Beitrag

Mietwagenkosten bei einem durch einen Gewerbetreibenden angemieteten Pkw

1. Die Höhe der erforderlichen Mietwagenkosten ist nach dem arithmetischen Mittel der Fraunhofer-Liste und des Schwacke-Mietpreisspiegels zu schätzen, § 287 ZPO.

2. Die Frage, ob es sich bei dem vom Geschädigten angemieteten Pkw um ein Selbstfahrervermietfahrzeug handelt, ist bei Anmietung von einem Gewerbetreibenden im Verhältnis zum Schädiger grundsätzlich unbeachtlich.

(Leitsätze des Gerichts)

OLG Dresden, Urt. v. 4.11.2020 – 1 U 995/20

I. Sachverhalt

Der Kläger begehrt nach einem Verkehrsunfall vom 2.5.2019, für welchen die Beklagten vollumfänglich haften, u.a. noch weitere Mietwagenkosten für ein Mietfahrzeug, welches er bei einem Autohandel- und Kfz-Vermittlungs-Service angemietet hatte. Bei dem angemieteten Fahrzeug handelte es sich um einen Werkstattwagen. Dieser war nicht als Selbstfahrervermietfahrzeug zugelassen.

Das beim Unfall beschädigte Fahrzeug ist finanziert. In dem Darlehensvertrag zum klägerischen Fahrzeug ist unter der Rubrik „Berufsgruppe“ „Selbstständiger“ und unter der Rubrik „Arbeitgeber“ „Montagedienstleistungen“ angegeben. Die Beklagten vertreten daher die Auffassung, dass es sich beim Fahrzeug des Klägers um ein gewerbliches Fahrzeug handelt und der Kläger nicht schlüssig zum Verhältnis zwischen der Angemessenheit der angefallenen Mietwagenkosten und dem drohenden Gewinnausfall vorgetragen habe. Im Übrigen müsse sich der Kläger einen Abschlag deswegen anrechnen lassen, weil er das Fahrzeug nicht bei einem gewerbsmäßigen Autovermieter angemietet habe und es sich bei dem Fahrzeug um kein Selbstfahrervermietfahrzeug handele.

II. Entscheidung

Das OLG Dresden schloss sich der Auffassung der Beklagtenseite nicht an und sprach dem Kläger weitere Mietwagenkosten zu. Die Erstattung weiterer Mietwagenkosten scheide im vorliegenden Fall nicht etwa deswegen aus, weil es sich um ein gewerbliches Fahrzeug gehandelt und der Kläger nicht schlüssig zum Verhältnis zwischen der Angemessenheit der angefallenen Mietwagenkosten und dem drohenden Gewinnausfall vorgetragen habe. Den Angaben im Darlehensvertrag könne nur entnommen werden, dass der Kläger als selbstständiger Montagedienstleister tätig sei, nicht jedoch, dass das Fahrzeug – zumindest ausschließlich – zu Gewerbezwecken benutzt werde. Auch den Lichtbildern in der polizeilichen Ermittlungsakte und dem Sachverständigengutachten könne entnommen werden, dass es sich um einen normalen SUV handele, der augenscheinlich nicht zu Gewerbezwecken ausgebaut sei und zudem keinerlei Aufkleber aufweise, die auf den Geschäftsbetrieb des Klägers hinwiesen.

Der Kläger müsse auch nicht – wie von der Beklagten unter Berufung auf die zu Taxi-Unternehmen entwickelte Rechtsprechung des BGH – seine Betriebsergebnisse darlegen. Denn Taxi-Unternehmen hätten in der Regel keine festen Fahrten, weshalb wegen der fehlenden vertraglichen Gebundenheit mit potenziellen Kunden die wirtschaftliche Überlegung naheliegend sei, ob man ein Ersatzfahrzeug zu einem Preis anmiete, der erheblich über den zu erwartenden Einnahmen liegen werde. Anderes müsse gelten, wenn – wie hier – das klägerische Fahrzeug nicht selbst zur Erzielung der Einnahmen genutzt werde, sondern um dem Kläger zu ermöglichen, zu den einzelnen Montageorten zu fahren. Insofern könne der Kläger nicht ohne Weiteres seine Einsätze einfach ausfallen lassen, da er sich anderenfalls vertragswidrig verhalte und ihm Schadensersatzansprüche seiner Auftraggeber drohten. Das wirtschaftliche Interesse des Geschädigten, seinen Vertragspflichten nachzukommen, selbst wenn die Kosten der Anmietung eines Ersatzfahrzeuges höher liegen als die zu erwartenden Einnahmen, sei ausschlaggebend. Soweit sich die Mietwagenkosten daher am Marktpreis ausrichten würden, sei deren Ersatz nicht als unverhältnismäßig i.S.v. § 251 Abs. 2 BGB zu versagen.

Dann aber könne der Kläger die auf Grundlage des arithmetischen Mittels des „Schwacke-Mietpreisspiegels“ und der sog. „Fraunhofer-Liste“ zu schätzenden Mietwagenkosten erstattet verlangen. Eine Abweichung von dieser Schätzgrundlage sei nicht deswegen geboten, weil die Beklagten drei günstigere Angebote für Fahrzeuge der Mietwagengruppe 10 vorgelegt hatten. Denn die Angebote seien bereits deswegen ungeeignet, weil sie aus dem Zeitraum März/April 2020 stammen, während der Unfall am 2.5.2019 stattfand.

Das OLG Dresden teilt nicht die Auffassung, dass die vorgelegten Angebote nicht aus dem Anmietzeitraum stammen müssen, um die Schätzgrundlage zu erschüttern. Die hiervon abweichenden und von den Beklagten zitierten Entscheidungen des OLG Hamburg (DAR 2009, 463), OLG Hamm (r+s 2011, 536) und OLG Koblenz (SP 2015, 193 und BeckRs 2015, 12441) befassten sich entweder ausschließlich mit dem Fraunhofer Marktspiegel oder würden keine nachvollziehbare Begründung für diese Auffassung bieten. Dass im Übrigen selbst das vom Fraunhofer Institut ermittelte niedrigste Angebot erheblich über den Angeboten der Beklagten lag, spreche aus Sicht des OLG eindeutig dafür, dass es sich bei den von den Beklagten vorgelegten Angeboten um „Sonderangebote“ für den Zeitraum März und April 2020 handelte, deren Höhe vermutlich der Corona-Pandemie geschuldet war.

Entgegen der Auffassung der Beklagten müsse sich der Kläger auch keinen Abschlag deswegen anrechnen lassen, weil er das Fahrzeug nicht bei einem gewerbsmäßigen Autovermieter anmietete und es sich bei dem Fahrzeug um kein Selbstfahrervermietfahrzeug handelte. In der Literatur und erstinstanzlichen Rechtsprechung wird die Auffassung vertreten, wonach für den Fall, dass das Fahrzeug nicht bei einem gewerbsmäßigen Autovermieter angemietet wird und es sich bei dem Fahrzeug um kein Selbstfahrvermietfahrzeug handelt, entweder nur ein prozentualer Anteil der Kosten eines gewerblichen Mietvertrages bzw. die Kosten für einen Werkstattersatzfahrwagen zuzusprechen seien. Die o.g. Auffassung stützt sich auf eine Entscheidung des BGH (NJW 1975, 255) und eine Entscheidung des OLG Hamm (SP 1993,115) und beruft sich auf die bei einem Selbstfahrervermietfahrzeug zu erfüllenden umfangreicheren und kostenintensiveren Zulassungsauflagen, z.B. geeichter Tachometer, jährliche TÜV-Prüfung, spezieller Versicherungsbedarf. Ferner seien Mietfahrzeuge mit weiteren preisbildenden Faktoren belastet, wie z.B. allgemeine Geschäftskosten, erhöhte Abschreibung und erhöhte Versicherungsprämie. Diese Faktoren entfielen bei nichtkonzessionierten Ersatzfahrzeugen. Auch wirke sich bei einem Selbstfahrervermietfahrzeug die Tatsache der Benutzung durch viele unterschiedliche Fahrer negativ auf den (Wieder-)Verkaufspreis aus.

Das OLG Dresden schließt sich dieser Auffassung ausdrücklich nicht an. Sowohl die Entscheidung des Bundesgerichtshofs als auch diejenige des Oberlandesgerichts Hamm betrafen aus Sicht des OLG Dresden nicht vergleichbare Fälle, nämlich die Anmietung von Fahrzeugen bei privaten Dritten. In solchen Fällen könne der Geschädigte regelmäßig Erstattung nur nach den von ihm tatsächlich aufgewandten Kosten, nicht nach den gewöhnlich höheren Sätzen der Mietwagenunternehmen verlangen. Fordere der „private“ Vermieter die Sätze gewerblicher Mietwagenunternehmen, liege es nahe, dass nur deshalb eine so hohe Miete vereinbart wird, weil der Schädiger für sie aufzukommen hat.

Diese Situation sei jedoch nicht vergleichbar mit Fällen, in denen der Geschädigte das Ersatzfahrzeug zwar nicht bei einem gewerblichen Autovermieter, aber bei einer Werkstatt oder einem Autohändler bzw. – wie hier – bei einem Autohandel- und Kfz-Vermittlungs-Service anmietet. Solche Kfz-Vermieter vermieten zu vergleichbaren, wenn nicht sogar höheren Preisen als gewerbliche Autovermieter. Ob der Autohändler bzw. der Kfz-Reparaturbetrieb das Fahrzeug als Selbstfahrvermietfahrzeug führt oder nicht, sei Zufall und für den Geschädigten zudem nicht erkennbar.

Auch das Argument der vermeintlich umfangreicheren und kostenintensiveren Zulassungsauflagen bei Selbstfahrervermietfahrzeugen überzeugt das OLG Dresden nicht. Denn großen überörtlichen gewerblichen Autovermietern werden beim Erwerb des Fahrzeuges, beim Abschluss von Versicherungen und auch beim Verkauf des Fahrzeuges erheblich günstigere Konditionen eingeräumt als kleineren Vermietern. Zudem würde hier wettbewerbswidriges Verhalten zu Lasten des Geschädigten sanktioniert, welches jedoch in keinem Zusammenhang mit der Frage der Erforderlichkeit i.S.v. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB stehe.

III. Bedeutung für die Praxis

Dass Werkstattersatzwagen nicht als Selbstfahrervermietfahrzeug zugelassen sind und dennoch gewerbsmäßig vermietet werden, ist wettbewerbswidrig und stellt zudem im Verhältnis zum Versicherer des Fahrzeuges eine Obliegenheitsverletzung dar. Für den Geschädigten als Mieter wird die fehlende Zulassung als Selbstfahrervermietfahrzeug jedoch im Einklang mit der Entscheidung des OLG Dresden im Zweifel überhaupt nicht erkennbar und für die Frage der Höhe erstattungsfähigen Mietwagenkosten in der Regel unbeachtlich sein.

Insgesamt bietet die Entscheidung des OLG Dresden überzeugende Argumente gegen die im Mietwagenprozess regelmäßig erhobenen Einwendungen zur Höhe der erstattungsfähigen Kosten. Insbesondere die Argumentation im Hinblick auf die Eigenschaft als Gewerbetreibender überzeugt. Auch zeigt die Entscheidung, dass es sich immer lohnt, von der Gegenseite zitierte Urteile kritisch auf ihre Fallbezogenheit zu überprüfen.

RA und FA für VerkehrsR Markus Schroeder, Velbert

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