Die Fristsetzung zur Anbringung von Beweisanträgen nach § 244 Abs. 6 S. 3 StPO erfordert nicht die Feststellung oder den konkreten Verdacht einer Absicht der Prozessverschleppung.
(Leitsatz des Gerichts)
I. Sachverhalt
Verurteilung u.a. wegen Kriegsverbrechen
Das KG hat die Angeklagten wegen verschiedener Kriegsverbrechen gegen Personen in Tateinheit mit Mord und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland verurteilt. Die dagegen gerichteten Revisionen der Angeklagten sind als unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen worden.
Verfahrensgeschehen betreffend Fristsetzung
Die Angeklagten hatten ihre Revisionen u.a. auch mit der Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen § 244 Abs. 6 S. 3 StPO begründet. Zur Begründung hatten sie sich auf folgendes Verfahrensgeschehen bezogen: Die Hauptverhandlung vor dem KG fand ab dem 22.11.2018 statt. Im Termin am 30.10.2020 teilte der Vorsitzende mit, der Staatsschutzsenat beabsichtige derzeit nicht, die Beweisaufnahme über die fortzusetzende Vernehmung eines Zeugen hinaus von Amts wegen auf weitere Zeugen zu erstrecken. Mit Blick auf das verbleibende Beweisprogramm bat er die Bundesanwaltschaft und die Verteidigung, etwaige Anträge möglichst bis zum 5.11.2020 zu stellen. Anschließend wurden noch weitere Beweise erhoben und von den Verteidigern Anträge gestellt. Nachdem die Sachverständigen ihre Gutachten erstattet hatten und entlassen worden waren, verkündete der Vorsitzende im Termin am 5.3.2021, dem 151. Hauptverhandlungstag, drei Beschlüsse und stellte fest, dass damit alle Anträge erledigt seien. Ferner teilte er mit, dass er beabsichtige, für die Verfahrensbeteiligten eine Frist gemäß § 244 Abs. 6 S. 3 StPO zur Anbringung von Beweisanträgen bis zum 12.3.2021 zu bestimmen, und gab Gelegenheit zur Stellungnahme. Von dieser Möglichkeit wurde kein Gebrauch gemacht. Sodann gab der Vorsitzende eine Anordnung mit dem vorbezeichneten Inhalt bekannt und begründete sie. Auf einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung bestätigte der Staatsschutzsenat die Fristsetzung durch mit Gründen versehenen Beschluss vom 19.3.2021. Die nach Fristablauf gestellten Beweisanträge sind überwiegend in den Urteilsgründen beschieden worden.
II. Entscheidung
Konkreter Verdacht einer Absicht der Prozessverschleppung nicht erforderlich
Der BGH hat die Verfahrensrüge als unbegründet angesehen, denn die Bestimmung der Frist begegne keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Fristsetzung zur Anbringung von Beweisanträgen gemäß § 244 Abs. 6 S. 3 StPO erfordere nämlich nicht die Feststellung oder den konkreten Verdacht einer Absicht der Prozessverschleppung.
Streit in der Literatur
Ob eine solche Anordnung über den Wortlaut der Vorschrift hinaus an weitere Merkmale geknüpft sei, insbesondere ob es zumindest hinreichender Verdachtsmomente für eine Verschleppungsabsicht als ungeschriebener Voraussetzung bedürfe, sei bislang höchstrichterlich nicht entschieden und werde in der Literatur kontrovers diskutiert (für eine restriktive Auslegung der Vorschrift, wenngleich mit divergierenden Lösungsansätzen Börner, JZ 2018, 232, 238; Krehl, FS Fischer, S. 705, 709 f.; Kudlich/Nicolai, JA 2020, 881, 886; Singelnstein/Derin, NJW 2017, 2646, 2651; KK-StPO/Krehl, 9. Aufl., § 244 Rn 87b; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn 359h; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 244 Rn 95b; SSW-StPO/Sättele, 5. Aufl., § 244 Rn 145; demgegenüber Einschränkungen der Norm mit ausführlicher Begründung ablehnend Habetha, NJW 2021, 1288, 1289 f.; Schneider, NStZ 2019, 489, 493 ff.; ebenso Güntge, StraFo 2021, 92, 94 f.; Mosbacher, GA 2022, 481, 488 f. – insoweit abrückend von der in NStZ 2018, 9, 10 f. vertretenen Auffassung; Schlothauer, FS Fischer, S. 819, 823 ff.).
Auslegung nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesetzessystematik und Sinn und Zweck
Der BGH geht davon aus, dass bei Anwendung der anerkannten Auslegungsmethoden § 244 Abs. 6 S. 3 StPO dahin zu verstehen sei, dass der Vorsitzende eine Frist zur Anbringung von Beweisanträgen auch dann bestimmen dürfe, wenn kein tatsachenfundierter Verdacht einer anderenfalls drohenden Prozessverschleppung durch missbräuchlichen Einsatz des Beweisantragsrechts bestehe.
Dazu bezieht sich der BGH auf den Wortlaut der Vorschrift, der gegen ein solches Erfordernis spreche. Die gesetzliche Regelung kenne es gerade nicht, sondern sehe als einzige Voraussetzung für die Bestimmung der Frist den Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme vor. Auch die Entstehungsgeschichte der Norm gebe keinen eindeutigen Hinweis auf eine Vorstellung des Gesetzgebers, wonach eine Fristsetzung von (dem Verdacht) einer Verschleppungsabsicht abhängig sein sollte. Denn dem zugrunde liegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drucks 18/11277) lassen sich Ausführungen sowohl für als auch gegen ein einschränkendes Verständnis des § 244 Abs. 6 S. 3 StPO entnehmen, was der BGH im Einzelnen ausführt. Aus dem indifferenten Bild, das die Gesetzesmaterialien bieten, lasse sich somit kein sicherer Rückschluss auf die gesetzgeberische Haltung ziehen. Auch gesetzessystematische Erwägungen im Hinblick auf § 244 Abs. 6 S. 2 StPO seien mit in den Blick zu nehmen. Der regele aber den Umgang mit zum Zweck der Prozessverschleppung gestellten Beweisanträgen mit der Folge, dass der Anwendungsbereich des § 244 Abs. 6 S. 3 StPO in wesentlichen Teilen leerliefe, wenn auch bei § 244 Abs. 6 S. 2 StPO Verschleppungsabsicht festgestellt werden müsse. Schließlich und maßgeblich widerstreiten nach Auffassung des BGH auch Sinn und Zweck der Norm einem Verständnis, wonach eine Fristsetzung den konkreten Verdacht einer Verschleppungsabsicht voraussetzt. Bei der teleologischen Auslegung des § 244 Abs. 6 S. 3 StPO sei zu berücksichtigen, dass die Fristsetzung dem Tatgericht ermöglichen soll, nach Durchführung der amtswegigen Beweisaufnahme den Abschluss des Verfahrens beschleunigt herbeizuführen und hierdurch eine effiziente Verfahrensgestaltung sicherzustellen. Dieser Zweck wäre konterkariert, wenn es hierzu in jedem Fall zunächst der Feststellung von hinreichenden Verdachtsmomenten für eine Verschleppungsabsicht in Bezug auf die von den Verfahrensbeteiligten gestellten Beweisanträge bedürfte.
Verfahren der Fristsetzung nicht zu beanstanden
Zum Verfahren führt der BGH aus, dass mit der Anordnung des Vorsitzenden vom 5.3.2021, mit der er die Frist zur Anbringung von Beweisanträgen bestimmte, und dem bestätigenden Beschluss des Staatsschutzsenats vom 19.3.2021 die für die Fristsetzung bedeutsamen prozessualen Umstände ausführlich sowie nachvollziehbar dargelegt worden seien, sodass damit die fehlerfreie Ausübung des tatrichterlichen Ermessens belegt sei. Entgegen der Auffassung der Revisionen seien die von Amts wegen vorgesehenen Beweiserhebungen zum Zeitpunkt der Fristsetzung abgeschlossen gewesen. Für den Abschluss des gerichtlichen Beweisprogramms mache es keinen Unterschied, ob das Gericht von vorneherein ein bestimmtes Beweismittel als für seine Entscheidungsfindung unerheblich erachtet und daher nicht zum Gegenstand der Beweisaufnahme macht oder ob es – wie hier – erkennbar von der Absicht einer solchen Beweiserhebung – ursprünglich geplante Vernehmung eines Zeugen – abrückt und die Beweisaufnahme aufgrund der geänderten Beurteilung nicht auf das Beweismittel erstreckt. Auch gegen die Länge der gesetzten Frist sei eingedenk des beschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. hierzu Krehl, FS Fischer, S. 705, 721; KK-StPO/Krehl, a.a.O., § 244 Rn 87h; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 244 Rn 108; s. auch Schlothauer, FS Fischer, S. 819, 826) ebenfalls nichts zu erinnern. Die Länge der Frist bewege sich noch im Rahmen des tatrichterlichen Ermessens.
III. Bedeutung für die Praxis
Für BGHSt vorgesehen
1. Die – zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehene – Entscheidung klärt die Streitfrage, welche Voraussetzungen für eine Fristsetzung nach § 244 Abs. 6 S. 3 StPO bestehen, mit den dargelegten Argumenten m.E. überzeugend. Verteidiger müssen sich auf diese Rechtsprechung einstellen.
Weitere Frage geklärt
2. Der BGH nimmt in der Entscheidung noch zu einer weiteren Problematik Stellung. Das KG hatte einen Beweisantrag nach Fristablauf gemäß § 244 Abs. 6 S. 4 Hs. 1 StPO im Urteil abgelehnt. Die gewählte Begründung war nach Auffassung des BGH aber fehlerhaft. Der BGH hat diese rechtsfehlerhafte Begründung jedoch als unschädlich angesehen, da das KG den Beweisantrag ohne Rechtsfehler hätte zurückweisen dürfen und „die Ablehnungsgründe vom Revisionsgericht aufgrund des Urteilsinhalts nachgebracht werden können“. Auch insoweit ist die Entscheidung im Volltext lesenswert.