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Ersatz von Auslagen für Kopien aus der Gerichtsakte

1. Der Ersatz von Auslagen für Kopien und Ausdrucke aus Gerichtsakten kann verlangt werden, soweit diese zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten oder zur notwendigen Unterrichtung des Auftraggebers zu fertigen waren.

2. Die Darlegungs- und Beweisleist im Auslagenerstattungsverfahren obliegt dem Rechtsanwalt als Antragssteller. Es bedarf für die erforderliche Substantiierung eines konkreten Tatsachenvortrags. Dieser hat namentlich erkennen zu lassen, dass sich der Rechtsanwalt der ihm hierbei eingeräumten Einschätzungsprärogative ebenso bewusst gewesen ist wie seiner Pflicht zur kostenschonenden Prozessführung.

(Leitsätze des Verfassers)

BGH, Beschl. v. 12.9.19193 BGs 293/19

I. Sachverhalt

Kopien aus der elektronischen Hilfsakte werden nicht erstattet

Der Rechtsanwalt war Pflichtverteidiger. Er hat am 6.5.2019 die Erstattung von Kopierkosten in Höhe von 1.785,85 EUR nach Nr. 7000 RVG zzgl. hierauf entfallender Umsatzsteuer nach Nr. 7008 RVG beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass sämtliche ihm im März 2019 in Form einer elektronischen Hilfsakte durch den Generalbundesanwalt beim BGH überlassenen Bestandteile der Verfahrensakte bis einschließlich Band 5 durch ihn ausgedruckt worden seien, da die Bundesanwaltschaft erklärte habe, seinem Mandanten einen Laptop mit der elektronischen Hilfsakte erst nach Anklageerhebung zur Verfügung stellen zu wollen. Nach Anhörung der Kostenprüfungsbeamtin des BGH wies der Rechtspfleger den Rechtsanwalt darauf hin, dass dieser einer Darlegungs- und Beweislast für die Notwendigkeit eines vollständigen Ausdrucks digitalisierter Verfahrensakten unterliege. Mit Beschluss vom 1.7. 2019 wurde der Antrag des Rechtsanwalts auf „Erstattung umfangreicher Kopierauslagen aus der Bundeskasse“ zurückgewiesen.

Erinnerung

Hiergegen hat der Rechtsanwalt Erinnerung eingelegt. Zur Begründung hat er abermals die unterbliebene frühzeitige Bereitstellung eines Laptops durch die Anklagebehörde angeführt und ergänzt, dass die Justizvollzugsanstalt es ihm untersagt habe, seinen eigenen Laptop zu Verteidigergesprächen mitzubringen. Dem Gebot eines ressourcenschonenden Umgangs habe er dadurch Rechnung getragen, dass ausschließlich schwarz-weiß-Kopien gefertigt worden seien. Auch habe er die Bundesanwaltschaft bereits im März darauf hingewiesen, dass er im Falle weiterer Verzögerungen bei der Bereitstellung eines Laptops selbst für seinen Mandanten die Akten kopieren werde (a.a.O., S. 2). Der GBA hat im Erinnerungsverfahren mitgeteilt, dass dem Beschuldigten entsprechend einer schriftlichen Ankündigung vom 8.5.2019 mit Verfügung vom 9.7.2019 ein Laptop zur Verfügung gestellt wurde; am 12.9.2019 wurde das Passwort für die Dateien übersandt. Die Erinnerung hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Grundsätze für die Erstattung von Ausdrucken

Der Ermittlungsrichter des BGH hat einen Anspruch auf Auslagenerstattung aus § 2 Abs. 2 S. 1 RVG in Verbindung mit Nr. 7000 Ziffer 1 lit. a) VV-RVG verneint. Nach der gesetzlichen Regelung könne der Ersatz von Auslagen für Kopien und Ausdrucke aus Gerichtsakten verlangt werden, soweit diese zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten oder zur notwendigen Unterrichtung des Auftraggebers zu fertigen waren. Maßgeblich hierfür sei die Sicht eines verständigen und durchschnittlich erfahrenen Rechtsanwalts (vgl. BGH NJW 2005, 2317); hierbei seien auch die konkrete Verfahrensart und das Verfahrensstadium zu berücksichtigen. Die Darlegungs- und Beweisleist im Auslagenerstattungsverfahren obliegt dem Rechtsanwalt als Antragssteller (vgl. KG RVGreport 2016, 147 = StRR 1/2016, 19; OLG Düsseldorf RVGreport 2016, 64; OLG München RVGreport 2015, 106 = StRR 2015, 159; OLG Rostock AGS 2014, 553 = RVGreport 2014, 471). Im Einzelnen gelte weiter Folgendes:

Konkreter Sachvortrag

Es bedürfe für die erforderliche Substantiierung eines konkreten Tatsachenvortrags. Dieser habe namentlich erkennen zu lassen, dass sich der Rechtsanwalt der ihm hierbei eingeräumten Einschätzungsprärogative ebenso bewusst gewesen ist wie seiner Pflicht zur kostenschonenden Prozessführung. Wenn der Akteninhalt vollständig und verlässlich in digitalisierter Form zu einem Zeitpunkt vorliege, zu dem sich der Pflichtverteidiger noch in den Verfahrensstoff einarbeiten könne, könne dieser regelmäßig auf diese Form der Information über den Akteninhalt verwiesen werden; die Fertigung eines Gesamtaktenausdrucks erweise sich in diesen Fällen als grundsätzlich nicht erforderlich (OLG Braunschweig RVGreport 2016, 97 = Sonderausgabe StRR 5/2016, 8; OLG Düsseldorf StraFo 2014, 527; OLG Köln StraFo 2010, 131 = RVGreport 2010, 99 = StRR 2010, 278; OLG Rostock, a.a.O.).

Haftsachen

Diese Maßgaben finden nach Ansicht des BGH grundsätzlich auch Anwendung auf Haftsachen. Allerdings sei die vom Rechtsanwalt zu gewährleistende sachgerechte Verteidigung im Lichte der haftspezifischen Beschränkungen des Verteidigermandats des Einzelfalles zu bewerten. Werde dem inhaftierten Beschuldigten ein Datenträger und ein Wiedergabegerät mit dem der Akteneinsicht unterstehenden Verfahrensstoff in der Justizvollzugsanstalt durch die Anklagebehörde zur Verfügung gestellt, scheide ein erstattungsfähiger Ausdruck der digitalen Aktenbestandteile für den Mandanten durch den Rechtsanwalt grundsätzlich aus; dies gelte gleichermaßen, wenn die Übergabe eines solchen Datenträgers konkret absehbar sei oder gar unmittelbar bevorstehe. Dies gelte gleichermaßen, wenn sich der Umfang der Verfahrensakten als überschaubar erweise und der Rechtsanwalt entweder die Akten in Papierform oder aber in digitalisierter Form zur Besprechung in die Justizvollzugsanstalt zum Mandantengespräch verbringen und auf diese Weise dem Mandanten Kenntnis verschaffen könne. Sei ein solches Mandantengespräch angesichts des Umfangs oder der Schwierigkeit der Sache im Ausnahmefall nur sinnvoll oder auch tatsächlich nur dann durchführbar, wenn der Mandant die relevanten Aktenteile zuvor selbst gelesen habe, könne der Ausdruck der digitalen Akte insoweit im Einzelfall auch in größerem Umfang zur Vorbereitung geboten sein. Werde in diesen Fällen trotz haftspezifischer Beschränkungen durch die Anklagebehörde keine digitalisierte Verfahrensakte zur Verfügung gestellt oder werde dieses erst für einen mit dem Gebot sachgerechter Verteidigung unvereinbaren Termin in Aussicht gestellt, so liege die Notwendigkeit zumindest eines teilweisen Ausdrucks digitalisierter Verfahrensakten zur sachgerechten Verteidigung regelmäßig auf der Hand. In jedem Fall habe der Verteidiger die ihm überlassenen Verfahrensakten allerdings auszuwerten und anhand dessen zu entscheiden, welche Aktenteile für das Mandantengespräch in der Justizvollzugsanstalt von Bedeutung seien. Sämtliche hierfür maßgebenden, gerade auch haftspezifischen Umstände seien im Auslagenerstattungsverfahren vorzutragen. Hierzu zählt neben den Zusagen der Staatsanwaltschaft auch, dass die Verfahrensakten durch den Rechtsanwalt vor dem Ausdrucken selbst durchgesehen und vor diesem Hintergrund als für die Verteidigungsvorbereitung bedeutsam angesehen worden seien; schließlich seien Datum und Anzahl tatsächlich durchgeführter oder geplanter Besprechungstermine in der Justizvollzugsanstalt mitzuteilen.

Anwendung auf den konkreten Fall

Gemessen an diesen rechtlichen Maßgaben war hier nach Auffassung des BGH eine Erstattung zu verneinen. Zwar dränge sich angesichts des verstrichenen Zeitraums von März bis Juli 2019 auf, dass für den Rechtsanwalt/Pflichtverteidiger zur Vorbereitung einer sachgerechten Verteidigung die Notwendigkeit eines jedenfalls teilweisen Ausdrucks der Ermittlungsakte bestanden habe. Ihm sei es eingedenk des erheblichen Verfahrensumfangs und mit Blick auf das in Haftsachen besondere Geltung beanspruchende Gebot zügiger Verfahrensführung nicht zumutbar gewesen, von März 2019 bis zur Überlassung des Datenträgers im Juli 2019 zuzuwarten und erst dann in verfahrensvorbereitende Gespräche einzutreten, die sein Mandant in dem hier umfangreichen Verfahren anhand eigener Aktenlektüre vorbereiten konnte.

Der Antragssteller begehre aber weiterhin trotz wiederholten Hinweises durch den Rechtspfleger ohne jede Form der Substantiierung die Erstattung eines pauschalen Ausdrucks der gesamten digitalisierten Verfahrensakte zur Verfahrensvorbereitung für seinen inhaftierten Mandanten. Das erweise sich als unzureichend. Schon zu dem maßgebenden Umstand, dass er zumindest das Gebot kostenschonender Prozessführung durch eine Durchsicht der Verfahrensakten bedacht und selbst differenziert bewertet habe, was konkret als Besprechungsgrundlage erforderlich sein werde, trage der Rechtsanwalt nicht vor. Es bleibe ferner offen, ob und an wie vielen Tagen in der Zeit nach der Übersendung der digitalisierten Verfahrensakten überhaupt Besprechungstermine stattgefunden haben oder auch nur geplant waren. Überdies sei gerichtsbekannt, dass die Verfahrensakten einen nicht unerheblichen Anteil gerichtlicher Anordnungen nach § 162 StPO sowie anwaltliche Schriftsätze enthalten, bei denen sich die Notwendigkeit einer Erörterung mit dem Mandanten nicht ohne Weiteres erschließe.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Vorab zwei Anmerkungen:

Späte Veröffentlichung

a) Der Beschluss ist am 12.9.2019 ergangen, veröffentlicht worden ist er auf der Homepage des BGH erst am 13.9.2022. Warum zwischen Erlass und Veröffentlichung drei Jahre liegen, erschließt sich nicht.

Nicht nachvollziehbarer Betrag

b) Geltend gemacht worden sind vom Pflichtverteidiger 1.785,85 EUR für die Kopien. Das ist ausweislich der Gründe des BGH-Beschlusses der Nettobetrag. Prüft man diesen an den Vorgaben der Nr. 700 Ziff. 1a VV RVG, dann lässt sich m.E. der Betrag anhand der im Beschluss mitgeteilten Umstände nicht nachvollziehen. Denn: Von den 1.785,85 EUR sind für die ersten 50 abzurechnenden Seiten je Seite 0,50 EUR abzuziehen, also 25,00 EUR. Verbleiben also 1.760,85 EUR für die weiteren Seiten. Für die werden ggf. jeweils 0,15 EUR erstattet. Das heißt, dass der Pflichtverteidiger 11.739 weitere Seiten kopiert haben müsste. Nach den Ausführungen des BGH ist die Verfahrensakte bis „einschließlich Band 5“ kopiert worden, eine genaue Angabe zur Anzahl der Seiten macht der BGH nicht. Geht man davon aus, dass ein Band Akten aus jeweils 400 Blatt besteht und unterstellt man weiter, dass jeweils Vorder- und Rückseite kopiert werden mussten, was m.E. jeweils Annahmen zugunsten des Pflichtverteidigers sind, dann waren danach 5 x 800 Blatt = 4.000 Blatt zu kopieren. Das führt aber nur zu einem Betrag von 3.950 Blatt (4000 Blatt – 50 Blatt „erste Seiten“) x 0,15 EUR = 592,50 EUR. Zuzüglich der o.a. 25,00 EUR ergibt sich danach nur ein Erstattungsbetrag von (netto) 617,50 EUR, der dann aber doch im eklatanten Widerspruch zu den geltend gemachten 1.785,85 EUR steht.

Dickfelliger Pflichtverteidiger

2. Im Übrigen: Vermutlich wird der eine oder andere Verteidiger den BGH für diesen Beschluss rügen wollen und beanstanden, dass der BGH es den Verteidigern hinsichtlich der Abrechnung von Kopien aus der Gerichtsakte unnötig schwer macht. Das ist m.E. jedoch nicht berechtigt, vielmehr muss man m.E. unabhängig von der sich nach den Ausführungen zu 1.b) stellenden Frage die Dickfelligkeit des Pflichtverteidigers rügen. Im Einzelnen:

OLG-Rechtsprechung

a) Die allgemeinen/grundsätzlichen Ausführungen des BGH entsprechen dem RVG und der darauf beruhenden Rechtsprechung der OLG. Hier ist allerdings zu berücksichtigen, dass es zwar um Ausdrucke aus einer elektronischen – dem Verteidiger vorliegenden – Akte geht, der BGH den hier vorgenommenen Ausdruck wegen der Besonderheiten des Einzelfalls – zögerliche Zurverfügungstellung eines Laptops durch den GBA – behandelt wie Kopien aus einer Papierakte (vgl. dazu Burhoff/Volpert/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Nr. 7000 VV Rn 91 ff.). Danach gilt, dass der Rechtsanwalt zwar die gesamte (Papier-)Akte kopieren darf, aber eben nicht schematisch, sondern nur, worauf der BGH zutreffend hinweist, soweit diese zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten oder zur notwendigen Unterrichtung des Auftraggebers erforderlich war, wobei maßgeblich hierfür eben die Sicht eines verständigen und durchschnittlich erfahrenen Rechtsanwalts ist (vgl. wegen der Einzelheiten Burhoff/Volpert/Volpert RVG Nr. 7000 VV Rn 62 ff. m.w.N.). Stellt man in diese Prüfung dann noch mit ein, dass – so auch der BGH – auch Verfahrensart und Verfahrensstadium zu berücksichtigen sind, dann erschließt sich ohne weiteres die Argumentation des BGH. Denn der hat, was seinen Ausführungen (oben unter III.) deutlich zu entnehmen ist, einen Erstattungsanspruch nicht grundsätzlich verneint, sondern sieht ihn in diesem Fall vielmehr als grundsätzlich gegeben an. Anders ist der Hinweis auf „den verstrichenen Zeitraum von März bis Juli 2019“, bei dem sich „aufdrängt“, dass die Notwendigkeit, zur Vorbereitung einer sachgerechten Verteidigung die Ermittlungsakten jedenfalls teilweisen auszudrucken, bestanden habe, nicht bestehen. Vereinfacht ausgedrückt: Du, Pflichtverteidiger, hättest hier, weil der Generalbundesanwalt mit dem Zurverfügungstellen eines Laptops für den Beschuldigten nicht voran machte, ausdrucken dürfen, wenn …

Unterlassen des Verteidigers

b) Und bei dem „wenn“ liegt dann das Versagen des Verteidigers, denn: Der BGH hält daran fest bzw. bestätigt die OLG-Rechtsprechung, wonach die Beweislast für die Notwendigkeit des Ausdrucks beim Rechtsanwalt liegt. Das mag man als falsch ansehen, ist aber h.M., gegen die ein Anlauf nicht lohnt, sondern auf die man sich einstellen muss. Und es war hier nun wahrlich nicht viel, was der BGH gern vom Pflichtverteidiger gelesen hätte (siehe dazu oben III. a.E.). Die vermissten Angaben sind schnell gemacht und hätten, so verstehe ich den BGH, zur Erstattung geführt. Es bestand m.E. auch kein Problem hinsichtlich der Verschwiegenheitspflicht (§ 43a Abs. 2 BRAO bzw. § 2 BORA). Denn bei den vom BGH erwarteten Angaben handelt es sich um solche, die unter § 2 Abs. 3b BORA fallen dürften. Von daher: Die Dickfelligkeit des Verteidigers ist nicht nachzuvollziehen und stört ersichtlich auch den BGH, der deutlich darauf hinweist, dass der Verteidiger die Angaben noch nicht einmal nach einem Hinweis des Rechtspflegers gemacht hat.

Zutreffende Entscheidung

3. M.E. ist diese (Einzelfall-)Entscheidung zutreffend. Rechtsanwälten kann nur empfohlen werden, immer ihrer Darlegungs- bzw. Beweislast nachzukommen und zur Notwendigkeit von aus den Gerichtsakten gefertigten Kopien Angaben zu machen. Sonst droht die Ablehnung der Erstattung.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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