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Gespräche im Vorfeld der Hauptverhandlung

Bei einer im Vorfeld der Hauptverhandlung erfolgten Unterredung, in deren Verlauf eine Verbindung zwischen einem möglichen Geständnis des Angeklagten und dem Verfahrensergebnis hergestellt wurde, handelt es sich um ein Gespräch, das die Möglichkeit einer Verständigung zum Gegenstand hatte und das der sog. Mitteilungspflicht unterfällt.

(Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschl. v. 12.1.2022 – 4 StR 209/21

I. Sachverhalt

Das LG hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt, von welcher wegen überlanger Verfahrensdauer drei Monate als vollstreckt gelten. Dagegen hat der Angeklagte Revision eingelegt, die mit einer Verfahrensrüge Erfolg hat.

Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Vor Beginn der Hauptverhandlung kam es außerhalb des Sitzungssaals zu einem Gespräch, an dem die Berufsrichter, die Schöffen, der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger, nicht aber der Angeklagte teilnahmen. In diesem Gespräch legte der Vorsitzende dar, dass im Falle eines Geständnisses des Angeklagten eine Gesamtfreiheitsstrafe im Bereich von zwei Jahren in Betracht komme. Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft brachte seine Bedenken gegen eine Strafe in der genannten Höhe, die er für zu gering erachtete, zum Ausdruck und äußerte sich in diesem Zusammenhang zu einem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, wobei diese Äußerung entweder die nur geringen Erfolgsaussichten einer Strafmaßrevision bei einem handwerklich gut gemachten Urteil ‒ so die dienstliche Erklärung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft ‒ oder das mögliche Unterbleiben einer Revisionseinlegung ‒ so die anwaltliche Versicherung des Instanzverteidigers ‒ zum Gegenstand hatte. Der Verteidiger erklärte, den Vorschlag mit dem Angeklagten besprechen zu wollen. Nach Beginn der Hauptverhandlung teilte der Vorsitzende im Anschluss an die Verlesung der Anklageschrift und die Feststellung der Verfahrenseröffnung mit, dass mit den Verfahrensbeteiligten ein Rechtsgespräch geführt und eine Verständigung nicht getroffen worden sei. Im Anschluss äußerte sich der über sein Schweigerecht belehrte Angeklagte bestreitend zur Sache.

II. Entscheidung

Nach Auffassung des BGH beanstandet der Angeklagte zu Recht eine Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 S. 1 StPO. Indem der Vorsitzende der Strafkammer in der Hauptverhandlung lediglich die Gesprächsführung als solche und als deren Ergebnis das Ausbleiben einer Verständigung, nicht aber den wesentlichen Inhalt des Gesprächs mitgeteilt habe, habe er nicht der sich aus § 243 Abs. 4 S. 1 StPO ergebenden Pflicht zur Information über außerhalb der Hauptverhandlung geführte verständigungsbezogene Erörterungen, die ohne Einschränkungen auch im Falle erfolgloser Verständigungsbemühungen gelte, genügt. Denn bei der im Vorfeld der Hauptverhandlung erfolgten Unterredung, in deren Verlauf eine Verbindung zwischen einem möglichen Geständnis des Angeklagten und dem Verfahrensergebnis hergestellt wurde, habe es sich um ein Gespräch, das die Möglichkeit einer Verständigung zum Gegenstand hatte, gehandelt. Die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 S. 1 StPO gehöre zu den vom Gesetzgeber zur Absicherung des Verständigungsverfahrens normierten Transparenz- und Dokumentationsregeln, durch die gewährleistet werden soll, dass Erörterungen mit dem Ziel einer Verständigung stets in öffentlicher Hauptverhandlung zur Sprache kommen, so dass für informelles und unkontrollierbares Verhalten unter Umgehung der strafprozessualen Grundsätze kein Raum verbleibt (vgl. BGHSt 60, 150; BGH StV 2018, 6).

Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts schließt der BGH auch nicht aus, dass das angefochtene Urteil auf diesem Verfahrensverstoß beruht. Die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 S. 1 StPO verfolge zum einen den Zweck, den Angeklagten, der an den Verständigungsgesprächen nicht teilgenommen habe, durch eine umfassende Unterrichtung über die wesentlichen Gesprächsinhalte seitens des Gerichts in die Lage zu versetzen, eine sachgerechte autonome Entscheidung über sein Verteidigungsverhalten zu treffen (vgl. BGH NStZ 2015, 178; 2015, 537, 538). Zum anderen sollen die Transparenz- und Dokumentationspflichten aus § 243 Abs. 4 StPO zum Schutz des Angeklagten eine effektive Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit, die Staatsanwaltschaft und das Rechtsmittelgericht ermöglichen (BVerfG NJW 2020, 2461 Rn 22 f.; NStZ 2015, 170, 171; NStZ 2021, 310). Im Rahmen der bei einer Verletzung der Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 S. 1 StPO anzustellenden Beruhensprüfung seien beide Aspekte der durch die Regelung des § 243 Abs. 4 S. 1 StPO bezweckten Schutzwirkung in den Blick zu nehmen (vgl. BVerfG NJW 2020, 2461; NStZ 2015, 170, 171). Das Beruhen des Urteils auf einer Verletzung der Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 S. 1 StPO könne daher im Einzelfall nur ausgeschlossen werden, wenn der Mitteilungsmangel sich einerseits nicht in entscheidungserheblicher Weise auf das Prozessverhalten des Angeklagten ausgewirkt haben kann und mit Blick auf die Kontrollfunktion der Mitteilungspflicht andererseits der Inhalt der geführten Gespräche zweifelsfrei feststeht und diese nicht auf die Herbeiführung einer gesetzwidrigen Absprache gerichtet waren (vgl. BVerfG NJW 2020, 2461; BGH NStZ 2017, 658, 659; 2020, 93). Von diesen Maßstäben ausgehend lasse sich – so der BGH – ein Beruhenszusammenhang nicht verneinen. Der Senat könne schon nicht ausschließen, dass eine den gesetzlichen Vorgaben entsprechende Unterrichtung des Angeklagten über den wesentlichen Inhalt des im Vorfeld der Hauptverhandlung geführten Verständigungsgesprächs durch den Vorsitzenden zu einem anderen, gegebenenfalls geständigen Einlassungsverhalten des Angeklagten geführt hätte. Eine Konstellation, in der schon nach dem Revisionsvorbringen davon auszugehen sei, dass der Angeklagte unabhängig von dem Inhalt einer Mitteilung auf jeden Fall an seiner einmal gewählten Verteidigungsstrategie festgehalten hätte (vgl. BGH NStZ 2014, 221), sei nicht gegeben. Angesichts des Umstands, dass der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft seine ablehnende Stellungnahme zu der vom Vorsitzenden unterbreiteten Strafmaßvorstellung mit einer inhaltlich nicht dokumentierten und von ihm sowie dem Verteidiger unterschiedlich verstandenen Äußerung über ein Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft verknüpfte, liege zudem ein gravierender, die Kontrollfunktion berührender Transparenzmangel vor, der es nicht als ausgeschlossen erscheinen lässt, dass die geführte Unterredung eine informelle Verständigung zum Gegenstand hatte.

III. Bedeutung für die Praxis

Eine der in der letzten Zeit doch wieder häufiger anzutreffenden Entscheidungen des BGH zur Mitteilungspflicht (vgl. zuletzt BGH StRR 2/2022, 10 und 13). Sie zeigt, dass für die Gerichte die Hürden zur Erfüllung der Mitteilungspflicht hoch liegen und sie oft gerissen werden, weil die erfolgte Mitteilung den Ansprüchen des BGH nicht genügt. Sie zeigt aber auch, dass man als Verteidiger diese Fälle im Blick haben muss, um ggf. doch einen Revisionsansatz zu finden. Und sei es nur, um Zeit zu gewinnen.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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