Zum Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs i.S.v. § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB.
(Leitsatz des Gerichts)
BGH, Beschl. v. 8.9.2021 – 4 StR 166/21
I. Sachverhalt
Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen besonders schweren sexuellen Übergriffs verurteilt. Der Angeklagte vereinbarte mit der Nebenklägerin, die als Prostituierte tätig war, die Ausführung von Oralverkehr im Fahrzeug des Angeklagten. Beide setzten sich auf die Rückbank des Wagens. Während die Nebenklägerin den Oralverkehr an dem Angeklagten vollzog, ergriff dieser ihre Haare, riss ihren Kopf hoch und schlug ihn gegen die Autotür. Die Nebenklägerin äußerte, dass er aufhören solle, und setzte den Oralverkehr zunächst fort. Der Angeklagte riss sodann abermals ihren Kopf an ihren Haaren zurück. Dabei hielt er für die Nebenklägerin sichtbar einen „handelsüblichen“ Schraubenzieher von ca. 25 cm Länge, den er unter seinem Fahrersitz hervorgeholt hatte, in seiner linken Hand, ohne ihn „unmittelbar der Nebenklägerin entgegenzurichten“. Nach einigen Sekunden legte er den Schraubenzieher wieder aus der Hand. Die Nebenklägerin bekam auch unter dem Eindruck des Schraubenziehers zunehmend Angst und äußerte, dass sie alles tun werde, was der Angeklagte wollte. Anschließend vollzog sie weiter den Oralverkehr an dem Angeklagten, der hierbei mehrfach ihren Kopf fest auf seinen Penis drückte. Die Revision des Angeklagten war erfolgreich.
II. Entscheidung
Es liege zwar Gewalt gem. § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB vor. Auch habe es sich bei dem Schraubenzieher um ein gefährliches Werkzeug gehandelt. Demgegenüber seien dem Urteil keine ausreichenden Feststellungen dazu zu entnehmen, dass der Angeklagte dieses gefährliche Werkzeug auch i.S.v. § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB bei der Tat verwendete. Ein solches Verwenden liege in zeitlicher Hinsicht vor, wenn das gefährliche Werkzeug zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen Versuchsbeginn und Beendigung eingesetzt wird (BGH StV 2019, 545). Was den Zweck der Verwendung betrifft, so seien nach der Rechtsprechung des BGH die Voraussetzungen des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB jedenfalls dann erfüllt, wenn das gefährliche Werkzeug entweder als Nötigungsmittel oder bei der sexuellen Handlung eingesetzt wird (BGH a.a.O.). Dafür genüge es, wenn sich das Geschehen als einheitlicher Vorgang mit Sexualbezug darstellt und die Verwendung des gefährlichen Gegenstandes deshalb ihrerseits sexualbezogen ist (BGH NStZ 2002, 431; NJW 2014, 2134). Unbeschadet der Frage, welche Verwendungszwecke im Einzelnen den Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB zu erfüllen vermögen, setze ein Verwenden des gefährlichen Werkzeugs jedenfalls voraus, dass das Werkzeug überhaupt als Mittel zu einem Zweck, also zur Erzielung einer in Bezug auf das Tatopfer angestrebten Wirkung, eingesetzt wird, wofür auch die (konkludente) Ankündigung des körperlichen Einsatzes des Werkzeugs, sein Gebrauch als Drohmittel, genügen kann. Kein Verwenden, sondern nur ein Beisichführen i.S.v. § 177 Abs. 7 Nr. 1 StGB sei demgegenüber gegeben, wenn das Werkzeug von dem Täter nicht als zweckgerichtetes Mittel eingesetzt wird, sondern sich das gefahrerhöhende Moment für das Tatopfer in dem körperlichen Vorhandensein des Werkzeugs bei der Tat erschöpft.
Dieses Verständnis des Qualifikationstatbestandes des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB werde bereits vom Wortlaut der Norm nahegelegt. Denn nach dem allgemeinen Sprachgebrauch setze das Verwenden eines Gegenstandes einen entsprechenden Einsatzzweck voraus. Hiernach sei unter „verwenden“ das Anwenden oder die Benutzung eines Gegenstandes für einen bestimmten Zweck, insbesondere zur Herstellung oder Ausführung von etwas, mithin ein Gebrauchmachen von dem Gegenstand (so zu § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB BGH StV 1999, 151) zu verstehen. Auch gesetzessystematische und teleologische Erwägungen bestätigten diese Auslegung. Eine weite, auch jeden nicht instrumentellen Umgang mit dem gefährlichen Werkzeug bei der Tat umfassende Interpretation des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB (Mindeststrafe von fünf Jahren) wäre ungeeignet, den Tatbestand schlüssig von der Qualifikation nach § 177 Abs. 7 Nr. 1 StGB (Mindeststrafe von drei Jahren) abzugrenzen. Dieser Unterschied in der Strafdrohung finde seine Rechtfertigung in den gesteigerten Gefahren für Leib oder Leben des Tatopfers, welche die Verwendung des gefährlichen Werkzeugs gegenüber dessen bloßem Beisichführen birgt (BGHSt 46, 225 = NJW 2001, 836). Eine derart erhöhte Gefährlichkeit weise indes allein der zweckgerichtete Einsatz eines gefährlichen Werkzeugs bei der Tat auf. Ein sonstiger Umgang mit dem Werkzeug, der auf keine das Tatopfer treffende Wirkung gerichtet ist, gehe hingegen in seinem Gefahrenpotential nicht über das Beisichführen hinaus. So werde etwa die Gefahr eines bewusst in der Jackentasche getragenen Werkzeugs und damit i.S.v. § 177 Abs. 7 Nr. 1 StGB mitgeführten Werkzeugs nicht allein dadurch erhöht, dass der Täter es für kurze Zeit ergreift und in der Hand hält, etwa um sich dessen Vorhandenseins zu vergewissern. Eine entsprechende Zwecksetzung des Angeklagten, also der bewusste Einsatz des Werkzeugs als Drohmittel, sei dem Urteil mit Blick darauf, dass der Angeklagte den Schraubenzieher nicht auf die Nebenklägerin richtete und sogleich wieder weglegte, nicht sicher zu entnehmen.
III. Bedeutung für die Praxis
Die Differenzierung von Beisichführen eines gefährlichen Werkzeugs bei der Tat mit geringerer Mindeststrafe und dessen Verwenden mit höherer Mindeststrafe findet sich auch beim schweren Raub nach § 250 Abs. 1 Nr. 1a und Abs. 2 Nr. 1 StGB. Dort genügt das bloße Mitsichführen nicht als Verwenden (Fischer, StGB, 64. Aufl. 2021, § 250 Rn 18a m.N.). Der 4. Senat begründet überzeugend, dass nichts anderes für das Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs bei der Qualifikation des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB zu gelten hat. Ein kurzes Vorzeigen des Werkzeugs, das nicht gegen das Opfer gerichtet ist, stellt kein Verwenden dar. Der BGH zeigt aber auch auf, dass der Teufel hier im Detail des konkreten Falles und der Feststellungen steckt: Wird das Werkzeug längere Zeit offen vorgezeigt oder gar gegen das Opfer gerichtet, ist das ein gewichtiges Indiz für das Vorliegen einer Verwendungsabsicht beim Täter.
RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum