1. Ein Impfausweis ist eine Urkunde i.S.d. § 267 Abs. 1 StGB.
2.Wird ein gefälschter Impfausweis nach dem 24.11.2021 vorgelegt, der vor dem 24.11.2021 straflos verschafft wurde, stellt dieses Verwenden eine eigenständige Tathandlung des Gebrauchmachens einer unechten Urkunde dar, die nach neuer Rechtslage strafbar ist.
(Leitsätze des Verfassers)
LG Würzburg, Beschl. v. 24.1.2022 – 1 Qs 18/22
I. Sachverhalt
Die StA führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Urkundenfälschung. Er soll am 8.11.2021 einen vollständig ausgefüllten gefälschten Impfausweis mit Impfnachweisen gegen Covid-19 für 250 EUR erworben haben. Zwischen dem 28.11.2021 und dem 1.12.2021 soll er diesen Impfausweis bei seiner Arbeitgeberin vorgelegt haben. Das AG hat auf Antrag der StA einen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss gegen den Beschuldigten erlassen. Seine Beschwerde blieb erfolglos.
II. Entscheidung
Sowohl die Durchsuchung bei einem Beschuldigten (§§ 102, 105 StPO) als auch die Beschlagnahme zu Beweiszwecken (§§ 94, 98 StPO) setzten den Anfangsverdacht eines strafbaren Verhaltens voraus. Ein derartiger Anfangsverdacht liege vor, wenn es aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte nach kriminalistischer Erfahrung möglich erscheint, dass eine verfolgbare Straftat begangen worden ist und dementsprechend die Möglichkeit einer späteren Verurteilung besteht. Seit dem 24.11.2021 und damit zum Zeitpunkt der angegriffenen Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung hätten die §§ 277 bis 279 StGB in ihrer jeweiligen Fassung vom 22.11.2021, davor in ihrer jeweiligen Fassung vom 13.11.1998 gegolten. Folglich habe der Zeitpunkt der „Verwendung“ des Impfausweises nach der Gesetzesänderung, der Zeitpunkt des Sichverschaffens dagegen möglicherweise bereits davor gelegen. Gemäß Art. 103 Abs. 2 GG bzw. § 1 StGB könne eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmten sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt, § 2 Abs. 1 StGB. Eine Tat sei zu der Zeit begangen, zu welcher der Täter oder Teilnehmer gehandelt hat, § 8 S. 1 StGB. Durch das Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze anlässlich der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22.11.2021 seien diejenigen Handlungsmodalitäten aus § 277 StGB gestrichen, die grundsätzlich schon von § 267 StGB erfasst sind. Gesundheitszeugnisse seien regelmäßig Urkunden i.S.d. § 267StGB. Die §§ 277 bis 279 StGB entfalteten nach der gesetzlichen Neufassung keine Sperrwirkung für die §§ 267 ff. StGB, sondern stellten darüber hinaus spezielle Konstellationen unter Strafe. So erfasse § 277 StGB nur noch die Fälle, in denen der Täter zur Täuschung im Rechtsverkehr ein Gesundheitszeugnis erstellt und dabei nicht über seine Identität, sondern seine berufliche Qualifikation täuscht. Eine derartige Qualifikationstäuschung unterfalle nicht dem Anwendungsbereich des § 267 StGB, da es sich hierbei „lediglich“ um eine „schriftliche Lüge“ handelt. Es entspreche dem Willen des Gesetzgebers durch die Neufassung der §§ 277 bis 279 StGB, dass das Herstellen unechter, Verfälschen echter und/oder Gebrauchen unechter oder verfälschter Impfausweise in den Anwendungsbereich des § 267 StGB fällt und eine Privilegierung dieser Handlungsvarianten ausscheiden soll (BT-Drucks 20/15, S. 33).
Der auf den Beschuldigten ausgestellte Impfausweis stelle eine Urkunde i.S.d. § 267 Abs. 1 StGB dar (von OLG Bamberg StRR 2/2022, 24 [Deutscher] ausdrücklich offengelassen). Eine Urkunde sei eine verkörperte menschliche Gedankenerklärung, die den Aussteller erkennen lässt und zu Beweiszwecken im Rechtsverkehr bestimmt ist. Die von einer eintragungsberechtigen Person vorgenommene Eintragung im Impfausweis gebe Auskunft darüber, wann und durch wenn der Inhaber des Ausweises welche Impfstoffe erhalten hat. Sie lasse den Aussteller der Eintragung erkennen und diene dem Beweis des Impfstatus einer Person. Unecht sei eine derartige Urkunde, wenn der aus ihr ersichtliche Inhalt nicht vom dem auf ihr ersichtlichen Aussteller herrührt. Vorliegend wies der vom Beschuldigten bei seiner Arbeitgeberin vorgelegte Impfausweis zwei Eintragungen vom 19.7.2021 und 13.8.2021 auf, die dem Beschuldigten eine vollständige Impfung bestätigten. Aufgrund der Mitteilung des Gesundheitszentrums G bestehe jedoch der Verdacht, dass der Beschuldigte dort nicht geimpft wurde. Es bestehe der Verdacht, dass der Beschuldigte den unechten Impfausweis seiner Arbeitgeberin vorgelegt hat, um über seinen Impfstatus zu täuschen und ohne Testung seiner Arbeit nachgehen zu können.
Das Verschaffen des „gefälschten“ Impfausweises möge nach der bis zum 23.11.2021 geltenden Rechtslage straflos gewesen sein. Dies liege darin begründet, dass Impfausweise ein Gesundheitszeugnis i.S.d. §§ 277 ff. StGB darstellen und die §§ 277 ff. StGB a.F. nach der bis zum 23.11.2021 geltenden Rechtslage eine abschließende Sonderregelung für Gesundheitszeugnisse darstellten, die im Falle einer fehlenden Strafbarkeit einen Rückgriff auf die „allgemeinen“ Urkundendelikte ausschlossen (str., OLG Bamberg StRR 2/2022, 24 [Deutscher]). Dementsprechend habe kein Anfangsverdacht für eine Strafbarkeit wegen Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse vorgelegen, da Täter des § 278 StGB a.F. nur Ärzte oder andere approbierte Medizinalpersonen sein konnten, der Beschuldigte jedoch kein Angehöriger dieser Berufsgruppen war. Daneben scheide ein Anfangsverdacht für eine Strafbarkeit wegen der Fälschung von Gesundheitszeugnissen nach § 277 StGB a.F. oder des Gebrauchs unrichtiger Gesundheitszeugnisse nach § 279 StGB a.F. aus, da die Fälschung beziehungsweise der Gebrauch zur Täuschung von Behörden oder Versicherungsgesellschaften erfolgen musste und die Arbeitgeberin des Beschuldigten eine GmbH ist, die ein Schwimmbad betreibt. Schließlich sei ein Rückgriff auf die allgemeinen Urkundendelikte nach den §§ 267 ff. StGB aufgrund der Sperrwirkung der §§ 277 ff. StGB a.F. ausgeschlossen, sodass auch kein Anfangsverdacht für eine (täterschaftliche) Beteiligung an einer Urkundenfälschung nach § 267 Abs. 1 Var. 1 oder Var. 2 StGB vorlag.
Allerdings hat der Beschuldigte den sich straflos verschafften unrichtigen Impfausweis nach dem 24.11.2021 bei seiner Arbeitgeberin vorgelegt. Dieses Verwenden stelle eine eigenständige Tathandlung dar, deren Strafbarkeit zwingend nach neuer Rechtslage zu beurteilen sei. Insoweit liege der Anfangsverdacht einer Urkundenfälschung nach § 267 Abs. 1 Var. 3 StGB vor. Allein die Tatsache, dass sich der Beschuldigte diesen unrichtigen Impfausweis straflos verschafft hat, führe nicht dazu, dass er ihn trotz geänderter Rechtslage weiter straflos verwenden dürfe.
III. Bedeutung für die Praxis
Mischfälle (Herstellen bzw. Verschaffen gefälschter Impfausweise vor der Reform, Verwendung danach) werden die Praxis noch einige Zeit beschäftigen. Zwar ist der vorliegende Beschluss etwas unstrukturiert und verhält sich nur kurz zur Strafbarkeit des Verwendens nach der Reform. Gleichwohl ist das Ergebnis überzeugend. Es dürfte nahezu einhellige Ansicht sein, dass das Herstellen, Verschaffen und Verwenden gefälschter Impfausweise bis zum 23.11.2021 straflos war (OLG Bamberg StRR 2/2022, 24 [DeutscherDeutscher]). Ansonsten hätte es der Reform nicht bedurft. Ein Impfausweis erfüllt die Merkmale einer Urkunde gem. § 267 StGB. Es handelt sich bei der Urkundenfälschung zwar um ein zweiaktiges Delikt: Herstellen bzw. Verfälschen einerseits, Gebrauch andererseits. Verwendet der Täter wie geplant eine von ihm gefälschte Urkunde, liegt nur eine Tat vor (Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022; § 267 Rn 58 m.N.). Das schließt aber die Strafbarkeit wegen bloßen Gebrauchmachens ohne eigene Fälschung nicht aus. Das Gebrauchen eines von anderen Tätern gefälschten Impfausweises ist ein nach § 267 Abs. 1 3. Var. StGB eigenständig strafbares Gebrauchmachen. Auch unter dem Aspekt „nulla poena sine lege“ kann es dabei keine Rolle spielen, ob die Fälschung zu ihrer Tatzeit und das Verschaffen der gefälschten Urkunde noch straflos war, weil das Gebrauchmachen zu ihrem Zeitpunkt strafbar war (§ 2 Abs. 1 StGB). Anderenfalls müssten Unklarheiten über die Tatzeit des Fälschens sowie den Zeitpunkt des Verschaffens in dubio pro reo zugunsten des Verwenders gehen, der einen hiernach vor der Reform straflos verschafften gefälschten Impfausweis auch zukünftig unbegrenzt weiterhin straflos nutzen könnte.
RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum