Unter Geltung des RVG ist in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren grundsätzlich der Ansatz der Mittelgebühr als Ausgangspunkt der Gebührenbemessung gerechtfertigt.
(Leitsatz des Verfassers)
AG Trier, Beschl. v. 8.12.2020 – 35a OWi 58/20
I. Sachverhalt
Die Betroffene wendet sich mit ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Kostenfestsetzungsbescheid der Bußgeldbehörde. Dieser waren durch Beschluss des AG Trier vom 21.10.2020 (vgl. VRR 1/2021, 23 [in dieser Ausgabe]) die notwendigen Auslagen der Betroffenen auferlegt worden.
Die Verteidigerin bezifferte ihre Gebühren und Auslagen für das vorbereitende und das gerichtliche Verfahren auf insgesamt 557,78 EUR. Dabei legte sie bei der Gebührenbemessung jeweils die Mittelgebühr zugrunde. Die Bußgeldbehörde setzte im Kostenfestsetzungsbescheid nur Auslagen und Gebühren in Höhe von 198,18 EUR fest und lehnte den weitergehenden Antrag ab. Der dagegen gerichtete Der Antrag der Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung hatte überwiegend Erfolg.
II. Grundsätzlich Mittelgebühr angemessen
Das AG hat die Kürzung der Grundgebühr nach Nr. 5100 VV RVG sowie der Verfahrensgebühr nach Nr. 5103 VV RVG als ungerechtfertigt angesehen. Nach den in § 14 RVG vorgegebenen Kriterien seien die Gebühren unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen zu bestimmen. Die Bestimmung sei nur dann nicht verbindlich, wenn sie unbillig sei (§ 14 Abs. 1 S. 3 RVG). Das sei hier jedoch nicht der Fall.
Es sei nämlich die Mittelgebühr festzusetzen gewesen. Unter der Geltung der BRAGO sei streitig gewesen, ob in Bußgeldverfahren wegen alltäglicher Verkehrsordnungswidrigkeiten die Mittelgebühr oder lediglich nur im unteren Bereich des jeweiligen Rahmens liegende Gebühren als angemessen angesehen werden können. Unter der Geltung des RVG sei jedoch nach weit überwiegender Rechtsprechung bei straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren grundsätzlich der Ansatz der Mittelgebühr als Ausgangspunkt gerechtfertigt. Insbesondere sei die Mittelgebühr in der Regel als gerechtfertigt angesehen, wenn ein Fahrverbot in Frage stehe oder Eintragungen in das FAER (früher Verkehrszentralregister; wegen Rechtsprechungsnachweise Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, 6. Aufl. 2021, Vorbem. 5 VV Rn 54 ff.). Dies sei hier der Fall. In dem (ursprünglichen) Bußgeldbescheid vom 16.6.2020 sei gegen die Betroffene ein Bußgeld in Höhe von 80,00 EUR festgesetzt und ein Fahrverbot von 1 Monat angeordnet worden. Unerheblich sei, dass selbst ohne Einlegung eines Einspruchs die Nebenfolge des Fahrverbotes aufgrund zwischenzeitlich erfolgten Weisungen des zuständigen Ministeriums nicht vollstreckt worden wäre, da auch ein Bußgeld in Höhe von 80,00 EUR die Eintragung von einem Punkt im FAER nach sich ziehe.
Auch unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, sei vorliegend die Mittelgebühr nicht herabzusetzen. Entgegen der Auffassung der Bußgeldbehörde sei das vorliegende Verfahren als absolut durchschnittliche Verkehrsordnungswidrigkeit einzustufen. Allein aus dem Grund, dass bei Erlass des ersten Bußgeldbescheides am 16.6.2020 der Bußgeldbehörde noch keine Hinweise auf den Verstoß gegen das Zitiergebot vorlagen, könne darauf geschlossen werden, dass eine anwaltliche Tätigkeit von nicht nur unterdurchschnittlicher Schwierigkeit vorgelegen habe. Vielmehr musste auch nach Bekanntwerden des Verstoßes von Art. 3 (Änderung der Bußgeldkatalog-Verordnung) der 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften gegen das Zitiergebot anwaltlich geprüft werden, ob tatsächlich ein Verstoß gegen Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG vorlag. Der Verstoß gegen das Zitiergebot sei nicht derart offensichtlich, dass von einer einfachen Angelegenheit ausgegangen werden könne. In diesem Kontext werde auch auf die fehlerhafte Annahme des Justizministeriums Baden-Württemberg hingewiesen, dass die StVO-Novelle von 2013 auch das Zitiergebot verletze. Die Angelegenheit sei daher insgesamt als durchschnittlich anzusehen. Nach alledem sei die Beantragung der Festsetzung der Mittelgebühr nicht unbillig gewesen.
III. Bedeutung für die Praxis
Eine weitere Entscheidung, die zutreffend auch in (straßenverkehrsrechtlichen) Bußgeldverfahren grundsätzlich die Mittelgebühr als Grundlage für die anwaltliche Gebührenbemessung ansieht. Das ist zutreffend (vgl. dazu eingehend Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, 6. Aufl. 2021, Vorbem. 5 VV Rn 54 ff. m.w.N.). Zudem stellt das AG zutreffend darauf ab, dass es sich bei dem Verfahren, in dem um die Frage der Verletzung des sog. Zitiergebotes gestritten worden ist, eben nicht um ein unterdurchschnittliches Verfahren, bei dem die Mittelgebühr ggf. unterschritten werden könnte, handelt.
RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg