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Kein sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen durch Stiefgroßvater

Stiefkinder der eigenen Abkömmlinge werden nicht vom Schutzbereich des § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB erfasst.

(Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschl. v. 22.6.2021 – 2 StR 131/21

I. Sachverhalt

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen (§ 174 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StGB) verurteilt. Nach den Feststellungen des LG hatte der Angeklagte über einem Zeitraum von 1,5 Jahren alle zwei Wochen nachmittags für ein bis zwei Stunden die Betreuung seiner Stiefenkelin übernommen. Der Sohn des Angeklagten war mit der Mutter des Mädchens verheiratet, ohne dessen Vater zu sein. Von Anfang 2018 bis zum September 2019 nutzte der Angeklagte die gemeinsame Zeit mit dem damals 15- bzw. 16-jährigen Mädchen, um dieses, begleitet von anzüglichen Bemerkungen, an den Armen und Schultern, später auch an Gesäß und Brust zu streicheln, um sich sexuell zu erregen. Dabei erlitt das Mädchen immer wieder blaue Flecken. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Nach Ansicht des BGH schützt § 174 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StGB nur leibliche oder rechtliche Abkömmlinge des Täters oder Abkömmlinge seines Ehegatten bzw. Lebenspartners. Unter diesen geschützten Personenkreis falle die Stiefenkelin nicht. Sie sei kein leiblicher Abkömmling, weil sie nicht in gerade Linie vom Angeklagten abstamme (§ 1589 BGB). Ferner unterfalle sie auch nicht als rechtlicher Abkömmling des Angeklagten dem Schutzbereich der Norm. Rechtliche Abkömmlinge eines Mannes seien adoptierte Kinder, die nach § 1754 BGB die rechtliche Stellung eines Kindes des Annehmenden erlangen, oder Kinder, die nach § 1592 Nr. 1–3 BGB rechtlich einem Mann zugeordnet werden, ohne von diesem abzustammen. Das LG habe nicht festgestellt, dass der Stiefvater des Mädchens, also der Sohn des Angeklagten, bereits bei der Geburt mit dessen leiblicher Mutter verheiratet gewesen sei oder er das Kind adoptiert habe. Auch die Feststellung des LG, der Angeklagte sei der Stiefgroßvater, eröffne nur dann den Schutzbereich des § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB, wenn es sich bei dem Stiefenkel um Abkömmlinge des Ehe- oder Lebenspartners des Täters bzw. einer Person, mit der er in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft lebt, handele. Stiefkinder der eigenen Abkömmlinge fallen hingegen nach Auffassung des BGH nicht unter die Vorschrift. Dieses Verständnis entspreche dem Willen des Gesetzgebers auch nach der im Jahr 2015 vorgenommenen Erweiterung des Schutzbereichs.

III. Bedeutung für die Praxis

Der Entscheidung ist zuzustimmen. Bedenklich erscheint aber die Ausführung des BGH, dass die Feststellung des LG, wonach der Angeklagte der Stiefgroßvater des Mädchens gewesen sei, aufgrund des gesetzgeberischen Willens nicht den Schutzbereich des § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB eröffnen würde. Denn dass Stiefkinder der eigenen Abkömmlinge nicht unter die Vorschrift fallen, lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen. Dem Gesetzgeber ging es nämlich darum, die soziale Bedeutung von Lebensverhältnissen, die der Elternschaft ähnlich sind, nicht zu vernachlässigen und den Schutz von Jugendlichen im engsten sozialen Umfeld möglichst lückenlos auszugestalten (BT-Drucks 18/2601, S. 26). Diese Intention würde vielmehr dafür sprechen, auch den vorliegenden Fall unter § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu fassen, zumal dadurch schwer nachvollziehbare Wertungswidersprüche verhindert werden könnten. Dem steht allerdings der Wortlaut der Norm entgegen.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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