(1) Führt ein Fahrzeugführer ein Auffahrunfall des nachfolgenden Lkw auf der Autobahn durch ein mehrfaches gezieltes Ausbremsen herbei, ist er für den dadurch entstandenen Schaden allein verantwortlich.
(2) Sein Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer wird dabei allerdings gemäß § 103 VVG leistungsfrei, wenn der Unfallverursacher den Fremdschaden am Lkw zumindest billigend in Kauf genommen hat.
(Leitsätze des Verfassers)
LG Bochum, Urt. v. 14.1.2021 – I 8 O 428/19
I. Sachverhalt
Der Kläger verlangt Schadensersatz, nachdem er mit seinem Lkw auf das Fahrzeug des Beklagten zu 1) auf der Autobahn BAB 40 im Ruhegebiet aufgefahren war. Durch eine Aufnahme aus einer Dashcam, die im Bereich der Frontscheibe seines Lkw angebracht war, konnte er im Prozess allerdings nachweisen, dass der Beklagte zu 1) ihm vor dem Auffahrvorgang mehrfach durch ein grundloses Abbremsen bis auf einen Bereich von 20-30 km/h im fließenden Verkehr auf der Autobahn provoziert hatte und es sodann beim dritten Abbremsvorgang zum Auffahrunfall gekommen ist.
II. Entscheidung
Nach der Auswertung des Dashcam Videos ist die Kammer beim LG Bochum zu der Auffassung gekommen, dass der Beklagte zu 1) durch das Wiederholte grundlose abbremsen auf der Autobahn die entscheidende Unfallursache gesetzt und deswegen alleine für die Unfallfolgen einzustehen hat. Seine Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung, die im Prozess für den Beklagten zu 1) im Wege der Nebenintervention aufgetreten war, war nach Ansicht der Kammer dagegen nicht zu einer Zahlung gegen den Kläger verpflichtet: Insoweit würde ein Risikoausschluss nach § 103 VVG eingreifen, da der Beklagte zu 1) bei seinem besonders gefahrenträchtigen Verhalten ein Auffahrvorgang und damit zwangsläufig auch einen Frontschaden im Bereich des Lkw zumindest billigend in Kauf genommen hätte.
III. Bedeutung für die Praxis
In dem hier vorliegenden Verfahren ist von der Beklagtenseite der Verwertung der Aufnahmen aus der Dashcam nicht widersprochen worden, sodass diese im Termin zur mündlichen Verhandlung in Augenschein genommen und durch den Kläger so das erhebliche Fehlverhalten des Beklagten zu 1) bewiesen werden konnte (vgl. hierzu Nugel, VRR 2/2015, 4 ff.). Bei einem derart gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr mit einem sogar mehrfach erfolgten gezielten Ausbremsen wie hier durch den Beklagten zu 1) entspricht es dabei auch ständiger Rechtsprechung, dass dieser selbst bei einem unterstellten leichten Verschulden des auffahrenden Fahrzeugführers alleine für die Unfallfolgen einzustehen hat (vgl. OLG Celle VRR 6/2020, 3 [Ls.]). Ggf. hätte hier noch problematisiert werden können, ob aufgrund des mehrfachen Ausbremsens nicht auch eine Möglichkeit der Vermeidbarkeit für den Lkw Fahrer bestanden hat, die ausnahmsweise zu einer wenn auch geringen Mithaftung hätte führen können – in jedem Fall liegt im Verhältnis zwischen diesen beiden Beteiligten der entscheidende Verursachungsbeitrag beim Pkw Fahrer.
Dieser hat allerdings zurecht kein Deckungsschutz in der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung auch im Außenverhältnis zum Kläger erfahren. Insoweit greift der Risikoausschluss des § 103 VVG ein, wenn der betroffene Fahrzeugführer den entstandenen Fremdschaden zumindest billigend in Kauf genommen hat und zugleich Halter des Fahrzeuges ist (so bereits BGH NJW 1971, 459 zu § 152 VVG a.F.; OLG Nürnberg, Urt. v. 7.6.2011 – 3 O 188/11; OLG Celle, Urt. v. 30.6.2010 – 14 U 6/10). Bei einem derart gefahrenträchtigen Verhalten wie hier mit einem wiederholten Ausbremsen nahezu bis zum Stillstand im fließenden Verkehr auf der Autobahn konnte der Beklagte zu 1) nur noch auf einen guten Ausgang hoffen, aber nicht mehr vertrauen und hat damit nachvollziehbar den entstandenen Fremdschaden, der zwangsläufig bei einem Auffahrvorgang entsteht, zumindest billigend in Kauf genommen. Da es sich um ein nicht versichertes Risiko handelt, greifen diese Einwendungen auch im Verhältnis zum Kläger als Geschädigten im Außenverhältnis.
RA/FA für Verkehrs- und VersR Dr. Michael Nugel, Essen