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Bewilligung von Beratungshilfe im Strafverfahren

Beratungshilfe kann auch noch nach Zustellung der Anklageschrift oder des Strafbefehls bewilligt werden.

(Leitsatz des Verfassers)

AG Bad Segeberg,Beschl. v.3.3.2020–18 UR II 808/19

I. Sachverhalt

Der Antragsteller beantragte in einem Strafverfahren nach Zustellung der Anklageschrift wegen des Vorwurfs des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) durch seinen Bevollmächtigten die Bewilligung von Beratungshilfe. Der Antrag wurde zurückgewiesen. Dagegen legte der Antragsteller Erinnerung ein. Diese hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Das AG hat die Voraussetzungen für die Bewilligung von Beratungshilfe bejaht. Diese seien trotz des Umstandes, dass zum Zeitpunkt der Mandatierung eines Rechtsanwaltes durch den Antragsteller ihm die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft bereits zugestellt worden war, gegeben. Denn der in § 1 Abs. 1 BerHG genannte Tatbestand des Ausschlusses der Beratungshilfe infolge eines „gerichtlichen Verfahrens“ liege in der vorliegenden Konstellation nicht vor.

Die Frage, wann in Strafsachen in zeitlicher Hinsicht für eine Beratung des Beschuldigten bzw. Angeklagten Beratungshilfe gewährt werden kann, werde nicht einheitlich beantwortet. In der Literatur werde einerseits vertreten, dass die Zustellung der Anklageschrift bzw. des Strafbefehls den Endpunkt der Bewilligungsmöglichkeit darstellen soll (Poller/Härtl/Köpf-Köpf, Gesamtes Kostenhilferecht, § 1 BerHG, Rn 40, inhaltlich identischKöpf, Beratungshilfegesetz, § 1 Rn 40). Auf der anderen Seite bestehe auch die Auffassung, dass in entsprechenden Verfahren die Bewilligung der Beratungshilfe so lange möglich sein soll, wie kein Pflichtverteidiger bestellt worden ist (Burhoff/Volpert/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 5. Aufl., Teil A: Beratungshilfe, Rn 290). Die Rechtsprechung vertrete, soweit erkennbar, einhellig die letztgenannte Auffassung (AG Augsburg, Beschl. v. 9.9.1988 – 1 UR II 1058; AG Köln, Beschl. v. 13.2.1984 – 662 UR II 1514/82).

Das sieht das AG als inhaltlich zutreffend an. Die in § 1 Abs. 1 BerHG aufgenommenen Schranke der Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch den Passus „außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens“ ist inhaltlich konsequent vor dem Hintergrund, dass in zivil- und familiengerichtlichen Verfahren vor den Gerichten zwei verschiedene Möglichkeiten der Prozess- bzw. Verfahrensführung für bedürftige Personen durch die Institute der Prozesskosten- und Verfahrenskostenhilfe bestehen. Insofern besteht die aus dem Sozialstaatsprinzip abzuleitende Zugangsmöglichkeit bedürftiger Verfahrensbeteiligter zu den Gerichten in nahtloser Abfolge von Beratungs-, Prozesskosten- und Verfahrenskostenhilfe. Diese Systematik bestehe für den Beschuldigten bzw. Angeklagten im Strafverfahren nicht. Hier gebe es zwar das Institut der Pflichtverteidigung, welches auf die Regelung zur notwendigen Verteidigung aus § 140 StPO aufbaut. Bei ihm fänden allerdings die Kriterien der Bedürftigkeit, des Erfolges der beabsichtigten Rechtsverfolgung sowie der fehlenden Mutwilligkeit keinerlei Berücksichtigung. Ausschlaggebend ist vielmehr allein der Gesichtspunkt der Fürsorge des Staates, wie er auch bei der Verfahrenspflegerbestellung bzw. des Verfahrensbeistandes im Rahmen des Gesetzes zur Regelung des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit aufzufinden ist. Aus diesem Grunde ist die Pflichtverteidigerbestellung auch nicht abhängig von einer willentlichen Handlung seitens des Beschuldigten oder Angeklagten in Gestalt eines Antrages oder der Darlegung von persönlichen bzw. objektiven Voraussetzungen, sondern allein von der rechtlichen Einschätzung des Gerichtes. Damit aber greife der maßgebliche Gesichtspunkt, der zur Aufnahme des in § 1 Abs. 1 BerHG genannten Ausschlusses der Beratungshilfe infolge eines „gerichtlichen Verfahrens“ geführt hat, nicht ein. Denn dieser bestehe ja nicht darin, Hilfe generell zu versagen, sondern nur darin, die zugrunde liegenden Systeme der antragsabhängigen Hilfebewilligung zeitlich randscharf abzugrenzen. Und dieser Gesichtspunkt greife in Strafverfahren nicht. Dort bestehe gerade kein nahtloser Übergang verschiedener Möglichkeiten bedürftiger Personen, rechtliche Beratung außerhalb oder während eines gerichtlichen Verfahrens in Anspruch zu nehmen. Wollte man nun die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Beratungshilfe nach Zustellung der Anklageschrift oder des Strafbefehles versagen, so würde einem wirtschaftlich Bedürftigen, gegen den die öffentliche Klage erhoben wird und der vom Gericht keinen Pflichtverteidiger bestellt bekomme, gleichsam von einem Tag auf den anderen die Möglichkeit genommen, in der rechtlich höchst prekären Situation einer konkreten Strafverfolgung rechtlich kompetenten Rat in Anspruch zu nehmen. Hierfür allerdings bestehe durchaus ein Bedürfnis, da die Fragen der Folgen eines Strafverfahrens, einer etwaigen Einlassung in der Hauptverhandlung, des Ablaufes des Gerichtstermines an sich pp. wegen der einschneidenden Folgen eines Strafverfahrens nicht durch anderweitige Erkenntnisquellen mit der notwendigen Sicherheit beantwortet werden können. Diese Folgen aber können nicht in der Intention des aus dem Sozialstaatsgebot ausfließenden Beratungshilfegesetzes gelegen haben.

III. Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung knüpft an die zitierte Rechtsprechung anderer AG an. Es ist in der Tat aus den vom AG dargelegten Gründen nicht nachvollziehbar, warum der Beschuldigte nicht auch nach Zustellung der Anklageschrift Anspruch auf Rechtsberatung (in geringem Maße) haben soll, wenn die Voraussetzungen für die Pflichtverteidigung nicht vorliegen. Zudem: Wann wird denn schon in den Fällen, die von dieser Entscheidung betroffen sein könne, ein Pflichtverteidiger bestellt? Die Auffassung der Rechtsprechung schließt also eine Lücke im Gesetz.

RADetlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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