Beitrag

Verbindung von Verfahren und Pflichtverteidigervergütung

Nach der zum 1.1.2021 erfolgten Ergänzung von § 48 Abs. 6 S. 3 RVG ist klargestellt, dass die Anordnung einer Erstreckungswirkung bei einer anwaltlichen Beiordnung nach der Verbindung nicht erforderlich ist, weil § 48 Abs. 6 S. 1 StPO unmittelbar gilt.

(Leitsatz des Verfassers)

LG Osnabrück, Beschl. v. 27.12.20231 Qs 70/23

I. Sachverhalt

Zwei Ermittlungsverfahren anhängig

Die Staatsanwaltschaft führte gegen die Beschuldigte zunächst ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugs unter dem Aktenzeichen Az 1 sowie ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen Betrugs unter dem Aktenzeichen Az 2. Der Rechtsanwalt meldete sich mit Schriftsatz vom 5.5.2023 in beiden Verfahren für die Beschuldigte als Verteidiger und beantragte gleichzeitig in beiden Verfahren die Bestellung als Pflichtverteidiger.

Verfahren werden verbunden

Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 10.8.2023 wurden die Verfahren Az 1 und Az 2 verbunden, wobei das Verfahren Az 1 führte. Mit Beschluss des AG vom 15.8.2023 wurde der Beschuldigten in dem Verfahren Az 1 Rechtsanwalt … als Pflichtverteidiger bestellt.

Deklaratorische Feststellung zur Erstreckung

Mit Schriftsatz vom 29.9.2023 beantragte die Beschuldigte, ohne ihren ursprünglichen Beiordnungsantrag ausdrücklich zurückzunehmen – ggfs. nur deklaratorisch feststellend –, die mit Beschluss vom 15.8.2023 erfolgte Pflichtverteidigerbestellung und die Wirkungen dieser Beiordnung auch auf das verbundene Ermittlungsverfahren Az 2 zu erstrecken. Das AG hat dann den ursprünglichen Antrag der Beschuldigten vom 5.5.2023 auf Bestellung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger im Verfahren Az 2 zurückgewiesen, da eine nachträgliche rückwirkende Bestellung für ein mittlerweile zu einem anderen Verfahren hinzuverbundenes Verfahren unzulässig sei. Den Antrag vom 29.9.2023 hat das AG hingegen nicht beschieden. Gegen den Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde der Beschuldigten. Das Rechtsmittel hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Ursprünglicher Beiordnungsantrag erledigt

Das LG führt aus: Der beschiedene Antrag vom 5.5.2023 habe sich durch die Verbindung der Sache Az 2 mit dem Ermittlungsverfahren Az 2 erledigt. Einer ausdrücklichen Rücknahme habe es nicht bedurft. Die Beschuldigte habe durch die Formulierung ihres Antrags in dem Schriftsatz vom 29.9.2023 hinreichend deutlich gemacht, dass sie nicht länger eine Entscheidung über ihren ursprünglichen Antrag begehrte. Sie habe vielmehr einen an die vollzogene Verbindung der beiden Ermittlungsverfahren angepassten Antrag gemäß § 48 Abs. 6 RVG gestellt.

Erstreckungsantrag noch offen

Das LG hat dem Erstreckungsantrag entsprochen. Gemäß § 48 Abs. 6 S. 1 RVG erhalte der beigeordnete Verteidiger die Vergütung auch für seine Tätigkeit vor dem Zeitpunkt seiner Bestellung. Es sei lange Zeit umstritten gewesen, ob ein anwaltlicher Vergütungsanspruch für frühere Tätigkeiten in Verfahren, die vor der Beiordnung hinzuverbunden wurden, bereits unmittelbar aus § 48 Abs. 6 S. 1 RVG folge oder es hierzu eines Gerichtsbeschlusses gemäß § 48 Abs. 6 S. 3 RVG bedurfte (vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, § 48 Abs. 6 Rn 23 f. m.w.N.). Mit der zum 1.1.2021 erfolgten Ergänzung von § 48 Abs. 6 S. 3 RVG mit dem KostRÄG vom 21.12.2020 (BGBl 1 3229) habe der Gesetzgeber nun klargestellt, dass der Anwendungsbereich des § 48 Abs. 6 S. 3 RVG auf die Fälle der nach der Beiordnung oder Bestellung erfolgten Verfahrensverbindungen beschränkt sei. Damit sei zugleich klargestellt, dass die Anordnung einer Erstreckungswirkung bei einer anwaltlichen Beiordnung nach der Verbindung nicht erforderlich ist, weil § 48 Abs. 6 S. 1 StPO unmittelbar gilt (vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, § 48 Abs. 6 Rn 24).

So liege der Fall hier. Denn die Beiordnung sei am 15.8.2023 und somit zeitlich nach der Verfahrensverbindung vom 10.8.2023 erfolgt. Aus anwaltlicher Vorsicht sei ein Antrag auf deklaratorische Feststellung der Erstreckung, wie er hier gestellt worden sei, jedoch zulässig, weil auf diese Weise ein etwaiger Streit im Kostenfestsetzungsverfahren um die Notwendigkeit eines Gerichtsbeschlusses vermieden werde.

Höhe der Vergütung: Kostenfestsetzungsverfahren

Inwieweit dem Verteidiger eine Vergütung der Höhe nach zustehe, müsse der Prüfung im Kostenfestsetzungsverfahren vorbehalten bleiben. Denn Voraussetzung dafür, dass der Rechtsanwalt neben den Gebühren im führenden Verfahren auch weitere Gebühren für seine Tätigkeiten in dem hinzuverbundenen Verfahren erhalten könne, sei, dass er in dem hinzuverbundenen Verfahren vor der Verbindung tatsächlich tätig geworden ist (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 16.5.2017 – 1 Ws 95/17, StraFo 20217, 391 = AGS 2017, 457).

III. Bedeutung für die Praxis

Gesetzliche Klarstellung erfolgt

1. Die Entscheidung ist zutreffend. Das LG hat Recht. Mit dem KostRÄndG vom 21.12.2020 hat sich ab 1.1.2021 der Streit um die Anwendung und Auslegung von § 48 Abs. 6 S. 1 RVG erledigt (Burhoff, RVGreport 2020, 402, 403 f.; ders., StraFo 2021, 8, 10; ders., StRR 1/2021, 5, 8; ders., AGS 2021, 49; Volpert, AGS 2020, 445, 450). Der Verteidiger/Rechtsanwalt muss also darauf achten, dass zunächst verbunden wird und die die Bestellung zum Pflichtverteidiger erfolgt. Dann ist ein besonderer Erstreckungsantrag nicht erforderlich. Etwas anderes gilt in den Fällen, in denen nach der Bestellung erst (hinzu-)verbunden wird.

Streitvermeidung

2. Zutreffend ist auch die Art und Weise des Vorgehens des Verteidigers, der auf deklaratorischer Feststellung bestanden hat. Liegt die vor, erspart das ggf. lange Diskussionen und Streit mit dem Festsetzungsbeamten im Festsetzungsverfahren.

Tätig geworden?

3. Und: Zutreffend ist auch der Hinweis des LG darauf, dass die Höhe der dem Rechtsanwalt zustehenden Vergütung erst im Kostenfestsetzungsverfahren geklärt wird. Denn Voraussetzung für das Entstehen der anwaltlichen Gebühren in allen verbundenen Verfahren über § 48 Abs. 6 S. 1 RVG ist, dass der Rechtsanwalt in den jeweiligen Verfahren auch tätig geworden ist. Es werden keine Gebühren ohne Tätigkeit verdient. Insoweit reichen aber minimale Tätigkeiten für das Entstehen von im Zweifel zumindest Grundgebühr Nr. 4104 VV RVG und Verfahrensgebühr aus. Ausreichend ist insoweit aber schon ein Antrag des Rechtsanwalts im ursprünglichen Verfahren auf Akteneinsicht, aber auch (nur) der Antrag, ihn als Pflichtverteidiger zu bestellen. Damit dürften hier Grundgebühr und Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG auch im Verfahren Az 2 entstanden sein.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…