Beitrag

Zur Erstattungsfähigkeit von Desinfektionskosten in der Kasko- versicherung

1. Kosten für die Desinfektion eines Fahrzeuges nach durchgeführter Reparatur sind in der Kaskoversicherung als erforderliche Maßnahmen zur Beseitigung des Schadens zu erstatten.

2. Es handelt sich nicht nur um Allgemeinkosten, sondern auch um einen Aufwand zum Schutz des Kunden.

3. Ein Betrag i.H.v. 73 EUR liegt dabei im vertretbaren Rahmen der üblichen Vergütung.

(Leitsatz des Verfassers)

AG Aachen, Urt. v. 25.11.2020 – 116 C 123/20

I. Sachverhalt

Die Klägerin begehrte von ihrer Vollkaskoversicherung eine Übernahme der Kosten, die ihr bei der Beseitigung eines Schadens nach einem Verkehrsunfall bei der Reparatur des Fahrzeuges in Rechnung gestellt worden sind. Die einschlägige Klausel in den AKB hat insoweit vorgesehen, dass die Kaskoversicherung die für die „Reparatur erforderlichen Kosten“ übernimmt. Dies hat die Beklagte bei den Desinfektionskosten abgelehnt.

II. Entscheidung

Seitens des Amtsgerichts wurde eine Eintrittspflicht der Beklagten aus der Kaskoversicherung bejaht. Insoweit wäre die maßgebliche Klausel aus der Sicht eines verständigen Versicherungsnehmers auszulegen und dieser wird zum Ergebnis gelangen, dass in der aktuellen Situation zu der Reparatur eines Fahrzeugs auch die Übernahme der Desinfektionskosten gehören würde. Diese würden nicht nur dem Schutz der Mitarbeiter des Werkstattbetriebes, sondern auch dem Kunden als Vorbereitung der Übergabe des Fahrzeuges dienen.

Die Höhe des geforderten Betrages mit 73 EUR brutto wäre auch nicht zu beanstanden, da dieser Betrag lediglich 1,5 % der Reparaturkosten insgesamt ausmachen würde und die Beklagte keine konkreten Hinweise dafür vorgetragen hätte, dass dieser Betrag deutlich oberhalb der ortsüblichen Preise liegen würde.

III. Bedeutung für die Praxis

Ob Desinfektionskosten im Haftpflichtfall als Schadensersatz zu erstatten sind, ist in der Rechtsprechung umstritten (Vgl. die Übersicht bei der Besprechung AG Hannover, Urt. v. 10.2.2021 – 431 C 9575/20, nachfolgend in diesem Heft). Im Bereich der Kaskoversicherung gelten jedoch nicht die Grundsätze des so genannten Werkstattrisikos und es stellt sich auch nicht die Frage eines Schutzzweckzusammenhangs, sondern es sind vielmehr die Klauseln in den AKB aus Sicht eines verständigen Versicherungsnehmers auszulegen. Hier stellt sich das Amtsgericht auf den Standpunkt, dass bei dem weit gefassten Begriff der erforderlichen Kosten gerade in der aktuellen Situation auch der zusätzliche Aufwand für eine Desinfektion des Fahrzeuges nach der durchgeführten Reparatur erfasst wird. Dabei ist auch zu beachten, dass diese Kosten in der Tat ebenfalls dem Schutz des Kunden vor der Übergabe des Fahrzeuges dienen. Zwar kann kontrovers erörtert werden, ob tatsächlich Desinfektionsmaßnahmen nach dem aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse noch einen wesentlichen Beitrag zur Verhinderung einer Verbreitung von COVID-19 darstellen – unter dem Gesichtspunkt einer effektiven Risikoverminderung ist diese Ansicht sicherlich vertretbar (Kritisch dagegen LG Stuttgart, Urt. v. 27.11.2020 – 19 O 145/20; bejahend beispielsweise AG Landsberg am Lech mit Urt. v. 5.10.2020 – 3 C 420/20 und Urt. v. 15.10.2020 – 4 C 468/20).Sehr pauschal ist allerdings die Einschätzung des Amtsgerichtes zum Umfang der als erforderlich anzusehenden Kosten. Hier hilft die Relation zu den Reparaturkosten insgesamt nicht weiter, da die Reinigung des Fahrzeuges unabhängig von der Höhe des eingetretenen Schadens im Regelfall den gleichen Umfang haben wird. Dabei ist zu beachten, dass die reinen Materialkosten für den Einsatz eines Desinfektionsmittels als sehr gering anzusetzen sein dürften – so kann ein Liter dieses Mittels handelsüblich für 3–4 EUR erstanden werden und eine solche Menge wird für Arbeiten an einem einzelnen Kfz ohnehin nicht benötigt. Gleiches gilt für den Preis von Schutzfolien, die vor der Pandemie üblicherweise gar nicht gesondert berechnet worden sind. Auch der zusätzliche Zeitaufwand für den Einsatz eines Mitarbeiters bei überschaubaren Reinigungsmaßnahmen dürfte sich auf wenige Minuten beschränken und ggf. dürfte auch nur der Stundenlohn für eine Reinigungskraft anzusetzen sein.

Eine Hilfe für die Praxis findet sich insoweit in einer Zeit- und Materialstudie zu den Schutzmaßnahmen Corona-Virus (SARS-CoV-2), welche die Interessengemeinschaft Fahrzeugtechnik und Lackierung, IFL e.V., in Zusammenarbeit mit dem Allianz Zentrum für Technik (AZT) und dem Zentralverband Karosserie- und Fahrzeugtechnik (ZKF) in der Technischen IFL-Mitteilung Nr. 21/2020 veröffentlicht hat. Danach ergeben sich für die Desinfektionsarbeiten für Annahme und Rückgabe des Fahrzeugs inklusive aller vor- und nachbereitenden Tätigkeiten ein aufgerundeter Arbeitswert von 3 Arbeitswerten sowie weitere einmalige Kosten für benötigtes Verbrauchsmaterial in Höhe von 7,50 EUR. Hieraus würde sich ein 3/10 Stundensatz der eingesetzten Kraft ergeben – bei einer einfachen Reinigungskraft mithin 10 EUR, bei einer Karosseriefachkraft dagegen ca. 40 EUR + jeweils 7,50 EUR Materialkosten. Dabei ist allerdings auch der Anteil abzuziehen, der als vorbereitende Tätigkeit dem Schutz der eigenen Mitarbeiter der Werkstatt dient – es bleibt dann ein Betrag in einer Größenordnung von 30 EUR als Orientierungswert (Vgl. z.B. AG Aichach, Urt. v. 29.9.2020, 101 C 560/20 mit 43 EUR). Eine weitergehende Abrechnung dürfte dagegen nicht mehr der Deckung von Nebenkosten, sondern einer Gewinnmaximierung unter dem Deckmantel von Hygienemaßnahmen dienen.

RA und FA für VerkehrsR und VersR Dr. Michael Nugel, Essen

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…