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Rechtsfolgen bei verbotenen Kraftfahrzeugrennen

1. Zu den Beweisanforderungen für das Vorliegen eines im Sinne von § 315d Abs. 1 Ziff. 2 tatbestandsmäßigen Kraftfahrzeugrennens.

2. Es verstößt gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 46 Abs. 3 StGB), wenn dem Täter eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens ohne die Benennung weiterer tatprägender Umstände die von ihm erzielte Geschwindigkeit strafschärfend entgegengehalten wird.

3. Die lediglich vorbehaltene Einziehung (§ 74f Abs. 1 StGB) stellt nicht ohne Weiteres einen der Einziehung gemäß § 74 Abs. 1 StGB gleich zu achtenden bestimmenden Strafmilderungsgrund dar.

4. Zu den Begründungsanforderungen bei der Widerlegung der Regelvermutung des § 69a Abs. 1 Ziff. 1a StGB.

5. Zum Zusammenhang von Einziehung und Haupt- und Nebenstrafe.

(Leitsätze des Gerichts)

OLG Köln,Urt. v.5.5.2020–III-1 RVs 40 u. 42/20

I. Sachverhalt

Das LG hat den Angeklagten im Berufungsverfahren wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen verurteilt, ein sechsmonatiges Fahrverbot ausgesprochen und die Einziehung des benutzten Pkw vorbehalten. In der Tatnacht fuhr der Angeklagte in seinem Pkw Audi S3 Sportback. Neben dem Pkw befand sich auf der linken Linksabbiegerspur ein silberner Pkw ähnlicher Größe wie der Pkw des Angeklagten. Nach dem Abbiegevorgang fuhren der Angeklagte und der andere Fahrer zunächst mit angepasster Geschwindigkeit, bis sie dann beide aufgrund konkludenter Absprache zwischen einander ihre Fahrzeuge erheblich beschleunigten, um so auszumessen, wessen Fahrzeug besser beschleunigt. Der Tachometer des hinter den beiden Fahrzeugen fahrenden Streifenwagens zeigte eine Geschwindigkeit von mindestens 130 km/h an, wobei sich der Abstand zu den beiden verfolgten Fahrzeugen vergrößerte. Die Revisionen des Angeklagten und der StA waren hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs erfolgreich.

II. Entscheidung

Zum Schuldspruch sei es ohne Bedeutung, dass das LG von einer erreichten Höchstgeschwindigkeit „um 130 km/h“ ausgeht, ohne in diesem Kontext den im Ordnungswidrigkeitenrecht entwickelten Grundsätzen über die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren, namentlich zur Nachtzeit, Beachtung zu schenken. Wegen des Wettbewerbscharakters des Rennens (KG DAR 2020, 149 = VRR 2/2020, 15/StRR 3/2020, 26 [jew.Burhoff]) seien entsprechende Feststellungen auch ohne genauere Bestimmung der gefahrenen Geschwindigkeit möglich. Mit ihrer Erwägung, zulasten des Angeklagten sei „die erhebliche Geschwindigkeit zu berücksichtigen, die der Angeklagte gefahren ist, und die zulässige Höchstgeschwindigkeit weit überschritt“ habe das LG aber gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB verstoßen. Die Vorschrift gelte über ihren Wortlaut hinaus nicht nur für die Tatbestandsmerkmale im Sinne der Art. 103 Abs. 2 GG unterfallenden Deliktsbeschreibung, sondern auch für sonstige Umstände, in denen die Strafbarkeit einzelner tatbestandsmäßiger Taten begründet ist. Fehlerhaft sei danach die Verwertung von Umständen, die für die Durchführung der Tat typisch sind und diese nicht über den Tatbestand hinaus besonders kennzeichnen oder die die regelmäßigen Begleitumstände einer Tat sind (Regeltatbild) und daher deren Unrechtsgehalt mitprägen. Dem tatbestandsmäßigen Begriff des „Rennens“ sei die Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten und damit auch die deutliche Überschreitung von Geschwindigkeitsbeschränkungen immanent. Das gelte für die Fälle, die den Gesetzgeber veranlasst haben, das Verbot mit einer Strafbewehrung zu versehen und entspreche der forensischen Erfahrung mit der Vorgängervorschrift des § 29 Abs. 1 StVO a.F. Nach den genannten Grundsätzen habe daher dem Angeklagten die erzielte Geschwindigkeit jedenfalls nicht ohne Feststellung weiterer tatprägender Umstände strafschärfend entgegengehalten werden dürfen.

Die Festsetzung der Tagessatzzahl weise einen den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler insoweit auf, als ihm die vorbehaltene Einziehung strafmildernd zugute gebracht wird. Anerkannt sei, dass die Einziehung eines hochwertigen Gegenstandes einen bestimmenden Strafmilderungsgrund darstellt, soweit sie – wie hier – Strafcharakter hat (BGH NStZ 2020, 214). Aus spezial- wie generalpräventiven Gründen solle dem Täter in diesem Fall durch Entziehung seines Eigentums das Verwerfliche seiner Tat nochmals nachdrücklich vor Augen geführt werden. Im Falle des Vorbehalts der Einziehung – verbunden mit der Auflage, das Fahrzeug zu veräußern – trete diese Wirkung indessen jedenfalls nicht ungeschmälert ein; die Möglichkeit der freihändigen Veräußerung biete dem Angeklagten unter Umständen sogar Gelegenheit zur Erwirtschaftung eines Gewinns. Durch die Setzung einer Frist werde die Möglichkeit der Veräußerung jedenfalls zum Zeitwert und damit ohne nennenswerte finanzielle Belastung angesichts des Bestehens von EU-weit agierenden Internet-Verkaufsplattformen nicht grundlegend infrage gestellt. Die mit der Einziehung verbundene Übelszufügung werde auf diese Weise voraussichtlich verfehlt werden. Die Urteilsgründe wiesen nicht aus, dass sich die Berufungsstrafkammer dieser Zusammenhänge bewusst gewesen ist. Der Vorbehalt der Einziehung des Tatfahrzeugs unterliege bereits deswegen der Aufhebung, weil die Kammer insoweit selbst einen Zusammenhang dieser Entscheidung mit der Bemessung der Einzelstrafe hergestellt hat. Bei der Entscheidung über die Einziehung werde der neue Tatrichter zu bedenken haben, dass im Falle der Strafeinziehung für mildere Maßnahmen wenig Raum verbleibt.

Die Begründung, mit der das LG von einer Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 Abs. 1 S. 1 StGB abgesehen hat, erweise sich als zugunsten des Angeklagten rechtsfehlerhaft. Gem. § 69 Abs. 2 Ziff. 1a StGB sei der Täter eines Vergehens des verbotenen Kraftfahrzeugrennens in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen. Zur Widerlegung der Vermutung müssten besondere Umstände objektiver oder subjektiver Art vorliegen, die eine mangelnde Eignung im Tatzeitpunkt oder jedenfalls im Zeitpunkt der Aburteilung ausschließen. Freilich könne eine Ungeeignetheit im Einzelfall ggf. nicht mehr festgestellt werden, wenn der Angeklagte erfolgreich an einem Fahreignungsseminar gem. §§ 4 Abs. 7, 4a StVG, 42 FeV oder an einer Verkehrstherapie teilgenommen hat. Hier verhielten sich die Urteilsgründe allerdings nicht dazu, wer die von dem Angeklagten besuchten Kurse angeboten hat, welchen konkreten Inhalt sie hatten und welche Wirkung sie auf ihn entfaltet haben. Das gelte vorliegend umso mehr, als die Zeit beanstandungsfreien Fahrens nach der Tat auch dann mit gut drei Monaten nur kurz und damit kaum aussagekräftig ist.

Das Tatgericht habe zur Begründung des Fahrverbots ausgeführt, dass die Anordnung der Höchstdauer „im Hinblick auf die Tatumstände, insbesondere die Geschwindigkeit“ zur Einwirkung auf den Angeklagten geboten sei. Das Fahrverbot gem. § 44 StGB sei eine Nebenstrafe. Daher dürfe das Fahrverbot nur verhängt werden, wenn feststeht, dass der mit ihm angestrebte spezialpräventive Zweck mit der Hauptstrafe allein nicht erreicht werden kann (BGHSt 24, 345, 350 = NJW 1972, 1332). Im Falle der Verhängung einer Geldstrafe als Hauptstrafe sei daher und nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit insbesondere zu prüfen, ob nicht im Einzelfall eine Erhöhung der Geldstrafe ausreichend ist, um den Kraftfahrer zu warnen (OLG Hamm DAR 2004, 535 = NZV 2004, 596). Die insoweit erforderliche Gesamtabwägung sei im angefochtenen Urteil unterblieben. Im Übrigen seien Geldstrafe, Fahrverbot und (vorbehaltene) Einziehung Straftatfolgen im Sinne einer Übelszufügung als Reaktion auf vorangegangenes Verhalten. Als solche müssten sie insgesamt der Tatschuld angemessen sein. Auch aus diesem Grund bestehe zwischen den genannten Entscheidungsteilen ein untrennbarer Zusammenhang mit der Folge, dass die Rechtsfolgenbemessung insgesamt der Aufhebung unterliegt.

III. Bedeutung für die Praxis

Zum Tatbestand des seit 13.10.2017 geltenden § 315d StGB sind bereits einige Entscheidungen ergangen, insbesondere zu dessen problematischen Abs. 1 Nr. 3 („Alleinraser“, KG DAR 2020, 149 = VRR 2/2020, 15/StRR 3/2020, 26 [jew.Burhoff]; StraFo 2019, 342 = VRR 9/2091, 15/StRR 11/2019, 21 [jew.Burhoff] = NZV 2019, 314 [Quarch]; OLG Stuttgart NJW 2019, 2787 m. Anm.Zopfs= VRR 9/2019, 16/StRR 11/2019, 23 [jew.Burhoff]); AG Villingen-Schwenningen DAR 2020, 218 = VRR 3/2020, 18/StRR 3/2020, 32 [jew.Deutscher]: Vorlage an BVerfG). Die Rechtsfolgenseite hat bislang kaum Aufmerksamkeit erlangt (zur Einziehung des Tatfahrzeugs LG Berlin NZV 2019, 541 [Winkelmann]). Die Ansicht des OLG Köln zum Doppelverwertungsverbot ist fraglich, da bei Vorliegen eines Rennens die Höhe der Geschwindigkeit das Maß der abstrakten Gefährlichkeit beeinflussen kann (Stichwort: Beherrschbarkeit des Fahrzeugs und der Situation). Der Darstellung zum Regelfall des § 69 Abs. 2 Ziff. 1b StGB und den Auswirkungen der vorbehaltenen Einziehung des Tatfahrzeugs ist nichts hinzuzufügen. Auch die Erwägungen zum Fahrverbot sind nachvollziehbar. Wenngleich ein Regelfall für dessen Anordnung nach § 44 Abs. 1 S. 3 StGB nicht vorliegt, ist dessen Anordnung wegen des Bezugs zum Führen eines Kfz hier zwar naheliegend (vgl. § 44 Abs. 1 S. 2 StGB), bedarf aber als Nebenstrafe einer Gesamtabwägung mit der Geldstrafe als Hauptstrafe sowie den übrigen Rechtsfolgen.

Bedauerlicherweise hat sich das OLG Köln nur zu dem Teilaspekt der „vorbehaltenen“ Einziehung des Tatfahrzeugs geäußert, nicht hingegen zur Einziehung an sich. Das Tatfahrzeug eines verbotenen Rennes kann nach § 315f StGB eingezogen werden. Auch wenn es das Ziel dieser Vorschrift ist, einem solchen Täter sein „Lieblingsspielzeug“ zu entziehen (LG Berlin NZV 2019, 541 [Winkelmann]), handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, bei der gleichwohl und entgegen der Andeutung des OLG Köln auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nach § 74f StGB einschließlich eines möglichen Vorbehalts zu beachten ist und die eine eingehende Begründung verlangt. Angesichts der regelmäßig hochwertigen Tatfahrzeuge wird dieser Komplex die Praxis künftig häufiger beschäftigen.

RiAGDr. Axel Deutscher, Bochum

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