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Erhöhung der Regelgeldbuße beim Vorbeifahren an hintereinander aufgestellten Verkehrszeichen

Fährt der Betroffene an mehrfach hintereinander aufgestellten, die Höchstgeschwindigkeit beschränkenden Verkehrszeichen vorbei, ohne seine Geschwindigkeit entsprechend anzupassen, so handelt er – wenn nicht gar vorsätzlich – mit gegenüber dem Regelfall gesteigerter Fahrlässigkeit, was durch Erhöhung der Regelgeldbuße geahndet werden kann.

(Leitsatz des Gerichts)

OLG Koblenz, Beschl. v. 8.3.2021 – 4 OWi 6 SsRs 26/21

I. Sachverhalt

Das AG hat gegen den Betroffenen wegen einer fahrlässig begangenen Überschreitung der außerhalb geschlossener Ortschaften zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 21 km/h eine gegenüber dem Regelsatz (70 EUR) erhöhte Geldbuße von 85 EUR festgesetzt. Diese Erhöhung hat das AG damit begründet, dass die die Beschränkung anordnenden Verkehrszeichen vor der Messstelle dreimal beidseitig wiederholt aufgestellt waren. Die zur Fortbildung des Rechts zugelassenen Rechtsbeschwerde des Betroffenen blieb erfolglos.

II. Entscheidung

Es sei nicht zu beanstanden, dass das AG die Regelgeldbuße von 70 EUR um 15 EUR erhöht hat, weil es dem Betroffenen eine erhöhte Fahrlässigkeit angelastet hat. In der Rechtsprechung des OLG Koblenz werde die Frage, ob der Betroffene mit erhöhter Fahrlässigkeit handelt, wenn er mehrere beidseitig aufgestellte Verkehrszeichen ignoriert, ohne sein Fahrverhalten entsprechend anzupassen, unterschiedlich beantwortet. Der Senat entscheidet die Rechtsfrage jetzt dahingehend, dass in den besagten Fällen ein gegenüber dem Regelfall der Fahrlässigkeitsvorwurf als erhöht anzusehen ist, was es rechtfertigte, die Regelgeldbuße entsprechend zu erhöhen. Grundsätzlich seien die Regelsätze der BKatV für die Gerichte verbindlich, da sie Rechtssatzqualität haben. Dabei gingen die Bußgeldregelsätze für fahrlässiges Handeln von gewöhnlichen Fällen aus; ein Abweichen hiervon sei nur dann angezeigt, wenn außergewöhnliche, besondere Umstände vorliegen, die nicht dem durchschnittlichen Fahrlässigkeitsgrad entsprechen. Dies ergebe sich aus § 17 Abs. 3 OWiG, wonach Grundlage für die Zumessung der Geldbuße die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und der Vorwurf sind, der den Täter trifft. Für einen erhöhten Sorgfaltsverstoß und die damit einhergehende besondere individuelle Vorwerfbarkeit sprächen zunächst Sinn und Zweck der Mehrfachbeschilderung. Nach Ziffer I. zu Zeichen 274 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) v. 26.1.2001 sollen Geschwindigkeitsbeschränkungen aus Sicherheitsgründen angeordnet werden, wenn Unfalluntersuchungen ergeben haben, dass häufig geschwindigkeitsbedingte Unfälle aufgetreten sind. Dies gelte jedoch nur dann, wenn festgestellt worden ist, dass die geltende Höchstgeschwindigkeit von der Mehrheit der Kraftfahrer eingehalten wird. Im anderen Fall müsse die geltende zulässige Höchstgeschwindigkeit durchgesetzt werden. Geschwindigkeitsbeschränkungen könnten sich im Einzelfall schon dann empfehlen, wenn aufgrund unangemessener Geschwindigkeiten häufig gefährliche Verkehrssituationen festgestellt werden. Außerhalb geschlossener Ortschaften sollten Geschwindigkeitsbeschränkungen nach Maßgabe der voranstehenden Erwägungen der VwV-StVO angeordnet werden, wo Fahrzeugführer insbesondere in Kurven, auf Gefällstrecken und an Stellen mit besonders unebener Fahrbahn ihre Geschwindigkeit nicht den jeweiligen Straßenverhältnissen anpassen; die zulässige Höchstgeschwindigkeit solle dann auf diejenige Geschwindigkeit festgelegt werden, die vorher von 85 % der Fahrzeugführer von sich aus ohne Geschwindigkeitsbeschränkungen, ohne überwachende Polizeibeamte und ohne Behinderung durch andere Fahrzeuge eingehalten wurde.

Daraus folge, dass ein Fahrzeugführer davon auszugehen hat, dass er sich mit seinem Fahrzeug auf einer besonders unfall- oder sonst gefahrenträchtigen Strecke befindet, wenn er ein geschwindigkeitsbeschränkendes Verkehrszeichen passiert. Der Erfolgsunwert seines Handels bzw. der Sorgfaltspflichtverstoß sei darin zu sehen, dass der Verkehrsteilnehmer, der die Geschwindigkeit seines Fahrzeugs nicht reduziert, die Gefahrenwarnung des Verkehrszeichens ignoriert und deshalb nicht nur sich, sondern auch andere Verkehrsteilnehmer gefährdet. Ist eine Unfall- oder Gefahrenstelle nicht durch ein, sondern durch mehrere, mit Abstand hintereinander aufgestellte geschwindigkeitsbeschränkende Verkehrszeichen als solche besonders kenntlich gemacht, so werde dies einen verantwortungsbewussten Verkehrsteilnehmer in besonderer Weise dazu veranlassen, vorsichtig zu fahren und sich durch einen Blick auf den Tachometer zu vergewissern, ob er die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit einhält bzw. sein Fahrverhalten entsprechend darauf einzustellen. Denn ein solcher Fahrer werde der Mehrfachfachbeschilderung die Warnung vor einer besonders gefährlichen und unfallträchtigen Stelle entnehmen. Ein Fahrer, der eine solche Beschilderungssituation ignoriert, handele deshalb mit in zweifacher Hinsicht gesteigerter Fahrlässigkeit, denn er ignoriere nicht nur die Botschaft der besonderen Unfall- oder Gefahrenträchtigkeit, sondern dies auch nicht nur in einem kurzen Augenblick, sondern über einen längeren Zeitraum hin.

Der Sinn und Zweck der dreifach hintereinander aufgestellten Schilder sei auch im konkreten Fall darin begründet, dass unmittelbar auf die Messstelle ein Unfallschwerpunkt folgt, zu dessen Entschärfung die Geschwindigkeitsbeschränkung und die zu ihrer Überwachung aufgebaute stationäre Messanlage dienten. Ihr gehe über mehrere Kilometer eine Gefällestrecke voraus, aus der die besondere Unfallgefährlichkeit des Streckenabschnitts erwächst. Passiert der Betroffene, wie hier, auf einer mehrere Kilometer reichenden Gefällestrecke drei im Abstand hintereinander aufgestellte Verkehrszeichen, die er neben leicht erkennbaren Gegebenheiten wie dem Gefälle vor der Messstelle als Anhaltspunkt zur Überprüfung seiner gefahrenen Geschwindigkeit wahrnehmen muss, dann handele er mit höherem Unwertgehalt als ein Fahrzeugführer, der lediglich ein die Höchstgeschwindigkeit anordnendes Verkehrsschild passiert, ohne seine Geschwindigkeit entsprechend anzupassen. Die Mehrfachbeschilderung in Verbindung mit der Gefällestrecke führe auch deswegen zum erhöhten Sorgfaltsverstoß, weil der betroffenen Fahrzeugführer durch das Gefälle mittels dauerhaften Betätigens der Bremseinrichtung aktiv auf die gefahrene Geschwindigkeit Einfluss nehmen muss (also nicht einfach den Fuß vom Gas nehmen kann). Die Dreifachbeschilderung und die Streckenführung stellten hier besondere Begleitumstände dar, welche die besondere Aufmerksamkeit des Fahrers hervorrufen müssen. Unter diesen Umständen belege die Unkenntnis von der eigenen Geschwindigkeitsüberschreitung einen gesteigerten Sorgfaltsverstoß des Betroffenen.

In der Erhöhung des Bußgeldes aufgrund der die Geschwindigkeitsbegrenzung anordnenden, mehrfach wiederholten Beschilderung sei ein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot nicht zu sehen. Denn nicht ein mehrfaches Überfahren der Geschwindigkeitsbeschränkung vor der Messstelle habe das Tatgericht hier zum Anlass für die Erhöhung der Geldbuße genommen, sondern die Fehlleistung des Betroffenen, bei mehreren aufeinander folgenden Schildern die Gelegenheit sorgfaltswidrig versäumt zu haben, sein Fahrverhalten der besonderen Streckengefährlichkeit anzupassen.

III. Bedeutung für die Praxis

Die Argumentation des OLG ist durchaus stringent und plausibel. Trotz der gerichtlichen Bindung an die BKatV sind deren Regelsätze lediglich Zumessungsrichtlinien, die nicht von einer Einzelfallprüfung entbinden. Die im BKat vorgesehenen Beträge sind Regelsätze, die die von gewöhnlichen Tatumständen ausgehen (§ 1 Abs. 2 BKatV). Ein Regelfall liegt vor, wenn die Tatausführung allgemein üblicher Begehungsweise entspricht und weder objektiv noch subjektiv Besonderheiten aufweist. Anderenfalls ist ein Abweichen von der Regelbuße zulässig (Hentschel/Dauer/König, StVR, 46. Aufl. 2021, § 24 StVG Rn 64a; Gübner in Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl. 2021, Rn 1872; jew. m.w.N.). Allerdings darf angesichts des Charakters als Regelsatz nicht der Schluss gezogen werden, bei Fällen wie dem vorliegenden sei generell von einer gesteigerten Fahrlässigkeit und damit einer Erhöhung der Regelbuße auszugehen. Das würde dem Erfordernis der Einzelprüfung widersprechen. Auch bei einem Verstoß an mehreren, hintereinander aufgestellten Verkehrszeichen muss für die Anhebung der Regelgeldbuße im Urteil begründet werden, aus welchen Gründen im Einzelfall kein Regelfall vorliegt, sondern eine gesteigerte Fahrlässigkeit. Hierauf muss der Verteidiger achten und entsprechende Tatsachen vortragen.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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