraum der Reparatur. Verzögerungen bei der Durchführung der Reparatur, die nicht vom Geschädigten zu vertreten sind, wie insbesondere Verzögerungen wegen unvorhersehbarer Ersatzteillieferschwierigkeiten, gingen zu Lasten des Schädigers. Die Werkstatt sei nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten, deren Verschulden er sich zurechnen lassen müsste. Eine Anspruchsminderung komme daher nur in Betracht, wenn dem Geschädigten selbst eine Verletzung der Schadensminderungspflicht aus § 254 Abs. 2 BGB vorzuwerfen sei.

Möglich sei ein Auswahlverschulden im Hinblick auf die beauftragte Werkstatt (unzureichende Ausstattung oder eingeschränkte Betriebszeiten) oder das fehlende Hinterfragen der Angabe einer ungewöhnlich langen Reparaturdauer durch die Werkstatt, ggf. verbunden mit der Beauftragung einer anderen Werkstatt. Ebenfalls in Betracht zu ziehen sei eine Teil- oder Interimsreparatur. Darlegungs- und beweisbelastet für die Tatsachen, die einen Mitverschuldensvorwurf begründen könnten, sei nach den allgemeinen Regeln, die auch in dieser Fallkonstellation anzuwenden seien, der Schädiger.

Die Klägerin treffe zwar eine sekundäre Darlegungslast, da ihr die Informationen zu den Gründen der langen Reparaturzeit über die von ihr beauftragte Werkstatt zugänglich seien. Ihrer sekundären Darlegungslast habe die Klägerin jedoch dadurch genügt, dass sie zu der Beauftragung der Reparaturfirma vorgetragen und den der Reparatur zugrunde liegenden Ablaufplan vorgelegt habe.

Anhaltspunkte für ein Mitverschulden sah das OLG im vorliegenden Fall nicht. Insbesondere sei die Klägerin nicht verpflichtet gewesen, selbstständig bei anderen Werkstätten oder gar beim Fahrzeughersteller nach der Verfügbarkeit der Ersatzteile zu fragen, sondern habe sich – da sich aus der Verzögerung allein kein entgegenstehendes Verdachtsmoment ergeben habe – darauf verlassen dürfen, dass die Reparaturfirma sich unter Ausschöpfung aller verfügbaren Möglichkeiten um die zeitnahe Beschaffung der Ersatzteile bemühen werde.

Auch musste sich die Klägerin nicht mit einer Teilreparatur des Fahrzeugs ohne das fehlende Airbag-Modul zufriedengeben. Sie habe als technische Laiin nicht davon ausgehen müssen, dass sie im Falle der Beschädigung einer sicherheitsrelevanten Komponente des Fahrzeugs wie einem Airbag auch auf die Reparatur verzichten und das Fahrzeug ohne diese Komponente betreiben kann. Unzumutbar sei dies auch aufgrund der Möglichkeit rechtlicher Nachteile im Falle einer Überprüfung des Fahrzeugs oder etwa im Falle eines weiteren Unfalls, bei dem ein Beifahrer ohne die Schutzwirkung des Airbags zu Schaden kommt.

III. Bedeutung für die Praxis

Verzögerungen bei der Reparatur aufgrund von Lieferverzögerungen haben insbesondere in den zurückliegenden Monaten der Coronapandemie zugenommen. Reparaturablaufpläne und nähere Angaben zu den Gründen für die Reparaturverzögerungen werden dann seitens des Haftpflichtversicherers angefordert, was im Einklang mit den Ausführungen des OLG Düsseldorf zur insoweit bestehenden sekundären Darlegungslast des Geschädigten nicht zu beanstanden sein dürfte. Liegen die entsprechenden Informationen vor und lässt sich diesen kein Anhaltspunkt für ein Mitverschulden des Geschädigten entnehmen, ist die Nutzungsausfallentschädigung zu regulieren, ggf. auch für einen wie hier nicht unerheblichen Zeitraum.

Aber: Der Anspruch besteht nur Zug um Zug gegen Abtretung etwaiger Ansprüche des Geschädigten gegen die Reparaturfirma wegen der Reparatur des Fahrzeugs. Umfasst ist jedoch nicht der Zeitraum vor Erteilung des Reparaturauftrages, da ein haftungsbegründendes Fehlverhalten der Reparaturfirma in diesem Zeitraum nicht in Betracht kommt. Der Haftpflichtversicherer kann dann aus abgetretenem Recht gegen die Reparaturwerkstatt vorzugehen.

RA und FA für VerkehrsR Markus Schroeder, Velbert

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