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Verletzung der verständigungsbezogenen Belehrungspflicht

Infolge der Aussetzung der Hauptverhandlung entfällt die Bindungswirkung einer getroffenen Verständigung.

(Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschl. v. 17.8.20232 StR 164/23

I. Sachverhalt

Verstöße gegen das BtMG

Das LG hat den Angeklagten wegen Verstößen gegen das BtMG verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hatte mit der Rüge der Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren bzw. einer Verletzung der § 257c Abs. 5 StPO entsprechenden Belehrungspflicht Erfolg.

Vorgespräch

Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Zur Vorbereitung der Hauptverhandlung fand am 20.6.2022 ein Erörterungstermin statt, an dem die verhandlungsleitende Richterin der Strafkammer, die Vertreterin der Staatsanwaltschaft und einer der beiden Verteidiger des Angeklagten teilnahmen. Nach Erörterung des Verfahrensgegenstandes und des Hinweises der Richterin, dass weder die Frage einer möglichen Unterbringung nach § 64 StGB noch diejenige der Einziehung Gegenstand einer Verständigung sein könnten, kündigte der anwesende Verteidiger an, dass nach Rücksprache mit dem Angeklagten und dem weiteren Verteidiger eine geständige Einlassung im Sinne der Anklage geplant sei. Nach weiterer Erörterung erklärte die Staatsanwältin, dass nach aktueller Aktenlage keine Anhaltspunkte für eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt ersichtlich seien und nur unter der Prämisse einer umfassenden geständigen Einlassung ein Strafrahmen zwischen sechs Jahren und neun Monaten und sieben Jahren und sechs Monaten denkbar sei. Die Richterin teilte mit, dies stelle aus ihrer Sicht den denkbar untersten Rand einer tat- und schuldangemessenen Strafe dar. Der Verteidiger erklärte, dass gleichwohl weiterhin eine geständige Einlassung geplant sei und er sich zeitnah wegen der Fortführung der Verständigungsgespräche melden werde.

1. Hauptverhandlung

In der am 30.8.2022 erstmals begonnenen Hauptverhandlung wurde ein Vermerk über das Verständigungsgespräch vom 20.6.2022 verlesen, selbiges protokolliert und der Inhalt des Vermerks durch eine Bezugnahme auf die Fundstelle in den Akten im Hauptverhandlungsprotokoll dokumentiert. Anschließend kam es zu einer Verständigung, in deren Folge sich der Angeklagte vollumfänglich geständig zur Sache einließ. Diese Hauptverhandlung musste später ausgesetzt werden.

2. Hauptverhandlung

In der am 11.10.2022 neuerlich begonnenen Hauptverhandlung führte die Vorsitzende nach Verlesung der Anklageschrift und der Feststellung zur Zulassung derselben aus, dass am 20.6.2022 ein Erörterungstermin im Hinblick auf eine Verständigung stattgefunden habe. Das Erörterungsprotokoll vom 20.6.2022 wurde erneut verlesen und selbiges im Hauptverhandlungsprotokoll unter Bezugnahme auf die Fundstelle in den Akten dokumentiert. Danach wies sie den Angeklagten darauf hin, dass es ihm freistehe, sich zur Anklage zu äußern oder nicht auszusagen. Die Beteiligten erhielten Gelegenheit, zu dem verlesenen Erörterungsprotokoll Stellung zu nehmen, wovon sowohl die Vertreterin der Staatsanwaltschaft wie auch die Verteidigung Gebrauch machten. Nach Beratung unterbreitete die Strafkammer den Verfahrensbeteiligten anschließend einen Verständigungsvorschlag dahingehend, dass die Strafkammer für den Fall eines umfassenden Geständnisses im Sinne der Anklage der Verurteilung einen Strafrahmen von sechs Jahren und neun Monaten bis sieben Jahren und sechs Monaten Gesamtfreiheitsstrafe zugrunde legen werde. Nachdem der Angeklagte gemäß § 257c Abs. 5 StPO belehrt worden war, stimmten alle Verfahrensbeteiligten dem Verständigungsvorschlag zu. Im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung ließ sich der Angeklagte geständig zur Sache ein.

II. Entscheidung

Die Rüge hat mit der Angriffsrichtung einer Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren beziehungsweise einer Belehrungspflicht entsprechend § 257c Abs. 5 StPO Erfolg.

Zulässigkeit der Rüge

Die Rüge sei – so der BGH – zulässig erhoben. Sie genüge dem Vortragserfordernis des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts habe es hierfür nicht der Vorlage des Protokolls der ausgesetzten Hauptverhandlung bedurft. Insoweit habe das ‒ im Übrigen unwidersprochene ‒ Vorbringen der Revision genügt, dass sich der Angeklagte im Zuge der ausgesetzten Hauptverhandlung infolge der Verständigung geständig eingelassen hat. Es sei hier auch unschädlich, dass die Revision nicht vortrage, ob der Angeklagte in der ausgesetzten Hauptverhandlung vor der Verständigung ordnungsgemäß nach § 257c Abs. 5 StPO belehrt worden sei, mithin nach der Rechtsprechung des BGH keine Pflicht zur Belehrung über die Unverwertbarkeit des Geständnisses bestanden habe (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 17.2.2021 ‒ 5 StR 484/20, BGHSt 66, 37, 45 ff.). Denn die Revision stelle dar, dass der Angeklagte weder auf die entfallene Bindungswirkung noch auf die Unverwertbarkeit seines Geständnisses hingewiesen worden sei.

Begründetheit der Verfahrensrüge

Die Verfahrensrüge sei auch begründet. Infolge der Aussetzung der Hauptverhandlung sei die Bindungswirkung der getroffenen Verständigung entfallen (vgl. BGH a.a.O.; KK-StPO/Moldenhauer/Wenzke, 9. Aufl., § 257c Rn 42d bis 42e). Dies ziehe die Unverwertbarkeit des im Vertrauen auf ihren Bestand abgegebenen Geständnisses des Angeklagten in der neuen Hauptverhandlung nach sich (vgl. BGH a.a.O.). Der Senat könne offenlassen, ob der Angeklagte qualifiziert über die Unverwertbarkeit seiner vormaligen verständigungsbasierten Einlassung zu informieren war (vgl. BGH, Beschl. v. 24.4.2019 ‒ 1 StR 153/19, NStZ 2019, 483; BeckOK-StPO/Eschelbach, 48. Ed., § 257c Rn 30a; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 257c Rn 30b; SSW-StPO/Ignor/Wegner, 5. Aufl. 2023, § 257c Rn 124; Kudlich, NJW 2021, 2445; Ventzke, NStZ 2021, 572, 574) oder ob es in diesem Fall ausreiche, wenn der Angeklagte lediglich über den Wegfall der Bindungswirkung der getroffenen Verständigung informiert werde, sofern er in der ausgesetzten Hauptverhandlung vor der dortigen Verständigung ordnungsgemäß nach § 257c Abs. 5 StPO belehrt worden sei (vgl. BGHSt 66, 37, 45 ff.; KK-StPO/Moldenhauer/Wenske, a.a.O.), denn es fehle bereits an dem Hinweis an den Angeklagten durch das Gericht, dass die Bindungswirkung an die getroffene Verständigung durch die erfolgte Aussetzung entfallen war.

III. Bedeutung für die Praxis

Zulässigkeit

1. Die Ausführungen des BGH zur Zulässigkeit der Verfahrensrüge zeigen, auf was der Verteidiger bei deren Begründung ggf. alles achten muss. Denn wird etwas vergessen, ist das schnell ein Einfallstor für die Verwerfung der Revision oder zumindest für die Unzulässigkeit der Verfahrensrüge. Hier hat der Angeklagte noch einmal Glück gehabt.

Beruhen

2. Von Bedeutung sind in den „Verständigungsfällen“ immer auch die Beruhensfragen. Hier ist der BGH davon ausgegangen, dass das Geständnis des Angeklagten und damit das Urteil auf dem Verstoß gegen die Belehrungspflicht (§ 337 Abs. 1 StPO) beruhen. Die Ursächlichkeit des Belehrungsfehlers für das Geständnis konnte er nicht ausnahmsweise ausschließen. Der Angeklagte hatte die ihm zur Last gelegten Taten auf der Grundlage der Verständigung eingeräumt. Hierauf hatte die Strafkammer die Verurteilung gestützt. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass dem Angeklagten die Voraussetzungen für den Wegfall der Bindungswirkung bei Abgabe des Geständnisses bekannt waren (vgl. BVerfG, Urt. v. 19.3.2013 ‒ 2 BvR 2628/10, BVerfGE 133, 168 ff.; u.a. BGH, Beschl. v. 30.3.3.2021 ‒ 2 StR 383/20), waren für den BGH nicht erkennbar.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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