Die nachträgliche Beschränkung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid auf die Rechtsfolgen ist auch nach richterlichem Hinweis auf möglicherweise vorsätzliches Handeln wirksam.
Leitsatz des Gerichts
I. Sachverhalt
Einspruch
Gegen die Betroffene ist mit Bußgeldbescheid vom 30.11.2021 wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße von 440 EUR festgesetzt und ein Fahrverbot von zwei Monaten angeordnet worden. Dagegen hat die Betroffene rechtzeitig Einspruch eingelegt.
Hinweis auf Vorsatz
Das AG hat die Betroffene mit Schreiben vom 31.1.2022 u.a. darauf hingewiesen, dass auch eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung in Betracht komme. Dabei hat es auch auf die Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. vom 23.3.2016 (2 Ss-OWi 52/16, NStZ-RR 2016, 215), nach der eine Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen nicht mehr zulässig sei, abgestellt.
Einspruchsbeschränkung
Mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 19.7.2022 hat die Betroffene den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid auf die Rechtsfolgen beschränkt. Das AG hat die Betroffene dennoch mit Urteil vom 21.7.2022 wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 880 EUR verurteilt sowie ein Fahrverbot von drei Monaten gegen sie verhängt. Unter Hinweis auf die Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. ist es davon ausgegangen, dass die Beschränkung des Einspruchs nicht wirksam sei. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Betroffenen hatte nach Übertragung auf den Senat zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung Erfolg.
II. Entscheidung
Einspruchsbeschränkung wirksam …
Entgegen der Auffassung des AG geht das OLG davon aus, dass die Beschränkung des Einspruchs wirksam war, sodass das AG nur noch über die Rechtsfolgen auf der Grundlage des rechtskräftig festgestellten fahrlässigen Geschwindigkeitsverstoßes zu entscheiden hatte. Die vom AG zitierte und zutreffend wiedergegebene Entscheidung eines Einzelrichters des damals einzigen Bußgeldsenats des OLG Frankfurt am Main vom 23.3.2016 (2 Ss-OWi 52/16, a.a.O.) stehe der Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen nicht entgegen. In ihrem tragenden Teil sei diese Entscheidung nämlich bereits nicht einschlägig. Nach den dortigen Feststellungen sei das Verteidigungsverhalten des Betroffenen widersprüchlich, indem auch nach der vermeintlichen Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen noch erklärt worden sei, die Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung solle noch überprüft werden. Deshalb sei die Beschränkung dort als nicht wirksam erachtet worden, weil eine Prozesserklärung unmissverständlich sein müsse und bedingungsfeindlich sei. Ein solches widersprüchliches Verhalten sei vorliegend nicht gegeben. Die auch hier im Vorfeld vorgebrachten Einwendungen gegen die Geschwindigkeitsmessung seien ausdrücklich nicht aufrechterhalten und diese ohne jeden Vorbehalt als richtig akzeptiert worden.
… auch nach rechtlichem Hinweis des Gerichts
Etwas anderes ergebe sich – so das OLG – auch nicht aufgrund der weiteren, für die damalige Entscheidung nicht tragenden Ausführungen der Entscheidung des OLG Frankfurt am Main. Danach soll die Einspruchsbeschränkung nach einem Hinweis des Gerichts, dass statt der im Bußgeldbescheid angenommenen Fahrlässigkeit eine vorsätzliche Begehung in Betracht komme, nicht mehr zulässig sein. Der Senat teile diese Auffassung, die soweit ersichtlich obergerichtlich vereinzelt geblieben sei, nicht. Vielmehr schließe er sich den überzeugend begründeten Entscheidungen des OLG Rostock (Beschl. v. 14.4.2022 – 21 Ss OWi 24/22, VRR 6/2022, 3 [Ls.] = StRR 5/2022, 4 [Ls.]) und des OLG Oldenburg (Beschl. v. 7.3.2016 – 2 Ss (OWi) 55/16, DAR 2016, 472) an. Es stehe nicht in Zweifel, dass eine von Anfang an erfolgende Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen gemäß § 67 Abs. 2 OWiG zulässig ist, sofern der Bußgeldbescheid den gesetzlichen Anforderungen des § 66 Abs. 1 OWiG entspreche (OLG Rostock und OLG Oldenburg, a.a.O. jeweils m.w.N.). Ebenso sei im Strafprozessrecht (das gemäß § 67 Abs. 1 S. 2 OWiG auch für den Einspruch gelte) anerkannt, dass eine Teilrücknahme und die darin liegende nachträgliche Rechtsmittelbeschränkung in gleicher Weise und in gleichem Umfang zulässig sei wie eine von vornherein erklärte Beschränkung des Rechtsmittels (BGHSt 33, 59; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 302 Rn 2). Warum dies im Ordnungswidrigkeitenrecht und insbesondere nach einem gerichtlichen Hinweis anders sein soll, erschließe sich nicht. Die Hinweispflicht gemäß § 265 StPO auf eine möglicherweise veränderte rechtliche Bewertung diene der Sicherung der umfassenden Verteidigung des Betroffenen und Gewährleistung seines Anspruchs auf ein faires Verfahren; er solle seine Verteidigung auf den veränderten Gesichtspunkt einrichten können. Die hier abgelehnte Auffassung würde hingegen bedeuten, dass der Betroffene aufgrund eines solchen richterlichen Hinweises ihm sonst zustehende prozessuale Rechte verliere, und damit den Sinn und Zweck der Hinweispflicht in das Gegenteil verkehren. Ebenso wenig treffe es zu, dass Schuldform und Rechtsfolgen so eng miteinander verbunden wären, dass das AG nach einer solchen Beschränkung des Einspruchs die Rechtsfolgen nicht auf der Grundlage der im Bußgeldbescheid angenommenen Fahrlässigkeit bestimmen könnte (OLG Rostock a.a.O.) – dagegen spreche bereits, dass dies auch bei einer von Anfang an erfolgenden Beschränkung des Einspruchs gelten müsste, was aber auch nach der zitierten Einzelrichterentscheidung des früheren Bußgeldsenats des OLG Frankfurt am Main gerade nicht in Frage gestellt werde.
III. Bedeutung für die Praxis
Zutreffend
Die Entscheidung ist zutreffend und schafft Klarheit in der Rechtsprechung, wobei dahingestellt bleiben mag, inwieweit der Beschluss des OLG Frankfurt a.M. vom 23.3.2016 (2 Ss-OWi 52/16, NStZ-RR 2016, 215), der seit seinem Erlass durch die Rechtsprechung der OLG geistert, nun tatsächlich der Auffassung des OLG Frankfurt a.M. entsprochen hat oder ob wir alle den Beschluss nur falsch verstanden haben. Jedenfalls ist sich die Rechtsprechung der OLG nun wieder einig, dass eine Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen auch noch nach einem rechtlichen Hinweis des Gerichts auf eine ggf. im Raum stehende Verurteilung wegen Vorsatzes möglich ist. Das muss der Verteidiger in entsprechenden Fällen im Blick haben und ggf. der „Verböserung“ durch die entsprechende Beschränkung des Einspruchs begegnen.