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Leivtec XV 3 ist kein standardisiertes Messverfahren

Geschwindigkeitsmessungen mit dem Messgerät Leivtec XV 3 sind in ihrer Gesamtheit auch nach Abschluss der Untersuchungen durch die PTB derzeit nicht als standardisiertes Messverfahren anzusehen.

OLG Oldenburg, Beschl. v. 19.7.2021 – 2 Ss (OWi) 170/21

I. Sachverhalt

Das AG hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 440 EUR und einem zweimonatigen Fahrverbot verurteilt. Nach den Feststellungen ist die Geschwindigkeitsüberschreitung mittels des Geschwindigkeitsmessgerät Leivtec XV 3 Typ 1 festgestellt worden. Dagegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde. Der Einzelrichter hat die Entscheidung gemäß § 80 Abs. 3 OWiG auf den Senat übertragen. Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Das OLG führt aus: Das AG sei bei seinem Urt. v. 4.2.2021 davon ausgegangen, dass ein standardisiertes Messverfahren vorliege. Der Senat habe danach, nämlich in seinem Beschl. v. 20.4.2021 (2 Ss (OWi) 92/21) ausgeführt, dass er zum damaligen Zeitpunkt die Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens nicht mehr angenommen hat. Auf den Beschluss sowie den vorherigen Beschluss des Senats vom 16.3.2021 (2 Ss (OWI) 67/21; s DAR 2021, 345) werde verwiesen.

Nachdem die PTB ihre Untersuchungen abgeschlossen habe, sei festzustellen, dass das verwendete Messgerät unter Zugrundelegung auch der geänderten Bedienungsanleitung unzulässige Messwertabweichungen aufweise, wobei Abweichungen zu Ungunsten Betroffener nur bei Rechtsmessungen festgestellt worden sind. Unzulässige Abweichungen seien festgestellt worden, wenn das Kennzeichen nicht vollständig vom Messung-Start-Bild abgebildet war und die Messstrecke weniger als 12,2 m betragen habe. Der Senat habe erwogen, Messungen, bei denen diese kritischen Konstellationen vorgelegen haben, nicht mehr als standardisiert anzusehen, das Messverfahren im Übrigen aber schon. Diese Überlegung habe der Senat allerdings verworfen: Gemäß § 55 MessEG haben nämlich die zuständigen Behörden die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, wenn sie den begründeten Verdacht haben, dass Messgeräte nicht entsprechend den Anforderungen des Abschnittes 3 verwendet werden. Der Senat habe deshalb mit Schreiben vom 18.6.2021 die zuständige Eichdirektion in Hessen zunächst mit der Bitte um Stellungnahme, ob und gegebenenfalls wie auf die Problematik reagiert werden solle, angeschrieben und – nachdem von dort mitgeteilt worden war, dass die Eichbehörden vom Hersteller und der PTB eine Anpassung der Messbedingungen und Auswerterichtlinien erwarten würden – mit Schreiben vom 23.6.2021 unter Hinweis auf § 55 MessEG zum Ausdruck gebracht, dass dringender Handlungsbedarf gesehen werde. Daraufhin habe die für die Marktüberwachung zuständige Eichdirektion mitgeteilt, nach ihrer Auffassung seien die „wesentlichen Anforderungen nach § 6 Abs. 2 [MessEG] unter Einhaltung der Verkehrsfehlergrenzen“ zu bejahen, nur der „Stand der Technik“ habe sich geändert und sei bei der Durchführung von Messungen vom Verwender zu berücksichtigen. Es bestehe keine Möglichkeit, den Hersteller bzw. die PTB zur Anpassung der Auswerterichtlinien bzw. der Bedienungsanleitung zu zwingen. Unter Berücksichtigung der im Gesetz verankerten Zuständigkeiten sehe der Senat es aber nicht als seine Aufgabe an, quasi anstelle der zum Tätigwerden berufenen Beteiligten (Hersteller, Behörden) die Bedienungsanleitung fortzuschreiben.

Das OLG Celle habe mit Beschl. v. 18.6.2021 (2 Ss (OWi) 69/21, VRR 7/2021, 4 [Ls.]) ebenfalls festgestellt, dass es sich bei Messungen mit dem Messgerät Typ1 derzeit insgesamt nicht um ein standardisiertes Messverfahren handele und sich damit der vom Senat vertretenen Auffassung angeschlossen. Es habe dies u.a. damit begründet, dass seitens der PTB keine eindeutige Aussage dahingehend getroffen worden sei, dass unzulässige Messwertabweichungen zu Ungunsten Betroffener nur in Fällen von Rechtsmessungen auftreten. Dass seitens der PTB keine „Garantie“ dafür übernommen werde, dass in anderen Konstellationen keine Messfehler auftreten, sei dem Berichterstatter im Rahmen dieser Problematik geführter Gespräche von der PTB ebenfalls bestätigt worden. Der Senat halte deshalb an seiner bereits im oben genannten Beschl. v. 20.4.2021 dargelegten Auffassung, dass ein standardisiertes Messverfahren derzeit nicht vorliegt, fest. Hierunter sei „ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren zu verstehen, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind“ (BGHSt 43, 277). Ein Messverfahren, bei dem es auch unter Einhaltung der Bedienungsanleitung zu unzulässigen Messwertabweichungen kommen könne, erfülle diese Anforderung aber nicht.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Bislang hatte das OLG die Verfahren, denen eine Messung mit Leivtec XV 3 zugrunde gelegen hat, generell eingestellt. Nachdem nunmehr aber die abschließende Stellungnahme der PTB vorliegt, kommt das nicht mehr in Betracht. Vielmehr ist jetzt davon auszugehen, dass kein standardisiertes Messverfahren mehr vorliegt. Konsequenz des Nichtvorliegens eines standardisierten Messverfahrens ist, dass sich das AG im Einzelfall von der Richtigkeit der Messung überzeugen muss. Dazu wird es sich sachverständiger Hilfe bedienen müssen, worauf das OLG ausdrücklich hinweist (vgl. im Übrigen auch Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl., 2021, Rn 2299 ff.). Daher hat das OLG aufgehoben und zurückverwiesen.

2. Für neue Verfahren hat das OLG die AG ausdrücklich auf § 69 Abs. 5 OWiG hingewiesen. Das OLG geht also derzeit von einer offensichtlich ungenügender Aufklärung des Sachverhalts durch die Verwaltungsbehörde aus, wenn diese ohne Sachverständigengutachten das Verfahren dem AG vorlegt. Dann muss/kann der Richter beim Amtsgericht die Sache unter Angabe der Gründe mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft an die Verwaltungsbehörde zurückverweisen.

3. Für „Altverfahren“ sollte der Verteidiger die Möglichkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens nicht übersehen (vgl. dazu u.a. AG Güstrow, Beschl. v. 9.6.2021 – 971 OWi 458/21; AG Oldenburg, Beschl. v. 28.6.2021 – 29 OWi 775 Js 56106/21). Die Voraussetzungen ergeben sich aus § 85 OWiG (dazu Burhoff/Gübner, OWi, Rn ).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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