1. Beruhen mehrere Tatvorwürfe auf den belastenden Angaben eines Zeugen, kann den Gründen für eine Teileinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO Bedeutung für die Beweiswürdigung zu den verbliebenen Vorwürfen zukommen, insbesondere für die Frage der Glaubhaftigkeit der Bekundungen dieses Zeugen.
2. Ist dies nach der konkreten Beweissituation der Fall, sind die Gründe für die Teileinstellung im Urteil mitzuteilen und eine Auseinandersetzung mit deren Beweisbedeutung vorzunehmen.
(Leitsätze der Verfasserin)
I. Sachverhalt
Nachdem das LG das Verfahren hinsichtlich zweier Tatvorwürfe gemäß § 154a Abs. 2 StPO beschränkt und wegen weiterer sieben Vorwürfe gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt hatte, hat es den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen und sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen, jeweils tateinheitlich mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das hiergegen gerichtete Rechtsmittel des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
II. Entscheidung
Der BGH hebt das Urteil mit den Feststellungen auf, u.a. weil die Beweiswürdigung an einem durchgreifenden Erörterungsmangel leide. Hinsichtlich sämtlicher abgeurteilter Fälle sei die Beweissituation dadurch gekennzeichnet, dass die getroffenen Feststellungen maßgeblich auf der Aussage der Nebenklägerin beruhten. Sofern das Tatgericht in solchen Fällen das Verfahren wegen eines Teils der Vorwürfe nach § 154 Abs. 2 StPO einstelle, könne den Gründen dafür Bedeutung für die Beweiswürdigung zu den verbleibenden Vorwürfen insbesondere hinsichtlich der Frage der Glaubhaftigkeit dieser Aussage zukommen (vgl. BGH, Urt. v. 29.7.1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 160; BGH, Beschl. v. 2.11.2022 – 6 StR 281/22). Ist dies nach der konkret gegebenen Beweissituation der Fall, sei das Tatgericht gehalten, die Gründe für die Teileinstellung im Urteil mitzuteilen und sich mit deren Beweisbedeutung auseinanderzusetzen (vgl. BGH, Beschl. v. 13.2.2018 − 4 StR 346/17, NStZ 2018, 618). Daran fehle es hier.
Komme es bei sechs von elf angeklagten Tatvorwürfen, die insoweit allein auf die Bekundungen der einzigen Belastungszeugin zurückgingen, zu Beschränkungen gemäß § 154a Abs. 2 StPO bzw. zu vorläufigen Verfahrenseinstellungen gemäß § 154 Abs. 2 StPO und nur in fünf Fällen zu einer im Vergleich zur Anklageschrift uneingeschränkten Verurteilung, sei eine Beweisbedeutung für die maßgebliche Frage der Glaubwürdigkeit der einzigen Belastungszeugin und der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben nicht auszuschließen. Insbesondere würden die Urteilsgründe nahelegen, dass die beiden Beschränkungen auf Widersprüche in ihren Aussagen zurückgingen. Mit diesen setze sich die Kammer nicht auseinander, sondern löse sie durch Beschränkung gemäß § 154a Abs. 2 StPO auf. Es lasse sich daher auch nicht nachvollziehen, ob die vorläufigen Verfahrenseinstellungen nach § 154 Abs. 2 StPO mit weiteren Widersprüchen in der Aussage der Nebenklägerin zusammenhängen, was von erheblicher Beweisbedeutung wäre. Dies gelte auch für die vorläufige Verfahrenseinstellung hinsichtlich dreier weiterer angeklagter Taten von vergleichbarem Gewicht, in denen nach der Anklage ein weiteres Kind, in einem dieser Fälle sogar gemeinsam mit der Nebenklägerin, Opfer der Tathandlungen geworden sein soll.
III. Bedeutung für die Praxis
1. Vornehmlich im Sexualstrafrecht kommt es in der Revisionsinstanz immer wieder zur Aufhebung von Urteilen einschließlich der Feststellungen, weil die Gründe für eine Teileinstellung nicht mitgeteilt worden sind (vgl. etwa nur BGH, Beschl. v. 10.5.2023 – 4 StR 37/23; v. 2.11.2022 – 6 StR 281/22). Damit führt die ursprünglich auf eine Verfahrenserleichterung abzielende Maßnahme nicht nur zur neuerlichen Belastung der Strafabteilungen bzw. -kammern der betroffenen Gerichte, sondern vor allem auch zur Wiederholung eines für die (vermeintlichen) Geschädigten besonders belastenden Verfahrens.
2. Die Fehlerquelle liegt vermutlich darin begründet, dass Verfahrensfragen in den Urteilsgründen grundsätzlich nicht darzulegen sind (vgl. MüKo/Wenske, StPO, 2. Aufl., § 267 Rn 79) und damit etwa auch eine Verfahrenseinstellung im Urteil nicht dokumentiert werden muss (vgl. BGH, Beschl. v. 9.12.2008 – 5 StR 511/08). Steht nach Durchführung der Beweisaufnahme jedoch Aussage gegen Aussage, kann den Gründen für eine Teileinstellung oder Beschränkung Beweisbedeutung zukommen. Ist dies der Fall, sind die Gründe hierfür in den Urteilsgründen regelmäßig mitzuteilen und es hat in der Beweiswürdigung eine Auseinandersetzung mit diesen zu erfolgen. Die insofern gefestigte Rechtsprechung des BGH hat der 2. Strafsenat hier erneut bekräftigt.
3. Dabei können in dem von dieser Rechtsprechung zumeist betroffenen Deliktsbereich viele Gründe für eine Teileinstellung sprechen. Denkbar sind neben prozessökonomischen Gründen etwa auch durchaus nachvollziehbare Schwierigkeiten bei der zeitlichen Einordnung lang zurückliegender Taten bei einer Vielzahl von regelmäßig wiederkehrenden Vorfällen oder das Ersparen einer Aussage für weitere potentiell Geschädigte. Die mangelnde Erörterung dieser Gründe führt darüber hinaus weder zwingend zur Urteilsaufhebung (vgl. BGH, Beschl. v. 12.12.2023 – 6 StR 431/23; v. 13.2.2018 – 4 StR 346/17) noch sprechen die Gründe einer Teileinstellung per se gegen die Glaubwürdigkeit der jeweiligen Belastungszeugen. Im Zweifel sollten sie aber mitgeteilt und beweiswürdigend erörtert werden. Denn nur so ist für das Revisionsgericht erkennbar, dass das Tatgericht in dieser besonders schwierigen Beweissituation alle Umstände berücksichtigt hat, die für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Bedeutung sind. Hierfür wäre etwa mitzuteilen, welche Angaben zu den weiteren Tatvorwürfen der Anklage gemacht worden sind, wieso es insoweit zu einer Verfahrenseinstellung oder Beschränkung gekommen ist, inwieweit die Aussage gegebenenfalls defizitär war und aus welchen Gründen dies der Glaubhaftigkeit der Angaben nicht entgegensteht.
4. Ergibt sich die Erörterungsbedürftigkeit der Gründe für die Teileinstellung bereits aus den schriftlichen Urteilsgründen, ist ein insoweit gegebener Erörterungsmangel vom Revisionsgericht auf die Sachrüge hin zu beachten. Legen dagegen die Urteilsgründe eine Bedeutung für die Beweiswürdigung nicht nahe, muss die Revision einen von ihr behaupteten Erörterungsmangel mit einer Verfahrensrüge geltend machen (vgl. BGH, Beschl. v. 13.2.2018 – 4 StR 346/17, NStZ 2018, 618 m. Anm. Gubitz/Buchholz).