Die Anordnung zur Abnahme von Fingerabdrücken des Beschuldigten auch gegen seinen Willen und erforderlichenfalls im Wege der zwangsweisen Durchsetzung sowie die Anordnung zur Nutzung der hieraus resultierenden biometrischen Daten für Zwecke der Entsperrung eines Mobiltelefons finden ihre Grundlage in § 81b Abs. 1 StPO.
(Leitsatz des Verfassers)
I. Sachverhalt
Fingerabdrücke zum Entsperren eines Mobiltelefons
Gegen den Beschuldigten wird ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Anstiftung zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie des Handeltreibens und des versuchten Erwerbs geführt. Im Rahmen der Ermittlungsmaßnahmen wurde das Zimmer des Beschuldigten im elterlichen Wohnhaus durchsucht und dabei das Mobiltelefon des Beschuldigten beschlagnahmt. Das AG hat die Abnahme und Nutzung der Fingerabdrücke des Beschuldigten zum Zwecke der Entsperrung seines Mobiltelefons angeordnet. Die Beschwerde des Beschuldigten blieb ohne Erfolg.
II. Entscheidung
§ 81b StPO: ähnliche Maßnahme
Die Voraussetzungen des § 81b Abs. 1 1. Var. StPO lägen vor. § 81b Abs. 1 1. Var. StPO ermächtige schon dem Wortlaut nach zur Abnahme von Fingerabdrücken beim Beschuldigten. Die Maßnahme habe der Beschuldigte als Passivmaßnahme zu dulden. Im Fall des Widerstands berechtige § 81b Abs. 1 sogar die Anwendung unmittelbaren Zwangs, etwa durch Auflegen der Finger des Beschuldigten auf den Fingerabdrucksensor. Deshalb verletze die Maßnahme weder die in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich garantierte Selbstbelastungsfreiheit noch den Kernbereich des fairen Verfahrens aus Art. 6 EMRK. Auch die Nutzung der festgestellten Fingerabdrücke für Zwecke des Entsperrens des Mobiltelefons des Beschuldigten sei als „ähnliche Maßnahme“ von § 81b Abs. 1 StPO umfasst. Bei dieser Maßnahme handele es sich sicherlich nicht um den klassischen Fall, welcher dem Erlass des § 81b Abs. 1 StPO zugrunde lag. Dem historischen Gesetzgeber habe vielmehr die Vorstellung zugrunde gelegen, die festgestellten Fingerabdrücke mit den Tatortspuren oder den Abdrücken einer. Kartei zu vergleichen, um damit einen Tatnachweis führen zu können. Dabei sei zu beachten, dass der Gesetzgeber dies nicht in der Deutlichkeit in den Gesetzeswortlaut aufgenommen hat. Vielmehr formuliere er den Gesetzeswortlaut offen, indem er als Auffangterminus „ähnliche Maßnahmen“ verwendet. Dennoch genüge die Norm dem erforderlichen Bestimmtheitsgrundsatz, da jede Maßnahme an den beiden genannten Modalitäten und der amtlichen Überschrift „erkennungsdienstliche Maßnahmen“ gemessen werden muss. Durch die offene Formulierung werde erreicht, dass sich der statische Gesetzeswortlaut an den jeweiligen Stand der Technik anpasst (Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 193 (194)). Mit der „technikoffenen“ Formulierung habe der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass auch solche Maßnahmen gedeckt sind, die dem gesetzlichen Leitbild der Abnahme und Verwendung von äußeren körperlichen Beschaffenheitsmerkmalen zu Identifizierungs- oder Tatnachweiszwecken entsprechen. Im weiteren Sinn komme der Nutzung der festgestellten Fingerabdrücke zum Entsperren eines Mobiltelefons auch eine Identifizierungsfunktion zu. Die Identifizierungsfunktion werde hier im Unterschied zum klassischen Fall des § 81b StPO allerdings nicht unmittelbar zum Führen eines Tatnachweises verwendet, sondern als Zwischenziel zur Erlangung der für den Nachweis erforderlichen gespeicherten Daten. Die Verwendung von biometrischen Körpermerkmalen zur Entschlüsselung von Daten durch einen Abgleich mit den im Endgerät hinterlegten Schlüsselmerkmalen sei deshalb auch vom Wortlaut umfasst (LG Baden-Baden, Beschl. v. 26.11.2019 – 2 Qs 147/19; Goers, in: BeckOK-StPO, 46. Edition, 1.1.2023, § 81b Rn 4.1). Der Einwand, aus der Neufassung des § 81b sei zu schließen, dass die Norm den hiesigen Fall gerade nicht regeln soll, finde in den Gesetzgebungsmaterialien keinen Anklang. Der unveränderte Abs. 1 sei um die Abs. 2 bis 5 ergänzt worden, die für den vorliegenden Fall aber unbedeutend seien. Die Kammer hebt schließlich hervor, dass § 81b Abs. 1 StPO lediglich die Verwendung der festgestellten Fingerabdrücke zur Entsperrung des Mobiltelefons deckt. Davon unterschieden werden müsse unweigerlich der Zugriff auf die im Mobiltelefon gespeicherten Daten selbst, welcher nicht mehr von § 81b StPO umfasst ist.
Verhältnismäßigkeit
Die Abnahme und Verwendung von Fingerabdrücken für das Entsperren des Mobiltelefons sei für Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens notwendig und mithin verhältnismäßig. Insbesondere bleibe das Grundrecht des Beschuldigten auf informationelle Selbstbestimmung hinter dem Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafrechtspflege zurück. Das Entsperren des Speichermediums sei ein notwendiges Zwischenziel. Letztlich seien die dadurch erlangten Daten geeignet, den Tatnachweis für den Verdacht des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu führen. Die Maßnahme sei auch erforderlich, weil eine Entsperrung des Mobiltelefons per Code mangels freiwilliger Herausgabe durch den Beschuldigten und wegen Nicht-Auffindens etwaiger Zugangspasswörter bei der Durchsuchung nicht möglich ist. Ein Zugriff auf die gespeicherten Daten könne unter gewissen Umständen je nach Modell zwar auch auf andere Weise erreicht werden. Ein solches Vorgehen sei jedoch aufgrund des Zeit- und Kostenaufwands nicht gleichermaßen effektiv im Vergleich zur hiesigen Maßnahme. Die Verwendung der festgestellten Fingerabdrücke sei auch angemessen, da das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aufgrund der hier eher geringen Eingriffsintensität hinter dem Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung zurückbleibt. Bei der Abwägung sei insbesondere zu berücksichtigen, dass die Speicherung der Fingerabdrücke von nur kurzer Dauer ist und der Zweck der Maßnahme mit dem Entsperren des Mobiltelefons erreicht ist. Auch in die Abwägung zu stellen sei der ermöglichte eingriffsintensivere Zugriff auf die gespeicherten Daten, welcher neben dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung auch das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme tangiert. Auf der anderen Seite sei zu beachten, dass es sich um eine offene Ermittlungsmaßnahme handelt. Dem Beschuldigten werde weiter eine Tat vorgeworfen, die die Grenze eines Bagatelldelikts deutlich übersteigt. Beachtlich ins Gewicht falle ferner der Umstand, dass das Mobiltelefon selbst mit großer Wahrscheinlichkeit ein Tat- und Beweismittel darstellt. Es sei zu erwarten, dass die darauf gespeicherten Daten Auskunft über Bestellvorgänge sowie Kontakte zu Händlern und Abnehmern im Zusammenhang mit den beim Zoll entdeckten Marihuana-Zigaretten geben.
III. Bedeutung für die Praxis
Im Ergebnis zutreffend
Gewiss nicht der Regelfall der Abnahme von Fingerabdrücken zum Abgleich mit Tatspuren. Und entgegen der Überlegung des LG geht es auch nicht um „Identifizierung“, sondern um das Verschaffen eines Zugangs zu den im Mobiltelefon des Beschuldigten vorhandenen Daten. Da es zudem ausdrücklich um die im Gesetz genannten Maßnahme der Aufnahme von Fingerabdrücken geht, ist es nicht verständlich, dass das LG auf die „ähnlichen Maßnahmen“ abstellt, die andere Möglichkeiten zur Feststellung der körperlichen Beschaffenheit einschließlich biometrischer Daten außerhalb von § 81a StPO und DNA erfassen (näher Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 81b Rn 8 m.N.). Das alles ist aber auch nicht der springende Punkt. § 81b Abs. 1 nennt als Zweck der Maßnahme eben nicht die Identifizierung eines Täters, sondern als übergreifenden Zweck die „Durchführung des Strafverfahrens“ und lässt dazu als Mittel die Aufnahme von Fingerabdrücken zu (ebenso Bäumerich, NJW 2017, 2718, 2721; Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 193, 195). Im Ergebnis ist daher dem LG beizupflichten, wobei die Maßnahme im Einzelfall den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit (Eignung, Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit i.e.S.) entsprechen muss. Eine vergleichbare Konstellation ist die Erstellung eines Gesichtsscans zur Überwindung der Gesichtserkennung als Zugangsschranke eines Digitalgeräts. Zu beachten ist auch, dass § 81b Abs. 1 StPO nur die Abnahme der Fingerabdrücke als solche gestattet. Der Zugriff auf das Mobiltelefon selbst sowie auf die Daten wird davon nicht erfasst und muss seinerseits zulässig sein (Stichwort: ordnungsgemäße Durchsuchung und Beschlagnahme; a.A: wohl Bäumerich a.a.O.).