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Vertretung des abwesenden Angeklagten in der Berufungshaupt- verhandlung

Die gemäß § 329 Abs. 1 S. 1 StPO nachzuweisende Vertretungsvollmacht des Verteidigers muss sich ausdrücklich auf die Abwesenheitsvertretung des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung beziehen.

(Leitsatz des Gerichts)

OLG Celle, Beschl. v. 18.1.2021 – 2 Ss 119/20

I. Sachverhalt

Der Angeklagte hat gegen die Verurteilung durch das AG Berufung eingelegt. Diese Berufung hat das LG mit Urt. v. 22.10.2020 nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO verworfen, weil der Angeklagte im Hauptverhandlungstermin ohne Entschuldigung ausgeblieben und auch nicht in zulässiger Weise vertreten worden sei. Der in der Berufungshauptverhandlung anwesende Verteidiger, der als Pflichtverteidiger beigeordnet worden war, hatte beantragt, die Hauptverhandlung auszusetzen, hilfsweise zu unterbrechen und ein weiteres ärztliches Gutachten zur Frage der Verhandlungsfähigkeit und Vollzugsfähigkeit einzuholen. Der Angeklagte befinde sich seit dem Vortag der Verhandlung im Krankenhaus. Weiter hatte der Verteidiger in der Berufungshauptverhandlung eine von dem Angeklagten unterschriebene Vollmacht, die auf den 6.10.2018 datiert, vorgelegt. In dieser heißt es zu Ziffer 6: „Vertretung und Verteidigung in Strafsachen und Bußgeldsachen (§§ 302, 374 StPO, 73, 43 OWiG) einschließlich der Vorverfahren sowie (für den Fall der Abwesenheit) Vertretung nach § 411 Abs. 2 StPO und mit ausdrücklicher Ermächtigung auch nach § 233 Abs. 1, 234 StPO und Stellung von Straf- und anderen nach der Strafprozessordnung zulässigen Anträgen.“ Gegen das Verwerfungsurteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt hat. Mit der Sachrüge hatte der Angeklagte u.a eine fehlerhafte Rechtsanwendung des Berufungsgerichts hinsichtlich der Zulässigkeit der Vertretung durch einen Verteidiger geltend gemacht. Die Berufung hatte keinen Erfolg.

Soweit in der Revisionsbegründung die fehlerhafte Anwendung des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO gerügt worden sei, weil der in der Berufungsverhandlung nicht erschienene Angeklagte in zulässiger Weise durch einen Verteidiger vertreten wurde, ist die als allgemeine Sachrüge erhobene Rüge vom OLG in eine Verfahrensrüge umgedeutet worden. Die sei zulässig erhoben worden. Zu dem nach § 344 Abs. 2 StPO erforderlichen Vorbringen gehöre, dass der Verteidiger in der Berufungshauptverhandlung erschienen sei, er von dem Angeklagten mit dessen Vertretung in der Berufungsverfahren bevollmächtigt worden sei, er den Angeklagten in der Berufungsverfahren vertreten wollte und er die Vertretungsvollmacht schriftlich nachgewiesen habe (vergleiche OLG Celle NStZ 2013, 615, OLG Hamm, Beschl. v. 26.2.2019 – III-5 RVs 11/19). Das Vorbringen in der Revisionsbegründung genüge diesen Anforderungen. Zwar gebe der Verteidiger seine Vollmacht hier lediglich auszugsweise wieder, dies sei aber vorliegend ausreichend, da die wiedergegebenen Auszüge der Vollmacht die Nachprüfung ermöglichen, ob der Verteidiger vorliegend befugt gewesen sei, in der Berufungshauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten zu verhandeln.

Die Verfahrensrüge erweise sich jedoch als unbegründet. Die dem Verteidiger am 6.10.2018 erteilte Vollmacht berechtige den Verteidiger nicht zur Vertretung des abwesenden Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung. Das LG habe damit rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte nicht in zulässiger Weise vertreten worden sei.

Eine allgemeine Verteidigervollmacht reiche für die Vertretung in der Berufungshauptverhandlung nicht aus, erforderlich sei vielmehr nach allgemeiner Ansicht eine besondere Vertretungsvollmacht im Sinne einer spezifischen Ermächtigung des Verteidigers, für den Angeklagten verbindlich Erklärung abgeben und wirksam für ihn Erklärungen annehmen zu können, also die Rechtsmacht, den Angeklagten im Prozess in Erklärung und Willen zu vertreten (vergleiche BGHSt 9, 356; KG, Beschl. v. 1.3.2018 – 121 Ss 15/18, VRR 6/2018, 3 [Ls.], Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63 Aufl. 2020, § 234 Rn 5 m.w.N.). Aus der Pflichtverteidigerbestellung als solcher ergibt sich dabei keine besondere Vertretungsmacht des Verteidigers (vgl. OLG Celle NStZ 2013, 615 m.w.N.). Auch der Pflichtverteidiger benötige als Beistand des Angeklagten eine ausdrückliche Vertretungsvollmacht. Diese sei gegebenenfalls neu zu erteilen, soweit das Wahlmandat durch die Beiordnung als Pflichtverteidiger erloschen sei (vgl. OLG Celle, a.a.O.). Hier sei die Vollmacht erst am 6.10.2018 erteilt worden und damit nach der erfolgten Bestellung des Verteidigers als Pflichtverteidiger.

Streitig sei allerdings, ob eine Vollmacht, die allgemein „zur Verteidigung und Vertretung“ erteilt werde, für eine Vertretung in der Berufungshauptverhandlung ausreiche. Das werde vom OLG Oldenburg (StRR 9/2017, 14) bejaht. Mit der Auffassung trage man allerdings der Bedeutung der Übertragung der Vertretungsrechte durch den Angeklagten an den Verteidiger nicht Rechnung. Denn mit der Erteilung einer Vertretungsvollmacht für den Fall einer Abwesenheitsverhandlung übertrage der Angeklagte wichtige Verfahrensrechte wie Anwesenheit und rechtliches Gehör vollständig auf seinen Verteidiger und müsse sich an dessen inhaltlichen Erklärung festhalten lassen, als wenn es seine eigenen wären (vgl. KG, a.a.O.). Diese Konsequenzen wögen bezogen auf die Berufungshauptverhandlung besonders schwer, da sie den Abschluss der letzten Tatsacheninstanz bilden. Vor dem Hintergrund dieser weitreichenden Folgen sei es erforderlich, dass sich die Vollmacht ausdrücklich auch auf die Abwesenheitsverhandlung in der Berufungshauptverhandlung beziehe (vergleiche KG, a.a.O., OLG Hamm, a.a.O.; KK-Paul, StPO, 8. Aufl. 2019., § 329 Rn 6). Dies gilt umso mehr, seitdem durch Inkrafttreten der Neuregelung des § 329 StPO am 25.7.2015 weitreichende Rechte zur Vertretung in Abwesenheit des Angeklagten geschaffen worden seien. Dies führe dazu, dass eine Abwesenheitsverhandlung auch in Fällen erfolgen könne, in denen erstinstanzlich eine Vertretung des Angeklagten ausgeschlossen sei, insbesondere sei das Berufungsgericht nur an den Strafrahmen des § 24 Abs. 2 GVG und nicht an den des § 233 StPO gebunden (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 329 Rn 37 m.w.N.).

Die dem Verteidiger des Angeklagten am 6.10.2018 erteilte Vertretungsvollmacht reiche vor diesem Hintergrund zur Vertretung in der Berufungshauptverhandlung nicht aus. Die vorgelegte Vollmacht beziehe sich in Ziffer 6 schon im Wortlaut nur auf das Verfahren nach Einspruch gegen einen Strafbefehl (§ 411 Abs. 2 StPO) sowie auf die Vorschriften der §§ 233 Abs. 1, 234 StPO. Dem Wortlaut nach handele es sich dabei auch um eine abschließende Aufzählung, in der § 329 StPO nicht genannt werde. Es sei nicht ersichtlich, dass lediglich eine beispielhafte Aufzählung der Möglichkeiten der Vertretung in Abwesenheit erfolgen sollte. Auch der Verweis in Ziffer 6 der Vollmacht auf die Vorschrift des § 234 StPO führe nicht zu einem anderen Ergebnis. Die Vorschrift des § 234 StPO knüpfe inhaltlich an die Vorschriften der § 231 ff. StPO an, die in Berufungsverfahren nur Anwendung finden, soweit § 329 StPO nicht anwendbar ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 332 Rn 1). Für die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung enthalten § 329 Abs. 1 und 2 StPO jedoch spezielle Regelungen (vgl. KG, a.a.O.).

III. Bedeutung für die Praxis

1. Das OLG schließt sich mit seiner Entscheidung der wohl h.M. in der Rechtsprechung an, die allgemein „zur Verteidigung und Vertretung“ erteilte Vollmacht für eine Vertretung in der Berufungshauptverhandlung nicht ausreichen lässt. Die a.A. des OLG Oldenburg ist vereinzelt geblieben. Für den Verteidiger bedeutet diese, dass er bei Vollmachtserteilung achten muss, dass die Vertretung in der Berufungshauptverhandlung erfasst/erwähnt ist. Das gilt auch für den Pflichtverteidiger, denn auch der benötigt zur Vertretung des Angeklagten eine besondere Vertretungsvollmacht. Darauf ist vor allem zu achten, wenn der Wahlverteidiger zum Pflichtverteidiger bestellt wird. Dann erlischt nach allgemeiner Meinung die Wahlanwaltsvollmacht, in der ggf. eine Vertretungsvollmacht enthalten war. Das bedeutet, dass sich der Pflichtverteidiger dann eine neue (Vertretungs-)Vollmacht erteilen lassen muss (zu den Vollmachtsfragen eingehend Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl., 2019, Rn 4677; ders., Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 9. Aufl., 2019, Rn 818 ff. u. 3557 ff., jeweils m.w.N.).

2. Und aus gegebenem Anlass: Der Verteidiger hatte hier mit der Sachrüge (!) den Verstoß gegen § 329 Abs. 1 StPO geltend gemacht. Der Mangel hätte jedoch als ein Verfahrensmangel mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden müssen (Meyer Goßner/Schmidt, a.a.O., § 329 Rn 33). Das ist kleines Verteidiger-1×1. Hier hat es zwar nicht geschadet. Das aber auch nur, weil das OLG die Sachrüge in die Rüge der Verletzung des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO umgedeutet hat, was aber nur möglich war, weil sie den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügt hat. Ansonsten wäre die Revision schon an der Stelle verworfen worden.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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