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Schmerzensgeldbemessung bei zeitnahem Versterben nach dem Verkehrsunfall

1. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes bei einem zeitnahen Versterben nach dem Verkehrsunfall kommt es auf die Dauer des Überlebens und das dazugehörige Bewusstsein des Verletzten an.

2. Nach diesen Kriterien ist ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 EUR angemessen, wenn ein Geschädigter durch den Verkehrsunfall schwere Kopfverletzungen erleidet, in der Folgezeit mehrere Tage nach dem Unfall weiter ansprechbar ist, dann aber einen Hirninfarkt erleidet und als Schwerstpflegefall ohne Verständigungsmöglichkeiten nach vier Monaten verstirbt.

(Leitsatz des Verfassers)

OLG Celle, Urt. v. 4.11.2020 – 14 U 81/20

I. Sachverhalt

Die Kläger verklagen die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung des Unfallgegners als Erben der verstorbenen Geschädigten, die bei einem Unfall schwer verletzt wurde und 4,5 Monate nach dem Unfallereignis gestorben ist. In den ersten Tagen nach dem Unfall war die verletzte Person noch für mehrere Tage bei Bewusstsein und ansprechbar, erlitt dann aber nach 12 Tagen einen Hirninfarkt, aufgrund dessen sie zu einem schweren Pflegefall geworden ist. In der Folge konnte sie sich nicht mehr verständigen und litt unter erheblichen Bewusstseinsstörungen bevor sie schließlich an den Folgen des Unfallereignisses verstorben ist.

II. Entscheidung

Die beklagte Haftpflichtversicherung hatte ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 EUR für angemessen erachtet und außergerichtlich ausgezahlt. Das Landgericht Hannover hielt ein Schmerzensgeld in Höhe von 55.000 EUR dagegen für sachgerecht und die Berufung der Beklagtenseite hiergegen hatte vor dem OLG Celle überwiegend Erfolg. Dieses hatte ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 EUR für angemessen erachtet. Aus Sicht des Senats sind bei dieser Bemessung des Schmerzensgeldes im Sinne des § 253 BGB vor allem dessen Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion zu berücksichtigen, die wiederum insbesondere vom Maß der erlittenen körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen abhängt. Dabei wird die Schwere der Belastung des Geschädigten insbesondere durch Stärke, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, damit verbundenen Funktionsbeeinträchtigungen und aus dem Unfall resultierenden Dauerfolgen bestimmt.

Dabei wäre auch auf eine Systematik der gerichtlichen Entscheidung als Vergleichsmaßstab abzustellen, die aus Sicht des Senats ganz überwiegend unterhalb des Betrages von 55.000 EUR liegen würden, den das Landgericht in der I. Instanz ausgeurteilt hat. Dabei wäre insbesondere zu beachten, dass es nicht allein auf die objektiv erlittenen Verletzungen ankommt, sondern auch von entscheidender Bedeutung ist, ob der Geschädigte bei Bewusstsein verbleibt und seine Situation mit allen Leiden weiter aktiv erlebt. Hier wäre insbesondere zu berücksichtigen, dass die verstorbene Person nach dem Hirninfarkt nur teilweise wieder bei Bewusstsein gewesen ist und sich nicht mehr weiter verständigen konnte. So stellt das OLG Celle beispielsweise auch auf eine Entscheidung des OLG München vom 3.5.1996 (10 U 6205/95) als Vergleichsmaßstab ab, bei welchem damals 25.000 EUR und indexangepasst nunmehr 35.000 EUR zugesprochen worden sind, nachdem der Geschädigte bei einem Verkehrsunfall schwerste Gehirnschädigungen erlitten hatte, die zu seiner vollständigen Bewegungsunfähigkeit und fehlenden Ansprechbarkeit geführt haben, bevor er gut 5 Monate nach dem Unfallereignis verstorben ist.

III. Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung des OLG Celle ist eines der wenigen Urteile, welches sich in einem kontrovers geführten Prozess mit der Thematik beschäftigt, welches Schmerzensgeld bei einem kurzfristigen Versterben nach einem Verkehrsunfall zuzusprechen ist und welche Kriterien hierfür gelten. Dabei geht das OLG Celle zweistufig vor: Im Wege einer Einzelfallbetrachtung wäre erst einmal unter Berücksichtigung der eingangs genannten Kriterien eine erste Orientierung für die Bemessung des Schmerzensgeldes vorzunehmen. In einem zweiten Schritt ist aus Sicht des Senats sodann im Interesse der Gerechtigkeit auf vergleichbare gerichtliche Entscheidungen einzugehen und das Schmerzensgeld gegebenenfalls anzupassen. Denn auch andere Entscheidungen würden dem Gericht eine wichtige Orientierung bieten, aber naturgemäß keine Bindungswirkung entfalten (vgl. bereits grundlegend BGH, Urt. v. 16.2.1993 – VI ZR 29/92).

Dabei ist auch zu beachten, dass in der hier betroffenen Konstellation nach den gesetzlichen Vorgaben die Verkürzung des Lebens der verstorbenen Person gerade nicht erhöhend ins Gewicht fällt, sondern für die Höhe des Schmerzensgeldes die Dauer der Leidenszeit zwischen dem Unfall bis zum Todeseintritt entscheidend ist (BGH, Urt. v. 12.5.1989 – VI ZR 182/97). Insoweit ist es dann entscheidend, wie lange der Verletzte den Unfall überlebt und ob und in welchem Umfang er die Situation bei Bewusstsein erlebt und bewusst wahrgenommen hat (vgl. OLG Köln, Urt. v. 5.3.2018 – 5 U 98/16). Insoweit lassen sich auch zur Überprüfung der Vergleichbarkeit drei verschiedene Fallgruppen unterscheiden: Bei einem kurzfristigen Versterben am Unfallort in einer Zeitspanne von nicht mehr als einer Stunde kommt allenfalls ein Schmerzensgeld in einer Größenordnung von bis zu 1.500 EUR in Betracht (vgl. LG Erfurt, Urt. v. 7.6.2010 – 3 O 2066/09) – wenn denn bei dieser Zeitspanne überhaupt eine ausreichende Grundlage für einen Schmerzensgeldanspruch bejaht werde (11 Minuten genügen hierfür nicht, vgl. KG, Urt. v. 30.10.2000 – 12 U 5120/99). Bei einem Versterben innerhalb von einem Monat wird je nach den weiteren Umständen des Einzelfalls ein Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 2.000 EUR bis maximal 15.000 EUR zu diskutieren sein, während bei der hier betroffenen Fallgruppe mit einem Versterben nach mehr als einem Monat das Schmerzensgeld je nach den weiteren Umständen deutlich höher ausfallen kann (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 11.7.1997 – 10 U 15/97 mit 75.000 EUR bei 21 Monaten bei Bewusstsein).

FA für VerkR und VersR Dr. Michael Nugel, Essen

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