Eine Klausel eines zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher geschlossenen Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen, nach der sich die Vergütung Letzterer nach dem Zeitaufwand richtet, genügt ohne weitere Angaben nicht dem Erfordernis der Klarheit und Verständlichkeit.
(Leitsatz des Verfassers)
Das Urteil des EuGH ist aufgrund einer Vorlage des Obersten Gerichts in Litauen an den EuGH ergangen. In Litauen hatten ein Rechtsanwalt und ein Verbraucher fünf Verträge über Rechtsdienstleistungen geschlossen. Die Vergütung sollte sich jeweils nach dem Zeitaufwand richten. Für die Beratung oder Erbringung von Rechtsdienstleistungen wurde ein Stundensatz von 100 EUR vereinbart. Da der Verbraucher die Honorarrechnungen nicht vollständig bezahlte, hat der Rechtsanwalt ihn auf Zahlung von rund 10.000 EUR verklagt.
Das Verfahren war schließlich beim Obersten Gericht Litauens anhängig. Dieses legte dem EuGH diverse Fragen zur Auslegung der unionsrechtlichen Bestimmungen zum Schutz der Verbraucher vor missbräuchlichen Vertragsklauseln vor, wie sie sich aus der EU-Richtlinie 93/13 des Rates vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl 1993, L 95, S. 29; im Folgenden kurz: Richtlinie 93/13) ergeben. Die Fragen betrafen insbesondere den Umfang des Erfordernisses der klaren und verständlichen Abfassung einer Klausel eines Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen und die Folgen der Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Klausel, mit der die Vergütung dieser Dienstleistungen festgelegt wird. Diese hat der EuGH nun beantwortet.
Der EuGH stellt zunächst klar, dass Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass eine Klausel eines zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher geschlossenen Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen, nach der sich die Vergütung Letzterer nach dem Zeitaufwand richtet, unter diese Bestimmung fällt. Die Zeithonorar-Klausel betreffe den sog. Hauptgegenstand des Vertrages und sei damit grundsätzlich der Überprüfung anhand der EU-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln entzogen. Bei ihrer Beurteilung könne es aber auf „die Angemessenheit zwischen dem Preis bzw. dem Entgelt und den Dienstleistungen, die die Gegenleistung darstellen“ im Sinne dieser Bestimmung ankommen.
Das Oberste Gericht Litauens hatte u.a. danach gefragt, ob Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen sei, dass eine Klausel eines zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher geschlossenen Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen, nach der sich die Vergütung Letzterer nach dem Zeitaufwand richtet und die außer dem geltenden Stundensatz keine weiteren Erläuterungen oder Informationen enthält, dem Erfordernis, dass die Klausel klar und verständlich abgefasst sein muss, genüge. Der EuGH meint dazu, dass dieses Erfordernis, das auch in Art. 5 der Richtlinie zu finden sei, nicht auf die bloße Verständlichkeit einer Vertragsklausel in formeller und grammatikalischer Hinsicht beschränkt werden könne. Da das durch die Richtlinie 93/13 eingeführte Schutzsystem auf dem Gedanken beruhe, dass der Verbraucher gegenüber dem Gewerbetreibenden u.a. einen geringeren Informationsstand besitzt, müssen das Erfordernis, dass die Vertragsklauseln klar und verständlich abgefasst sein müssen, und mithin das Transparenzerfordernis, das die Richtlinie auferlegt, vielmehr umfassend verstanden werden. Somit sei das Erfordernis, dass eine Vertragsklausel klar und verständlich abgefasst sein müsse, so zu verstehen, dass der Vertrag die konkrete Funktionsweise des Verfahrens, auf das die betreffende Klausel Bezug nehme, und ggf. das Verhältnis zwischen diesem und dem durch andere Klauseln vorgeschriebenen Verfahren in transparenter Weise darstellen müsse, damit der betroffene Verbraucher in der Lage sei, die sich für ihn daraus ergebenden wirtschaftlichen Folgen auf der Grundlage genauer und nachvollziehbarer Kriterien einzuschätzen.
Entsprechend sei die Prüfung, ob eine Klausel wie die, um die es im Ausgangsverfahren gehe, im Sinne der Richtlinie 93/13 „klar und verständlich“ ist, vom nationalen Gericht anhand aller relevanten Tatsachen vorzunehmen. Das nationale Gericht habe insbesondere unter Berücksichtigung aller den Vertragsabschluss begleitenden Umstände zu prüfen, ob dem Verbraucher sämtliche Tatsachen mitgeteilt worden seien, die sich auf den Umfang seiner Verpflichtung auswirken könnten und ihm erlauben, die finanziellen Folgen seiner Verpflichtung einzuschätzen. Für den Verbraucher sei es zudem von grundlegender Bedeutung, dass er vor Abschluss des Vertrags über die Vertragsbedingungen und die Folgen des Vertragsschlusses informiert werde. Namentlich auf der Grundlage dieser Information entscheidet er, ob er durch die vom Gewerbetreibenden vorformulierten Bedingungen gebunden sein möchte.
Wie aus dem Vorlagebeschluss hervorgehe, sei – so der EuGH – hier in der Klausel über die Vergütung lediglich bestimmt (worden), dass der Gewerbetreibende als Vergütung für jede Stunde, in der er Rechtsdienstleistungen erbringt, 100 EUR erhalte. Ohne weitere Angaben des Gewerbetreibenden sei ein normal informierter und angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher bei einem solchen Mechanismus der Festsetzung der Vergütung nicht in der Lage, die finanziellen Folgen der Klausel über die Vergütung, nämlich die für die Dienstleistungen insgesamt zu zahlende Vergütung, einzuschätzen. Wegen der Art der Dienstleistungen, die Gegenstand eines Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen sind, sei es für den Gewerbetreibenden zwar oft schwer, wenn nicht sogar unmöglich, bei Vertragsschluss vorherzusehen, wie viele Stunden genau erforderlich seien, um die Rechtsdienstleistungen zu erbringen, und somit welche Vergütung hierfür insgesamt zu zahlen ist. Aber auch wenn von einem Gewerbetreibenden nicht verlangt werden könne, dass er den Verbraucher über die endgültigen finanziellen Folgen der von ihm eingegangenen Verpflichtung informiert, die von unvorhersehbaren zukünftigen Ereignissen abhängen, auf die der Gewerbetreibende keinen Einfluss hat, müssten die Informationen, die der Gewerbetreibende vor Vertragsabschluss zu erteilen habe, den Verbraucher in die Lage versetzen, seine Entscheidung mit Bedacht und in voller Kenntnis zum einen des Umstands, dass solche Ereignisse eintreten können, und zum anderen der Folgen, die solche Ereignisse während der Dauer der Erbringung der betreffenden Rechtsdienstleistungen haben können, zu treffen. In diesen Informationen – die je nach Gegenstand und Art der in den Vertrag über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen vorgesehenen Leistungen und je nach den einschlägigen berufs- und standesrechtlichen Vorschriften unterschiedlich ausfallen können – müssten Angaben enthalten sein, anhand derer der Verbraucher die Gesamtkosten der Rechtsdienstleistungen der Größenordnung nach einschätzen könne, etwa eine Schätzung der Stunden, die voraussichtlich oder mindestens erforderlich seien, um eine bestimmte Dienstleistung zu erbringen, oder die Verpflichtung, in angemessenen Zeitabständen Rechnungen oder regelmäßige Aufstellungen zu übermitteln, in denen die aufgewandten Arbeitsstunden ausgewiesen sind.
Der EuGH führt weiter aus: Die Klausel sei nicht bereits deshalb, weil sie dem Transparenzerfordernis gemäß Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie nicht entspreche, als missbräuchlich anzusehen, es sei denn, der Mitgliedstaat, dessen innerstaatliches Recht auf den betreffenden Vertrag anwendbar ist, habe dies gemäß Art. 8 der Richtlinie ausdrücklich vorgesehen. Das nationale Gericht müsse aber, wenn es im Wege der ihm obliegenden Gesamtwürdigung die Missbräuchlichkeit der Klausel feststelle, die Klausel für unanwendbar erklären, sofern der Verbraucher dem nicht widerspricht. Könne der Vertrag nach Aufhebung der Klausel insgesamt nicht fortbestehen, sei er im Einklang mit der Richtlinie 93/13 selbst dann für nichtig zu erklären, wenn der Rechtsanwalt für seine Arbeit überhaupt kein Honorar erhalte. Nur für den Fall, dass die Nichtigkeit eines Vertrages für den Verbraucher besonders nachteilige Folgen hätte, dürfe das vorlegende Gericht ausnahmsweise eine missbräuchliche Klausel durch eine dispositive Vorschrift des innerstaatlichen Rechts ersetzen. Eine konkrete Vergütung selbst festsetzen dürfe es indes nicht.
1. Es stellt sich die Frage, welche Folgerungen aus dieser Entscheidung zu ziehen sind. Fasst man die Aussagen des EuGH zusammen, dann soll die Vereinbarung einer Zeitvergütung in einem Vertrag zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher nur dann klar und verständlich sein, wenn der Verbraucher vor Vertragsabschluss so informiert wurde, dass er seine Entscheidung zum Vertragsschluss mit Bedacht und in voller Kenntnis der wirtschaftlichen Folgen treffen konnte (vgl. auch § 307 Abs. 1 S. 2 BGB). Geschieht das nicht, könne das nationale Gericht die Lage wiederherstellen, in der sich der Verbraucher ohne die Klausel befunden hätte, auch wenn der Anwalt dann keine Vergütung erhalte.
Legt man den strengen Maßstab wortgenau an, wäre m.E. die Vereinbarung eines Stundenhonorars kaum noch möglich. Denn welcher Rechtsanwalt kann bei Mandatsübernahme den zeitlichen Aufwand so abschätzen, dass er den Mandanten so informiert, dass der schon zu dem Zeitpunkt seine Entscheidung, ein Stundenhonorar zu vereinbaren, „in voller Kenntnis der wirtschaftlichen Folgen treffen konnte“? Das wird vom EuGH zwar auch gesehen, wie damit aber umzugehen ist, bleibt offen. Fraglich ist m.E. auch, ob der Rechtsanwalt in den Fällen einer „missbräuchlichen Klausel“ nach nationalem deutschem Recht keine Vergütung erhält. Denn die nationale Rechtsprechung ist (bislang) davon ausgegangen, dass dann, wenn eine Stundensatzvereinbarung unwirksam ist, nach RVG abgerechnet werden kann (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. Teil A Rn 2440, AnwKomm-RVG/N. Schneider, 9. Aufl. 2021, § 3a Rn 17, jeweils m.w.N.).
Auf der Grundlage der Entscheidung ist aber auf jeden Fall zu empfehlen, noch genauer als in der Vergangenheit den Mandanten über den voraussichtlich erforderlichen Zeitaufwand zu informieren. Vor der Vereinbarung eines Stundenhonorars ohne weitere Erläuterungen und Erklärungen ist jedenfalls zu warnen. Insoweit werden insbesondere die Komplexität des Sachverhalts, der Umfang des vorhandenen und des ggf. noch zu erwartenden Materials, das für die Fallbearbeitung eine Rolle spielt bzw. spielen kann, und die Schwierigkeit der Rechtslage von Bedeutung sein. Auf der Grundlage wird der Rechtsanwalt eine zumindest grobe Einschätzung des zu erwartenden Zeitaufwands geben können. Ist das nicht möglich, was z.B. in Strafsachen der Fall sein kann, sollte der Rechtsanwalt m.E. einen Vorbehalt machen und im Einzelnen darlegen, welche Umstände die Einschätzung als fehlerhaft erscheinen lassen können. Darüber hinaus dürften sich „Zwischeneinschätzungen“ und Teilrechnungen empfehlen, da diese es dem Mandanten ermöglichen, die bei Vertragsschluss vorgenommene „Grundeinschätzung“ zu überprüfen.
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