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Pflichtverteidiger bei Kampf um Beweisverwertungsverbot

Es liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung gem. § 140 Abs. 2 StPO aufgrund schwieriger Rechtslage vor, wenn sich Fallgestaltungen die Frage aufdrängt, ob ein Beweisergebnis einem Verwertungsverbot unterliegt, was auch hinsichtlich der Frage der Verwertung einer Wahllichtbildvorlage gilt.

(Leitsatz des Verfassers)

LG Schwerin,Beschl. v.5.3.2020–33 Qs 11/20

I. Sachverhalt

Das AG hat gegen den Angeklagten einen Strafbefehl wegen fahrlässiger Körperverletzung, unerlaubten Entfernens vom Unfallort und vorsätzlichen Führens eines Kraftfahrzeuges ohne die erforderliche Erlaubnis erlassen. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, als Führer eines Pkw ohne im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis gefahren und aus Unachtsamkeit an einer LichtzeichenanIage auf einen dort verkehrsbedingt haltenden Pkw S aufgefahren zu sein. Anschließend sei der Angeklagte ausgestiegen, habe sich den Schaden angesehen und habe der Geschädigten gegenüber geäußert, dass kein Schaden entstanden sei. Tatsächlich sei am Pkw der Geschädigten aber ein Schaden von 3.011,54 EUR entstanden und die Geschädigte habe unfallbedingte Nackenschmerzen erlitten. Sodann habe der Angeklagte in Kenntnis des verursachten Unfallschadens sowie in Kenntnis der nicht vorhandenen Fahrerlaubnis seine Fahrt fortgesetzt.

Gegen den Strafbefehl hat der Angeklagte Einspruch eingelegt. Sein (Wahl-)Verteidiger hat beantragt, ihn als Pflichtverteidiger beizuordnen. Die Rechtslage sei schwierig, da die Frage der Verwertbarkeit einer von den Ermittlungsbehörden durchgeführten Wahllichtbildvorlage geprüft werden müsse. Das AG hat die Bestellung abgelehnt. Das LG hat auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten den Pflichtverteidiger bestellt.

II. Entscheidung

Das LG bejaht einen Fall der notwendigen Verteidigung gem. § 140 Abs. 2 StPO aufgrund der schwierigen Rechtslage. Diese sei dann gegeben, wenn es bei der Anwendung des materiellen oder formellen Rechts auf die Entscheidung nicht ausgetragener Rechtsfragen ankomme, oder wenn die Subsumtion voraussichtlich aus sonstigen Gründen Schwierigkeiten bereiten werde. Hiervon umfasst seien auch Fälle, in denen sich die Frage aufdrängt, ob ein Beweisergebnis einem Verwertungsverbot unterliege (vgl. OLG Brandenburg NJW 2009, 1287 = StRR 2009, 82 [Ls.] = VRR 2009, 83 [Ls.]). Maßgeblich sei insoweit nicht, ob tatsächlich von einem Beweisverwertungsverbot auszugehen ist. Ausreichend sei vielmehr, dass die Annahme eines Verwertungsverbotes ernsthaft in Betracht kommt (LG Hannover, StRR 3/2017, 13 = VRR 5/2017, 15; LG Köln StraFo 2016, 341 = StRR 12/2016, 14).

Hier bestehe die Möglichkeit, dass hinsichtlich der durchgeführten Wahllichtbildvorlage ein Beweisverwertungsverbot greifen könnte. Die Personen auf den Vergleichsbildern müssen in den wesentlichen Vergleichsmerkmalen des äußeren Erscheinungsbildes übereinstimmen, wie z.B. Haar- und Barttracht, Kleidung etc. (Burhoffin: Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl. 2019, Rn 2231). Nach Aktenlage dürfte – so das LG – die Wahllichtbildvorlage diesen Vorgaben nicht entsprechen, da sich die Aufnahme des Angeklagten von den sonst verwendeten Aufnahmen in Bezug auf Haartracht und Kleidung abhebt. Eine Darlegung des Sachverhalts und die Berufung auf die beschriebenen eventuellen Beweisverwertungsverbote sei dem rechtsunkundigen Angeklagten kaum möglich. Es bedürfe weiterhin der Auseinandersetzung mit der Frage, ob ein Berufen auf ein Beweisverwertungsverbot verfahrenstaktisch sinnvoll sei. Hierfür sei es erforderlich, Rücksprache mit einem Rechtsanwalt zu halten. Zudem können die insofern relevanten Rechtsfragen regelmäßig nur nach vollständiger Aktenkenntnis beurteilt werden.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Auf den ersten Blick nicht unbedingt eine Entscheidung, über die man besonders berichten müsste. Denn sie führt hinsichtlich des Merkmals „Schwierigkeit der Rechtslage“ in § 140 Abs. 2 StPO die zum alten Recht vorliegende Rechtsprechung fort (vgl. dazu auchBurhoff, EV, Rn 3164 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung. Ich weise aber deshalb auf die Entscheidung hin, weil sie mit dem Satz schließt: „Überdies wird auch aus der jüngsten Umsetzung der sog. PKH-Richtlinie (EU-RL 201611919) deutlich, dass der Gesetzgeber das Institut der Pflichtverteidigung stärken will.“ Das kann man nur unterstreichen und hoffen, dass die Gerichte diese Intention des Gesetzgebers bei der Auslegung der neuen Vorschriften im Auge behalten (zum neuen RechtHillenbrandStRR 2/2020 4 und StRR 3/2020, 4).

2. Für das Verfahren gilt: Sollte das AG die Erkenntnisse aus der Wahllichtbildvorlage verwerten, muss der Verteidiger dem widersprechen (vgl. dazuBurhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 9. Aufl. 2019, Rn 3340 ff.). Soll die Geschädigte ggf. als Zeugin vernommen werden, spielen, wenn sie den Angeklagten erneut identifizieren sollte, die mit dem sog. wiederholten Wiedererkennen zusammenhängenden Fragen eine Rolle (vgl. dazuBurhoff, EV, Rn 2241 undBurhoff, HV, Rn 1821 ff.).

RADetlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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