Polizeieinsätze im frei zugänglichen öffentlichen Raum finden regelmäßig in „faktischer Öffentlichkeit“ statt. Die Anfertigung vertonter Videoaufnahmen fällt dann nicht unter § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB.
(Leitsatz des Verfassers)
LG Osnabrück, Beschl. v. 24.9.2021 – 10 Qs 49/21
I. Sachverhalt
Bei einem Polizeieinsatz im Bereich einer für jedermann frei zugänglichen Straßenkreuzung wurde gegen eine renitente Person unmittelbarer Zwang angewendet. Der Einsatz wurde von umstehenden Personen, u.a. auch vom Beschwerdeführer, gestört. Die Beamten sprachen daraufhin Platzverweise aus. Währenddessen hielt der Beschwerdeführer sein Mobiltelefon deutlich sichtbar vor seinen Körper und fertigte augenscheinlich Video- und Tonaufzeichnungen der Situation an.
Daraufhin wurde sein Mobiltelefon wegen des Verdachts einer Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes als potentielles Beweismittel sichergestellt. Das AG bestätigte die Beschlagnahme.
Die hiergegen eingelegte Beschwerde hatte beim LG Erfolg.
II. Entscheidung
Nach Auffassung der Beschwerdekammer ist die Aufzeichnung des gesprochenen Worts auch bei polizeilichen Kontrollen strafbar, es sei denn, es besteht bereits eine faktische Öffentlichkeit, weil etwa andere Personen, z.B. in einem frequentierten Bahnhofsgebäude, mithören können. Für die Frage des Vorliegens einer faktischen Öffentlichkeit sei nicht maßgeblich, ob lediglich eine Person oder mehrere Personen die polizeiliche Maßnahme tatsächlich beobachtet oder ihr beigewohnt haben, sondern allein die Frage, ob beliebige andere Personen von frei zugänglichen öffentlichen Flächen oder allgemein zugänglichen Gebäuden und Räumen die Diensthandlungen hätten beobachten und akustisch wie optisch wahrnehmen können. Nicht entscheidend sei auch, ob andere Personen das gesprochene Wort tatsächlich wahrgenommen haben oder nicht.
Gemessen an diesen Kriterien sei das im Zuge einer im öffentlichen Verkehrsraum vorgenommenen Diensthandlung geäußerte Wort in faktischer Öffentlichkeit gesprochen, wenn der Ort, wie hier, frei zugänglich war. Die Besonderheit, dass hier u.a. gegen den Beschwerdeführer ein Platzverweis ausgesprochen wurde, ändere an dieser Bewertung nichts, weil zum einen der Aktenlage nicht eindeutig zu entnehmen sei, dass die Aufnahme unter Verletzung des Platzverweises erfolgte und zum anderen der Platzverweis nicht der Herstellung der Vertraulichkeit – etwa zur Ermöglichung einer Lagebesprechung – gedient habe, sondern ausschließlich die Durchführung der aufgenommenen Diensthandlung ermöglichen sollte.
III. Bedeutung für die Praxis
Polizeiliche Personenkontrollen unterfallen grundsätzlich dem Schutzbereich des § 201 StGB (so auch LG Kassel, Beschl. v. 23.9.2019 – 2 Qs 111/19, StRR 1/2020, 25 = StV 2020, 161). Jedoch kann es der Nichtöffentlichkeit des gesprochenen Wortes entgegenstehen, wenn die Äußerungen im Rahmen einer sog. faktischen Öffentlichkeit erfolgt, namentlich dann, wenn aufgrund der Umstände mit einer Kenntnisnahme durch eine unbestimmte Anzahl Dritter gerechnet werden muss. Dies ist insbesondere bei Polizeieinsätzen auf frei zugänglichen öffentlichen Plätzen der Fall (vgl. AG Frankenthal, Beschl. v. 16.10.2020 – 4b Gs 1760/20) und wird einer Strafbarkeit häufig entgegenstehen. Insoweit liegt die Entscheidung auf der bisherigen Linie der Rechtsprechung.
Gleichwohl darf nicht davon ausgegangen werden, dass die Anfertigung von Aufzeichnungen stets straflos ist, wenn sie denn nur im öffentlichen Raum erfolgt – dies gibt die Entscheidung nicht her. Vielmehr deutet die Kammer an, dass eine andere Bewertung in Betracht gekommen wäre, wenn die eingesetzten Polizeibeamten eine Lagebesprechung durchgeführt hätten, das dort gesprochene Wort hätte zu einem nicht öffentlichen werden können. Gespräche mehrerer Beamter untereinander dürfen nicht aufgezeichnet werden. Gleiches kann gelten, wenn die Beamten eine kontrollierte Person mit Fragen zu Sachverhalten oder gar mit Beschuldigungen konfrontieren (LG Kassel, a.a.O.). Auch eine Auseinandersetzung zwischen Polizeibeamten und einer extra auf die Seite genommenen Demonstrantin können von § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfasst werden, selbst wenn diese auf öffentlichem Verkehrsgrund stattfand (LG München I, Urt. v. 11.2.2019 – 25 Ns 116 Js 165870/17, StV 2020, 321 [Ls.]). Im Einzelfall können freilich die allgemeinen Rechtfertigungsgründe (§§ 32, 34 StGB) in Betracht kommen.
RiLG Thomas Hillenbrand, Stuttgart