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Diebstahl oder Betrug an der Selbstbedienungskasse?

Der Umstand, dass Ware an einer Selbstbedienungskasse weder eingescannt noch bezahlt wird, deutet auf einen Diebstahl hin, nicht auf einen Betrug.

(Leitsatz des Verfassers)

LG Kaiserslautern, Beschl. v. 26.8.2021 – 5 Qs 68/21

I. Sachverhalt

Das AG hat den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Strafbefehls abgelehnt. Der Angeschuldigten wurde darin Folgendes vorgeworfen: Die Angeschuldigte legte im Supermarkt verschiedene Waren in ihren Einkaufswagen und passierte damit, wie von Anfang an geplant, den Einkaufsbereich, ohne einen Teil der Waren (Wert: knapp 60 EUR) zuvor an der Selbstbedienungskasse eingescannt und bezahlt zu haben. Bevor die Angeschuldigte den Supermarkt verlassen konnte, wurde sie vom Ladendetektiv gestellt. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hatte beim LG Erfolg. Das LG hat zur erneuten Entscheidung an das AG zurückverwiesen.

II. Entscheidung

Anders als vom AG vertreten ist der Sachverhalt nach Auffassung des LG allein hinsichtlich der Begehung eines versuchten Diebstahls strafrechtlich relevant; ein Betrug scheidet aus.

1. Das LG leitet die Begründung seiner Entscheidung mit einer ausführlichen Diebstahlsprüfung ein. Dabei stellt es insbesondere klar, dass ein Versuch vorlag, die uneingescannten Waren i.S.d. § 242 Abs. 1 StGB wegzunehmen. Zweifel daran, dass eine Wegnahme versucht wurde, könnten sich – so das LG – allerdings daraus ergeben, dass der Supermarktinhaber Selbstbedienungskassen aufgestellt hat. Denn dadurch könnte er konkludent sein Einverständnis damit erklärt haben, Ware ohne weiteren Kontakt zu Mitarbeitern des Supermarktes mitzunehmen, das heißt: mit ihr den Markt zu verlassen. Unter diesen Umständen läge kein Gewahrsamsbruch vor. Ein tatbestandsausschließendes Einverständnis könne jedoch auch an Bedingungen geknüpft sein, und dies sei beim Aufstellen von Selbstbedienungskassen der Fall. Denn das Einverständnis mit dem Gewahrsamsverlust bestehe bei einer solchen Konstellation nur unter der Bedingung, dass der Kunde die aufgestellten Selbstbedienungskassen vor dem Verlassen des Supermarktes ordnungsgemäß bedient. Dafür spreche die Verkehrsanschauung, die insbesondere von den „berechtigten Geschäftsinteressen des Verkäufers“ geprägt sei. Eine ordnungsgemäße Bedienung setze unter anderem voraus, dass die Waren korrekt und vollständig eingescannt und bezahlt werden. Fehle es daran und damit an einem wirksamen Einverständnis, bedeute dies, dass der Gewahrsamswechsel durch Bruch erfolgt, also gegen beziehungsweise ohne den Willen des berechtigten Gewahrsamsinhabers. Dass es im vorliegenden Fall bei einem bloßen Diebstahlsversuch geblieben sei, liege daran, dass die Angeschuldigte noch keinen neuen Gewahrsam begründet hatte, da sich die Waren noch im Einkaufswagen befanden, als sie vor dem Verlassen des Supermarktes vom Ladendetektiv gestellt wurde.

2. Im Anschluss an die Ausführungen zum Diebstahlstatbestand weist das LG darauf hin, dass es an einer nach § 263 Abs. 1 StGB erforderlichen Täuschungshandlung fehle, da niemand getäuscht worden ist. Dabei dürfte es auch an einem Irrtum mangeln: Denn selbst wenn man davon ausgeht, dass Supermarktmitarbeiter auch im Bereich der Selbstbedienungskassen anwesend sind, so ist nicht der Schluss zwingend, dass sich die Mitarbeiter auch mit dem Kauf- und Zahlungsvorgang beschäftigen, also sich über die ordnungsgemäße Bedienung der Scannerkassen überhaupt Gedanken machen. Vielmehr seien eben diese Mitarbeiter, so lege es das LG – auch unter Bezug auf eine Entscheidung des OLG Hamm vom 8.8.2013 (NStZ 2014, 275 m. Anm. Fahl) – dar, gerade kein Kassenpersonal, sondern die Mitarbeiter „dienen allein der Unterstützung bei etwaigen technischen Schwierigkeiten“. Schließlich macht das LG darauf aufmerksam, dass auch ein Computerbetrug ausscheidet, da es insoweit bereits an einer tauglichen Tathandlung fehlt.

III. Bedeutung für die Praxis

Aus dem Inhalt der zutreffenden Entscheidung lassen sich wichtige Lehren für die strafrechtliche Beurteilung des Geschehens an Selbstbedienungskassen ziehen. Zunächst sollte man erkennen, dass es bei diesem Setting regelmäßig um die Unterscheidung von Diebstahl und (Computer-)Betrug geht. Hierbei ist auch auf die Rechtsfigur des tatbestandsausschließenden Einverständnisses zurückzugreifen. Denn liegt ein solches Einverständnis vor, scheidet ein Diebstahl bereits tatbestandsmäßig aus, wodurch sich eine Abgrenzung zwischen Betrug und Diebstahl erübrigt. Ob eine Wegnahme aufgrund eines tatbestandsausschließenden Einverständnisses zu verneinen ist, ist zwar stets einzelfallabhängig zu beurteilen. Mit Blick auf die Erwägungen des LG lassen sich jedoch folgende allgemeine Merkposten formulieren:

  • Aus dem Umstand, dass in einem Supermarkt Selbstbedienungskassen aufgestellt sind und kein Kassenpersonal mehr zur Verfügung steht, lässt sich ein Einverständnis des berechtigten Inhabers in einen Gewahrsamsübergang ableiten.
  • Dieses Einverständnis ist nach der Verkehrsanschauung jedoch an die Bedingung geknüpft, dass die Selbstbedienungskassen ordnungsgemäß bedient und die zur Kasse mitgebrachten Waren vom Kunden korrekt eingescannt und anschließend bezahlt werden.
  • Wird diese Bedingung nicht erfüllt, fehlt es an einem wirksamen tatbestandsausschließenden Einverständnis des berechtigten Gewahrsamsinhabers, sodass dessen Gewahrsam gebrochen wird, wenn der Kunde den Supermarkt verlässt.

Die enorme praktische Bedeutung der Rechtsfigur des tatbestandsausschließenden Einverständnisses zeigt sich nicht nur anhand dieser Entscheidung. Auch für Abgrenzungsfragen bei Raub und räuberischer Erpressung kann ein solches Einverständnis Bedeutung erlangen, wie nicht zuletzt die vom BGH entschiedenen „Bankautomaten-Fälle“ (BGH NJW 2018, 245 m. Anm. BrandKrell) verdeutlicht haben.

Staatsanwalt Dr. Lorenz Bode, LL.M., Stendal

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