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Reichweite der Vollmacht des Verteidigers und Verletzung des rechtlichen Gehörs

1. Der mit Vertretungsvollmacht ausgestatte Verteidiger kann für den von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbundenen Betroffenen Erklärungen zur Sache abgeben.

2. Nimmt das Tatgericht Sachvortrag des Verteidigers für den von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbundenen Betroffenen nicht zur Kenntnis, stellt dies eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar.

(Leitsätze des Verfassers)

OLG Düsseldorf,Beschl. v.28.2.2020–IV-4 RBs 31/20

I. Sachverhalt

Der von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbundene Betroffene wurde von dem AG in W. wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 100 EUR verurteilt. Dazu wurde festgestellt: „Die zulässige Höchstgeschwindigkeit ist an der Messstelle durch Verkehrszeichen auf 30 km/h begrenzt. Die Messung mit dem vorgenannten Gerät, das durch die physikalisch-technische Bundesanstalt zugelassen ist und das gültig geeicht war, ergab für den Betroffenen – nach Toleranzabzug von 3 km/h – einen Wert von 57 km/h“. Dazu führt das AG in den Urteilsgründen weiter aus: „Soweit der Verteidiger in der Hauptverhandlung erklärte, dass das Verkehrsschild mit der Geschwindigkeitsbegrenzung wegen eines parkenden Lkws nicht zu sehen gewesen wäre, kann er hiermit nicht gehört werden. Der Betroffene ist nämlich gerade vor dem Hintergrund von seinem persönlichen Erscheinen entbunden worden, dass er keine Einlassung zur Sache vornehmen werde. Dies kann im Folgenden nicht durch eine (von der Prozessordnung so ohnehin nicht vorgesehene) Einlassung des Betroffenen über den Verteidiger unterlaufen werden.“

II. Entscheidung

Das OLG Düsseldorf hob die Entscheidung des AG in W. auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung zurück.

Das OLG Düsseldorf stellte dazu in den Gründen zunächst klar, dass die Verletzung rechtlichen Gehörs mit einer Verfahrensrüge anzugreifen ist, die den Anforderungen des § 344 Abs. 2 StPO genügen muss (vgl.Seitz/Bauerin: Göhler, OWiG, 17. Auflage 2017, § 80 Rn 16a, m.w.N.), was hier erfolgt sei.

Die zulässig erhobene Verfahrensrüge sei auch begründet, da der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör aus Art. 103. Abs. 1 GG verletzt sei.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör bedeute, dass dem Betroffenen Gelegenheit gegeben werden muss, sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern, Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen und dass das Gericht seine Ausführungen zur Kenntnis nehmen und in seine Erwägungen einbeziehen muss (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl. 2019, Einl, Rn 23 m.w.N.), so das OLG. Ausweislich der in der Akte befindlichen Urkunde über die erteilte Vollmacht habe der Betroffene dem Verteidiger Vollmacht zu seiner „Verteidigung und Vertretung in allen Instanzen sowie im Vorverfahren erteilt, und zwar auch für den Fall seiner Abwesenheit nach § 411 StPO mit ausdrücklicher Ermächtigung auch nach §§ 223 Abs. 1, 234 StPO und 74 OWiG.“. Gemäß § 73 Abs. 3 OWiG kann sich der von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbundene Betroffene durch einen schriftlich bevollmächtigten Verteidiger vertreten lassen. Mit einer schriftlichen (Vertretungs-)Vollmacht, auch für den Fall der Abwesenheit, vertrete der Verteidiger den Betroffenen in der Erklärung und im Willen und könne für ihn deshalb zur Sache aussagen, eine Vollmacht für den Fall der Abwesenheit reiche aus (Seitz/Bauerin: Göhler, OWiG, 17. Auflage 2017, § 73, Rn 27.) Nimmt das Tatgericht unter diesen Umständen Sachvortrag des Verteidigers für den Betroffenen nicht zur Kenntnis, und bezieht diesen Vortrag nicht in die Erwägungen ein, verletze dies den Anspruch des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 10 Abs. 1 GG.

III. Bedeutung für die Praxis

Aus den zutreffenden Gründen hat das OLG Düsseldorf dem Zulassungsantrag stattgegeben und die zulässig erhobene Gehörsrüge für begründet erachtet, weshalb das Urteil des AG in W. aufzuheben war. Es erstaunt immer wieder, welche Probleme nach wie vor – oder immer wieder – bei der Anwendung des § 73 OWiG bestehen. Der Tatrichter auf der einen Seite, darf sich nicht beirren, der Verteidiger, auf der anderen Seite, nicht verunsichern lassen. Trotzdem gibt es tatsächlich in der Hauptverhandlung immer wieder handfesten Streit über dieses Thema. Aus hiesiger Sicht sind drei Dinge wesentlich bei der Anwendung und sollten in der Praxis an und für sich hinreichend bekannt sein.

1. Das Gericht muss den Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbinden, wenn dieser seine Fahrer-/Tätereigenschaft einräumt (es muss ja nicht immer um Verkehrsordnungswidrigkeiten mit „Blitzerfotos“ gehen) und erklärt, er (selbst) werde zur Sachaufklärung nicht beitragen. Dem Gericht steht dann kein Ermessen zu.

2. Der mit Vertretungsvollmacht – auch für den Fall der Abwesenheit – ausgestatte Verteidiger kann für den Betroffenen Erklärungen abgeben, natürlich auch Einlassungen zur Sache. Wichtig ist aber: diese besondere Form der Bevollmächtigung durch den Betroffenen geht über die allgemeine Verteidigervollmacht, deren Bestehen anwaltlich versichert werden kann, hinaus und muss gesondert, in schriftlicher Form, spätestens im Termin zur Hauptverhandlung vorliegen.

3. Ergibt sich aus einer Einlassung des Verteidigers für den Betroffenen, dass eine Sachaufklärung durch den Betroffenen doch zu erwarten ist, kann das Tatgericht die Hauptverhandlung aussetzen und den Betroffenen für einen neuen Termin nicht von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbinden. Das gilt aber nicht, wenn der Betroffene ankündigt, weiterhin zu schweigen, so dass das Gericht keine Nachfragen an den Betroffenen stellen kann. Dann muss das Gericht entbinden, die Einlassung des Betroffenen durch den Verteidiger bleibt dann eine Frage der Beweiswürdigung.

RAPatrick Lauterbach, FA für Strafrecht, Solingen

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