1. Zur Gebührenbemessung im Bußgeldverfahren.
2. Die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG entsteht nicht dadurch, dass der Verteidiger durch Anträge pp. den Eintritt der absoluten Verjährung erreicht und dann das Verfahren von Amts wegen eingestellt wird.
(Leitsätze des Verfassers)
LG Bayreuth, Beschl. v. 13.10.2020 – 3 Qs 84/20
I. Sachverhalt
Der Rechtsanwalt war Verteidiger des Betroffenen in einem straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren. Der Bußgeldbescheid sah die Festsetzung einer Geldbuße in Höhe von 160 EUR und ein Fahrverbot von einem Monat vor. Zudem wurden zwei Punkte verhängt. Der Betroffene hat gegen den Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt. Das AG bestimmte Termin zur Hauptverhandlung auf den 6.9.2018. In diesem wurde die Einholung eines Sachverständigengutachtens beschlossen. Der beauftragte Sachverständige legte sein Gutachten am 18.2.2019 vor. In der Folgezeit sind vom AG mehrere Hauptverhandlungstermine bestimmt worden. Zur Durchführung der Hauptverhandlung ist es jedoch aufgrund von Verhinderungen des Betroffenen, des Gerichts oder des Sachverständigen und Erkrankung des Betroffenen nicht mehr gekommen. Das AG hat dann schließlich das Verfahren gem. § 206a StPO – Eintritt der absoluten Verjährung – eingestellt. Die notwendigen Auslagen des Betroffenen wurden der Staatskasse auferlegt.
Der Verteidiger hat Kostenerstattung beantragt und u.a. eine Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG in Höhe von 150 EUR, eine Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG in Höhe von 290 EUR, eine Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG in Höhe von 240 EUR, eine Terminsgebühr Nr. 5115 VV RVG in Höhe von 382,50 EUR und eine zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5115, 5109 VV RVG geltend gemacht. Die Bezirksrevisorin hat den Gebührenansatz als zu hoch beanstandet und ausgeführt, dass die Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG nicht entstanden sei. Das AG hat sodann die Grundgebühr in Höhe von 100 EUR, beide Verfahrensgebühren in Höhe von jeweils 192 EUR und die Terminsgebühr in Höhe von 160 EUR festgesetzt. Die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG ist nicht festgesetzt worden. Dagegen hat der Verteidiger Rechtsmittel eingelegt, das keinen Erfolg hatte.
II. Entscheidung
Das LG geht davon, dass unter Berücksichtigung der Vorgaben des § 14 RVG festzustellen sei, dass es sich um eine einfach gelagerte Verkehrsordnungswidrigkeitssache gehandelt habe. Es sei im Wesentlichen um die Frage der Einhaltung des erforderlichen Abstands und der Fahrereigenschaft des Betroffenen gegangen, der im Verwaltungsverfahren seine Fahrereigenschaft noch eingeräumt und im gerichtlichen Verfahren diese dann bestritten habe. Aufgrund der drohenden Geldbuße in Höhe von 160 EUR, der Anordnung eines Fahrverbots von einem Monat und der Verhängung von zwei Punkten im FAER sei die Bedeutung der Angelegenheit für den Betroffenen als durchschnittlich anzusehen.
Die Mittelgebühr in Höhe von 100 EUR bei der Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG sei – so das LG – nach Maßgabe des § 14 RVG angemessen. Ebenso war, da sowohl der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit als auch deren Schwierigkeit im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde als leicht überdurchschnittlich anzusehen sei, der Ansatz einer Gebührenhöhe leicht über der Mittelgebühr bei der Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG angemessen.
Bei der Terminsgebühr hat das LG – wie schon das AG nur eine knapp 30 % der Mittelgebühr liegende Gebühr als angemessen angesehen. Mit der Terminsgebühr solle vorrangig der zeitliche Aufwand vergütet werden, den ein Rechtsanwalt durch die Teilnahme an der Hauptverhandlung habe. Der Hauptverhandlungstermin habe lediglich 6 Minuten gedauert zuzüglich einer Wartezeit von 5 Minuten. Aufgrund dieser geringen Terminsdauer sei die durch das AG festgesetzte Terminsgebühr angemessen.
Auch bei der Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG geht das LG aufgrund des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit als auch deren Schwierigkeit von einem leicht überdurchschnittlichen im gerichtlichen Verfahren aus, das den Ansatz einer leicht über der Mittelgebühr liegenden Gebühr rechtfertige.
Die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG hat das LG nicht festgesetzt. Der Beschluss des AG, mit dem das Verfahren gegen den Betroffenen gemäß § 206a StPO eingestellt wurde, sei ohne Mitwirkung des Verteidigers erfolgt. Zwar stehe dem Anfall der Gebühr Nr. 5115 VV RVG nicht entgegen, dass bereits eine Hauptverhandlung stattgefunden hat. Es sei nämlich ist nicht auf einen ersten Hauptverhandlungstermin abzustellen, sondern darauf, dass durch die Einstellung überhaupt ein Hauptverhandlungstermin entbehrlich wird, wobei unerheblich sei, warum die Hauptverhandlung nicht zu Ende geführt wurde. Jedoch sei Voraussetzung für das Entstehen der zusätzlichen Verfahrensgebühr, dass sich durch die anwaltliche Mitwirkung das Verfahren erledige oder die Hauptverhandlung entbehrlich werde. Das sei Voraussetzung für das Entstehen der Gebühr.
Eine anwaltliche Mitwirkung im Sinne von Nummer 5115 VV RVG setze voraus, dass der im Verfahren tätige Verteidiger die endgültige Verfahrenseinstellung zumindest gefördert haben müsse, ohne dass es allerdings eines konkreten Beitrags zur Sachaufklärung bedürfe. Ausreichend für eine fördernde Tätigkeit sei vielmehr jede hierzu geeignete Tätigkeit. Die anwaltliche Tätigkeit müsse jedoch im Sinne eines Ursächlichkeitszusammenhangs geeignet gewesen sein, das Verfahren in Richtung einer Erledigung bzw. Einstellung lenkend zu beeinflussen. Hieran fehle es jedoch. Nicht ausreichend sei es, wenn das Verfahren ausschließlich von Amts wegen eingestellt werde (AG Viechtach AGS 2006, 289; ähnlich AG Hamburg-Barmbek JurBüro 2011, 365; ebenso Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 5115 VV Rn 12). Der Verteidiger des Betroffenen habe keine im Hinblick auf die Verjährungseinstellung gemäß § 206a StPO fördergeeignete Tätigkeit entfaltet. Hierfür reiche es nicht aus, dass der Verteidiger zunächst umfangreich zur Sach- und Rechtslage vorgetragen habe, zumal er eine Einstellung dabei nicht angeregt habe. Auch die gestellten Beweis- und Verlegungsanträge würden keine entsprechende Mitwirkung darstellen, die auf die diesbezügliche Förderung des Verfahrens gerichtet sind. Die Einstellung wegen Verjährung sei von Amts wegen unabhängig vom Einlassungsverhalten des Betroffenen und der Tätigkeiten des Verteidigers erfolgt. Allein durch Zeitablauf sei Verjährung eingetreten, sodass das Verfahren deshalb wegen eines Verfahrenshindernisses von Amts wegen zwingend eingestellt werden musste (vgl. hierzu LG Kassel RVGreport 2019, 342 = StRR Sonderausgabe 7/2020, 24 = 8/2019, 34).
Auch nach Sinn und Zweck kommt nach Auffassung der Kammer die entsprechende Gebühr nicht zum Ansatz. Sinn und Zweck der Befriedungsgebühr sei es, intensive und zeitaufwendige Tätigkeiten des Verteidigers, die zu einer Vermeidung der Hauptverhandlung und damit zum Verlust der Hauptverhandlungsgebühr geführt haben, gebührenrechtlich zu honorieren. Die Gebühr sei demnach ein Anreiz, sich trotz der Gebühreneinbuße dennoch um eine möglichst frühzeitige Erledigung des Verfahrens ohne Hauptverhandlung zu bemühen. Ausweislich einer Stellungnahme sei es von Anfang an das Ziel der Verteidigung gewesen, das Verfahren so weit in die Länge zu ziehen, dass absolute Verfolgungsverjährung eintrat. Zudem sollte das Verfahren durch die Stellung von Beweisanträgen zur Einholung von Sachverständigengutachten und durch Terminsverlegungsgesuche zeitlich in die Länge gezogen werden. Eine Honorierung dieser Vorgehensweise würde den Sinn und Zweck der entsprechenden Befriedungsgebühr in sein völliges Gegenteil verkehren.
III. Bedeutung für die Praxis
1. Gegen die Bemessung der Gebühren ist m.E. nichts einzuwenden. Das LG geht zutreffend von der Mittelgebühr aus und erhöht bzw. vermindert die entsprechend den jeweiligen bei den einzelnen Gebühren zu berücksichtigenden Umständen des Einzelfalls.
2. Unzutreffend ist m.E. aber die Nichtgewährung der Nr. 5115 VV RVG. Der Verteidiger hat umfassend vorgetragen, wie es das LG selbst feststellt. Wenn es dann das AG nicht schafft, diesen Vortrag umzusetzen und das Verfahren – auch durch Durchführung einer Hauptverhandlung – so rechtzeitig fortzusetzen, dass keine Verjährung eintritt, ist das nicht dem Verteidiger anzulasten, indem man ihm die Nr. 5115 VV RVG nicht gewährt. Und das dann auch noch mit dem in meinen Augen lächerlichen Argument, der Verteidiger habe ja selbst nicht Einstellung beantragt und es sei von Amts wegen eingestellt worden. Warum sollte der Verteidiger, wenn absolute Verjährung eingetreten und das Verfahren zwingend einzustellen ist, dass auch noch beantragen müssen? Es ist auch nicht so, dass das Verfahren ausschließlich von Amts wegen eingestellt worden ist, vielmehr ist der Verteidiger durch entsprechende Antragstellung im gerichtlichen Verfahren, die zu einem Sachverständigengutachten und zu einem ergänzenden Gutachten geführt hat, tätig gewesen. Auch der Hinweis des LG auf eine erforderliche Eignung der Mitwirkungshandlung geht fehlt, wenn darunter zu verstehen ist, dass damit ein „konkrete Fördereignung“ gemeint ist (so aber auch LG Kassel, a.a.O.). Denn das verlangt die Nr. 5115 VV RVG nicht. Das ist nichts anderes, worauf ich schon in RVGreport 2019, 343 hingewiesen habe, als die Einführung des Merkmals der „Ursächlichkeit“ durch die Hintertür, zumal hier ja Ursächlichkeit gegeben war. Und schließlich: Bei der Nr. 5115 VV RVG geht es auch nicht darum, die Vorgehensweise des Verteidigers und/oder seine Strategie zu honorieren bzw. abzustrafen. Das klingt aber leider im Beschluss an.
RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg