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Bemessung des Hinterbliebenengeldes

1. Ausgehend von der Gesetzesbegründung und Sinn und Zweck des § 844 Abs. 3 ist ein Betrag in Höhe von 10.000,00 EUR als „Richtschnur und Orientierungshilfe“ für eine Bemessung des Hinterbliebenengeldes anzusehen und dann nach den Umständen des Einzelfalls weiter anzupassen.

2. Ein Hinterbliebenengeld hat hinter den Beträgen der Schockschadenrechtsprechung zurückzustehen, da ein solcher Anspruch gerade keine eigene Verletzung voraussetzt.

3. Bei der Bemessung des Hinterbliebenengeldes ist ein Mitverschulden des Getöteten anspruchsmindernd nach § 846 BGB zu berücksichtigen.

(Leitsätze des Verfassers)

OLG Koblenz, Beschl. v. 31.8.2020 – 12 U 870/20

I. Sachverhalt

Der Kläger begehrt Zahlung von Hinterbliebenengeld nach dem Unfalltod seines 20-jährigen Sohnes, der zum Unfallzeitpunkt im Haushalt seiner Mutter, der geschiedenen Ehefrau des Klägers, gelebt hat. Der Sohn war mit seinem Fahrrad unterwegs und wurde von dem Fahrzeugführer der Beklagtenseite mit 70 km/h angefahren. Der Sohn des Klägers verstarb aufgrund seiner schweren Verletzungen trotz durch Rettungskräfte eingeleiteter Reanimationsmaßnahmen noch am Unfallort etwa eine knappe Stunde nach dem Unfall. Der Kläger begehrte ein Hinterbliebenengeld in Höhe 12.500 EUR, ausgehend von einem an sich angemessenen Betrag von 25.000 EUR, gekürzt um ein Mitverschulden von 50 %. Nachdem in der ersten Instanz ein Betrag i.H.v. 4.500 EUR mit einer Quote von 50 % ausgeurteilt wurde, begehrte der Kläger PKH für die 2. Instanz für eine Klage bis zu 12.500 EUR.

II. Entscheidung

Seitens des OLG wurde mangels Erfolgsaussicht der Antrag auf Gewährung von PKH zurückgewiesen – wenn überhaupt könnte dem Kläger allein ein Betrag i.H.v. weiteren 500 EUR zustehen, der unterhalb der Berufungsbeschwer liegt. Das OLG hält im hier vorliegenden Fall ohne Berücksichtigung des nachfolgend zu erörternden erheblichen Mitverschuldens des verstorbenen Sohnes – ein über 10.000 EUR hinaus gehendes Hinterbliebenengeld nicht für gerechtfertigt. Ein deutlich darüber hinausgehender Betrag für ein Hinterbliebenengeld in Höhe von mindestens 15.000 EUR oder gar 25.000 EUR wäre nicht mit der gesetzgeberischen Vorgabe vereinbar, dass die Höhe des Schmerzensgeldes bei Schockschäden näher Angehöriger und die dazu von der Rechtsprechung gegebenen Grundsätze eine Orientierung geben und ein Hinterbliebenengeld dahinter zurückzustehen hat. Ein Mitverschulden ist dabei nach § 846 BGB entsprechend zu berücksichtigen. Darauf aufbauend wäre dem Vater des verstorbenen Sohnes, der zum Unfallzeitpunkt im Haushalt seiner von ihm geschiedenen Mutter gelebt hat, bei einem Mitverschulden von 50 % ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 5.000 EUR zuzusprechen.

III. Bedeutung für die Praxis

Das OLG Koblenz bestätigt anschaulich die vorherrschende Meinung, dass ein Hinterbliebenengeld in Abgrenzung zur Schockschadenrechtsprechung im Regelfall zu einem geringeren Anspruch führt, da bei den Schockschäden eine eigene Gesundheitsverletzung zu berücksichtigen ist und dementsprechend höhere Beträge zuzusprechen wären (vgl. den Überblick bei Schumann/Nugel VRR 5/2018, 4 ff.). Insoweit zeigt sich bereits jetzt ein Richtwert von 10.000 EUR in immer mehr Gerichtsurteilen für eine erste Orientierung (vgl. auch LG Tübingen, Urt. v. 17.5.2019 – 3 O 108/19 = VRR 3/2020, 12; LG Wiesbaden, Beschl. v. 23.10.2018 – 3 O 219/18, SVR 2020, 142). Überzeugender Weise wird mithin der Auffassung in der Literatur, die ein deutlich höheres Angehörigengeld in einer Größenordnung von 15.000 EUR oder 20.000 EUR als „Einstiegswert“ fordert, eine Absage erteilt (vgl. auch die Rechtsprechungsübersicht bei Nugel VRR 6/2020, 5 ff.). Ein Betrag in Höhe von 10.000 EUR ist allerdings auch immer noch zu hoch angesetzt, wenn beachtet wird, dass ein Hinterbliebenengeld ja deutlich geringer als immaterieller Schadensersatzanspruch nach der Schockschadenrechtsprechung anzusetzen ist und daher auch eine Größenordnung von 3.000 EUR bis 5.000 EUR als üblicher Rahmen diskutiert werden kann, der nur im Ausnahmefall bis auf 10.000 EUR erhöht wird (Schumann/Nugel, VRR 5/2018, 4 ff.; vgl. auch Lang juris Praxisreport Verkehrsrecht 5/20, Anmerkung 2).

RA Dr. Michael Nugel, FA Für VerkehrsR und VersR, Essen

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