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Haftungsverteilung bei Missachtung eines „Vorfahrt gewähren“-Schildes im Parkhaus

Der Regelungsgehalt eines von dem Betreiber eines Parkhauses verwendeten Verkehrszeichens – hier: Zeichen 205 (Vorfahrt gewähren) – ist jedenfalls im Rahmen des gegenseitigen Rücksichtnahmegebots nach § 1 Abs. 2 StVO zu beachten und konkretisiert die zu beachtenden Sorgfaltsanforderungen.

(Leitsatz des Gerichts)

LG Saarbrücken, Urt. v. 23.12. 2020 – 13 S 122/20

I. Sachverhalt

Der Kläger befuhr mit seinem Pkw die zur Ausfahrt eines Parkhauses führende Parkgasse. Die im Verfahren als Zeugin vernommene Fahrerin des Beklagtenfahrzeuges befuhr die von rechts in die Fahrbahn des Klägers einmündende Parkgasse. Über der Zufahrt dieser Gasse ist ein Verkehrszeichen 205 (Vorfahrt gewähren) angebracht. Die Zeugin hielt zunächst vor der Einmündung an, weshalb der Kläger davon ausging, die Zeugin werde ihn entsprechend der Beschilderung passieren lassen. Als der Kläger die Einmündung passierte, bog die Zeugin in seine Fahrbahn ein, wodurch es zur Kollision kam. Dem Kläger entstand Sachschaden, den der Beklagte außergerichtlich zu 50 % regulierte.

Mit der Klage hat der Kläger, ausgehend von einer Alleinhaftung des Beklagten restlichen Schadenersatz und Anwaltskosten begehrt. Das Amtsgericht hatte eine hälftige Haftungsverteilung angenommen und der Klage lediglich hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten stattgegeben. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Berufung, mit welcher er sein Ziel der Alleinhaftung bzw. jedenfalls einer überwiegenden Haftung in Höhe von 75 % des Beklagten weiterverfolgt.

II. Entscheidung

Das Landgericht Saarbrücken änderte die erstinstanzliche Entscheidung ab und sprach dem Kläger auf Basis einer Haftung der Beklagten in Höhe von 75 % weiteren Schadenersatz zu.

Im Einklang mit der Entscheidung des Amtsgerichts nimmt das Landgericht an, dass der Unfall für keinen der beiden Fahrzeugführer, also auch nicht für den Kläger, ein unabwendbares Ereignis im Sinne des §§ 17 Abs. 3 StVG darstelle. Denn nach Ansicht des Landgerichts hätte ein umsichtiger und vorausschauender Idealfahrer in der konkreten Verkehrssituation in seine Überlegung mit einbezogen, dass die Zeugin ihn übersehen oder sich ihm gegenüber vorfahrtberechtigt glauben könnte. Er hätte den Einmündungsbereich daher erst dann passiert, wenn durch Verständigung mit ihr eindeutig festgestanden hätte, dass die Zeugin ihm die Vorfahrt gewähren werde.

Das Landgericht geht jedoch im Unterschied zum Amtsgericht davon aus, dass im Rahmen der vorzunehmenden Haftungsabwägung gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG ein Verstoß des Klägers gegen § 1 Abs. 2 StVO nicht zu berücksichtigen sei.

Grundsätzlich sei zwar die StVO anzuwenden. Diese regele und lenke den Verkehr auf öffentlichen Wegen und Plätzen, wobei ein Verkehrsraum öffentlich sei, wenn er entweder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen sei und auch so genutzt werde. Bei der Eröffnung eines der Allgemeinheit zugänglichen Parkhauses seien diese Voraussetzungen unabhängig davon erfüllt, ob die Geltung der StVO durch eine vorhandene Beschilderung ausdrücklich angeordnet sei.

Auch sei der Ausgangspunkt des Amtsgerichts zutreffend, dass § 8 Abs. 1 StVO im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung komme, da § 8 Abs. 1 StVO auf Parkplätzen und in Parkhäusern grundsätzlich nur dann anwendbar sei, wenn die angelegten Fahrspuren (eindeutig) Straßencharakter haben.

Dies sei im Hinblick auf die streitgegenständlichen Fahrgassen nicht der Fall. Diese waren zwar durch Markierung von den Parkboxen abgegrenzt, dienten jedoch in erster Linie der Zufahrt zu weiteren Parkboxen. Dass die Beschilderung und auf der Fahrbahn befindliche Fahrtrichtungspfeile auch auf die Ausfahrt des Parkhauses hinweisen, ändere hieran nichts.

Es seien dann für beide Beteiligten die allgemeinen Sorgfaltsanforderungen nach § 1 Abs. 2 StVO zu beachten gewesen, die sich nach den konkreten Anforderungen der Verkehrslage und den jeweiligen örtlichen Verhältnissen richten.

Hier hatte der Parkhausbetreiber durch die eindeutige Beschilderung „Vorfahrt gewähren“ aus Fahrtrichtung der Zeugin die Sorgfaltsanforderungen besonders ausgestaltet bzw. konkretisiert.

Auch wenn von der Verwendung von Verkehrszeichen außerhalb des öffentlichen Straßenverkehrs z.B. zur Verkehrsregelung auf privaten Grundstücken keine bindende Wirkung i.S. einer straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen Haftung ausgehe, könnten sie zivilrechtlich eine Mithaftung begründen, da ihr Regelungsgehalt jedenfalls im Rahmen des gegenseitigen Rücksichtnahmegebots entsprechend zu beachten sei. Dementsprechend träfe die Zeugin vorliegend ein erheblicher Sorgfaltsverstoß, weil sie das aus ihrer Sicht gut erkennbare Verkehrszeichen missachtet und so den Unfall mit dem auf der bevorrechtigten Fahrgasse fahrenden Klägerfahrzeug verursacht habe.

Einen Verstoß des Klägers gegen die Sorgfaltspflichten des § 1 Abs. 2 StVO vermochte das Landgericht jedoch nicht festzustellen. Dieser hätte zwar mit von rechts kommendem Fahrzeugverkehr jederzeit rechnen und sein Fahrverhalten hierauf einstellen müssen, zumal er die Zeugin unstreitig schon vor ihrer Einfahrt in seine Fahrgasse wahrgenommen hatte. Vorliegend sei allerdings nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen, dass die Zeugin ihr Fahrzeug an der Einmündung zunächst angehalten und so ein Vertrauen des in Kenntnis der örtlichen Verkehrsreglung heranfahrenden Klägers darauf begründet hatte, sie werde sein Vorfahrtsrecht achten.

Zudem sei nicht ersichtlich, dass die Missachtung der Vorfahrt durch die Zeugin bereits zu einem Zeitpunkt für den Kläger erkennbar wurde, in dem er die Kollision noch durch ein Ausweichmanöver oder ein Abbremsen hätte vermeiden können. Deshalb könne ein unfallursächlicher Sorgfaltsverstoß des Klägers nicht als erwiesen angesehen werden.

Im Rahmen der Abwägung der Verursachungsbeiträge berücksichtigte das Landgericht auf Seiten des Klägers dessen einfache Betriebsgefahr (25 %), da das Verschulden der Zeugin als nicht besonders schwerwiegend erscheine und die Betriebsgefahr dahinter nicht zurücktrete. Zudem seien die einzuhaltenden Sorgfaltspflichten auf Parkflächen einander angenähert und der Kläger habe die Einmündung ohne eine Rückversicherung, dass die Zeugin ihn gesehen hatte, passiert. Vor diesem Hintergrund trage eine Haftungsverteilung von 75 % zu 25 % zu Lasten des Beklagten den Verursachungsanteilen angemessen Rechnung.

III. Bedeutung für die Praxis

Bei Parkplatz- bzw. Parkhausunfällen wird im Rahmen der außergerichtlichen Regulierung und oftmals auch in den erstinstanzlichen Verfahren weiterhin regelmäßig eine pauschale Haftungsteilung vorgenommen, ohne dass die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls berücksichtigt werden. Wie der Sachverhalt zutreffend gewürdigt wird, zeigt das LG Saarbrücken, welches in konsequenter Anwendung der zu Parkplatzunfällen entwickelten Rechtsprechung des BGH (u.a. Urt. v. 15.12.2015 – VI ZR 6/15) zu einer überzeugenden Haftungsverteilung gelangt.

RA und FA für VerkehrsR Markus Schroeder, Velbert

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