Beitrag

Erstattung der Verfahrensgebühr im Revisionsverfahren

Für eine Tätigkeit des Verteidigers besteht bei alleinigem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft so lange keine rechtliche Notwendigkeit, wie die Staatsanwaltschaft ihre Revision nicht begründet hat.

(Leitsatz des Verfassers)

OLG Hamm, Beschl. v. 13.4.2021 – 4 Ws 22/21

I. Sachverhalt

Die Staatsanwaltschaft hatte gegen das Berufungsurteil des LG Revision eingelegt. Nach Zustellung des schriftlichen Urteils nahm die Staatsanwaltschaft ihre Revision ohne vorherige Begründung zurück. Durch Beschluss des LG sind die Kosten der Revision sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse auferlegt worden. Der Pflichtverteidiger hat u.a. eine Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG geltend gemacht, die durch das LG Detmold festgesetzt worden ist (vgl. AGS 2021, 78 = StRR 10/2021, 37). Das dagegen gerichtete Rechtsmittel der Staatskasse hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Anders als das LG sieht das OLG die Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG als nicht erstattungsfähig an. Zwar sei die Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG durch die Tätigkeiten des Pflichtverteidigers, wie Besprechung der Erfolgsaussichten der Revision der Staatsanwaltschaft mit dem Mandanten und Vorbereitung eines Erwiderungsschriftsatzes auf die zu erwartende Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft, entstanden. Für die Zahlung der Pflichtverteidigervergütung aus der Landeskasse sei jedoch primär entscheidend, ob die Tätigkeiten, die der Verteidiger im Revisionsverfahren entwickelt hat, überhaupt notwendig waren. Für die Tätigkeit des Verteidigers bestehe bei alleinigem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft eine rechtliche Notwendigkeit aber so lange nicht, wie diese ihre Revision nicht begründet hat. Zwar habe ein Angeklagter durchaus ein anzuerkennendes Interesse daran, eine anwaltliche Einschätzung der Erfolgsaussichten der von der Staatsanwaltschaft eingelegten Revision zu erhalten. Vor Zustellung des Urteils und Begründung der Revision beschränke sich dieses Interesse aber auf ein subjektives Beratungsbedürfnis, während objektiv eine Beratung weder erforderlich noch sinnvoll sei. Denn sachgerechte und zweckdienliche Tätigkeiten eines verständigen Verteidigers können erst dann angezeigt sein, wenn feststehe, dass die Staatsanwaltschaft das von ihr eingelegte Rechtsmittel nach näherer Überprüfung der Erfolgsaussichten überhaupt weiterverfolgt, und wenn anhand der Anträge und der Begründung (§ 344 StPO), zu der die Staatsanwaltschaft verpflichtet sei (vgl. Nr. 156 RiStBV), das Ziel und der Umfang der Revisionsangriffe feststellbar seien. Der dann feststehende Gegenstand der Revisionsrügen ermögliche erst eine auf den Einzelfall bezogene und das weitere Vorgehen präzisierende Beratung des Angeklagten durch seinen Verteidiger. Vor Zustellung einer Revisionsbegründung könne der Angeklagte sich mit seinem Verteidiger nur über potentielle und hypothetische Revisionsangriffe beraten und theoretisch eine bestimmte Verteidigungsstrategie entwerfen; eine diesbezügliche Tätigkeit des Verteidigers wäre nur spekulativ, also gerade nicht zweckentsprechend und sachgerecht. Wie im Festsetzungsverfahren nach § 464b StPO seien auch im Verfahren nach § 55 RVG nur die Gebühren und Auslagen des Pflichtverteidigers erstattungsfähig, die zur Rechtsverfolgung notwendig waren. Die Notwendigkeit nach § 55 RVG folge aus § 48 Abs. 1 StPO. Nach dieser Vorschrift bestimmt sich der Vergütungsanspruch nach dem Beschluss, durch den der Rechtsanwalt bestellt worden ist. Aus dem durch die Bestellung des Rechtsanwalts begründeten öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis ergibt sich die im Interesse der Allgemeinheit obliegende Verpflichtung, keine Gebühren durch unnötiges Verteidigungsverhalten auszulösen. Eine Pflichtverteidigerbeiordnung sei stets so zu verstehen, dass nur erforderliches Verteidigerhandeln in Auftrag gegeben und vergütet wird. Das sei nicht der Fall, wenn die Staatsanwaltschaft das allein von ihr eingelegte Rechtsmittel vor dessen Begründung zurücknehme.

Hier sei, auch als die Urteilsgründe vorlagen, die Revision nicht begründet, sondern 16 Tage nach Urteilszustellung von der Staatsanwaltschaft zurückgenommen worden, was offensichtlich auf eigene Prüfung der Erfolgsaussichten des Rechtsmittels durch die Revisionsführerin zurückging. Besonderheiten, die hier ausnahmsweise eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten, liegen – so das OLG – nicht vor bzw. ergeben sich für das OLG auch nicht aus dem Sachvortrag des Pflichtverteidigers. Die Mutmaßungen des Verteidigers, worauf sich die Revision der Staatsanwaltschaft beschränke, reichen zur Festsetzung der Verfahrensgebühr für das Revisionsverfahren nicht aus. Wenn der Mandant darum gebeten hatte, möglichst schnell auf die Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft schriftsätzlich zu reagieren, dann ergibt sich daraus, dass der Mandant vor der Reaktion von einem Bekanntwerden der konkret vorgebrachten Revisionsbegründung der StA ausging. Bei Bekanntwerden von konkret vorgetragenen Revisionsgründen hätte der Verteidiger ausreichend Zeit gehabt, darauf zu reagieren und sich entsprechend vorzubereiten. Zwar sei eine etwaige Gegenerklärung innerhalb einer Woche nach Zustellung bei dem Gericht anzubringen, dessen Urteil angefochten wird (§ 347 Abs. 1 S. 2 StPO). Die genannte Frist stelle dabei aber keine Ausschlussfrist dar (KK-StPO/Gericke, 8. Aufl. 2019, StPO § 347 Rn 8). Auch wenn der Anwalt eine Revisionsrücknahme konkret nicht voraussehen konnte, so sei es aber erfahrungsgemäß nicht selten, dass eine Staatsanwaltschaft die von ihr eingelegte Revisionen nach Erhalt der schriftlichen Urteilsgründe ohne Vorbringen von Revisionsgründen wieder zurücknimmt, was auch dem Anwalt als Fachanwalt für Strafrecht bekannt sein muss. § 347 Abs. 1 S. 1 StPO zeige ebenfalls, dass eine Beratung über die Erfolgsaussichten der von der Staatsanwaltschaft eingelegten Revision schon vor deren Begründung entbehrlich sei. Denn die Verteidigung sei erst danach in das Rechtsmittelverfahren einzuschalten, nachdem auch die Revisionsanträge und die -begründung vorliegen, weil sonst das Rechtsmittel gemäß § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen sei.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Ich mag nicht mehr. Eine weitere falsche OLG-Entscheidung, die zu den vielen anderen falschen OLG-Entscheidungen passt, die die Frage ebenso negativ für den Angeklagten/Verteidiger entschieden haben (vgl. die Zusammenstellung bei Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, 6. Aufl., Nr. 4124 VV Rn 28 ff. und Nr. 4130 VV Rn 29 ff.). Und eine weitere Entscheidung, die keine eigenen Argumente vorbringt, sondern lediglich das nachvollzieht, was andere OLG bereits vorgebetet haben. Die Argumente, die auch von den Bezirksrevisoren immer wieder vorgetragen werden, werden nicht dadurch richtig, dass man sie immer wiederholt. Das zeigt nur, dass man als OLG nicht bereit ist, sich mit den anstehenden Fragen ernsthaft auseinanderzusetzen.

2. Daher noch einmal – und wahrscheinlich leider nicht zum letzten Mal: Zutreffend ist es, dass das OLG offenbar vom Entstehen der Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG ausgeht, obwohl das nach der in Bezug genommenen pflaumenweichen Formulierung des Vertreters der Staatskasse nicht ganz sicher ist. Aber ich will davon zugunsten des OLG einmal ausgehen. Warum dann aber diese Verfahrensgebühr nicht erstattungsfähig sein soll, erschließt sich mir nicht. Es ist m.E. einfach falsch, wenn das OLG das Interesse des Angeklagten „auf ein subjektives Beratungsbedürfnis“ reduziert, eine objektive Beratung ihm aber in dem frühen Stadium „weder erforderlich noch sinnvoll“ erscheint. Zunächst: Wo steht eigentlich in § 137 StPO, dass der Beschuldigte nur einen Anspruch auf „objektive Beratung“ hat? Verteidigung hat sich immer auch am Beratungsbedürfnis des Beschuldigten auszurichten. Das eine lässt sich nicht vom anderen trennen. Und es obliegt m.E. schon gar nicht einem OLG, darüber zu entscheiden, wie der Verteidiger seine Arbeit macht bzw. zu machen hat. Das kann, darf und muss er selbst entscheiden. Und natürlich hat der Mandant auch ein objektives Interesse daran zu erfahren, wie es nach der Einlegung der Revision mit dem Verfahren und der Verteidigung weitergeht. Und ein erfahrener Verteidiger wird wissen, was die Staatsanwaltschaft ggf. mit ihrer Revision geltend machen bzw. erreichen will. Denkt man die Auffassung des OLG konsequent zu Ende, wäre das Ergebnis, dass der Verteidiger nach Bekanntwerden der Revision der Staatsanwaltschaft nichts tut – sprichwörtlich die Hände in den Schoß legt – und wartet, ob und was denn nun noch – wenn überhaupt – an Begründung von der Staatsanwaltschaft kommt. Das ist einfach falsch und es geht an der Praxis vorbei, wenn man den Verteidiger auf das Verfahren nach § 347 Abs. 1 S. 2 StPO verweist und erwartet, dass er ohne Information des Mandanten und ggf. Vorbereitung einer Erwiderung innerhalb einer Woche auf eine mögliche umfangreiche Revisionsbegründung antwortet. Das ist nichts anderes als Verkürzung der Rechte des Beschuldigten.

3. Man fragt sich immer wieder, warum fast alle OLG so negativ wie das OLG Hamm entscheiden und damit eine (Pflicht-)Verteidigung zum Nulltarif propagieren, die es nicht gibt, was der Gesetzgeber gerade erst mit der Stärkung/Erweiterung des Rechts auf einen Pflichtverteidiger durch das „Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung“ vom 10.12.2019 (BGBl I, S. 2128) deutlich gemacht hat. Eine mögliche Erklärung ist, dass man damit die vielfache Praxis der Staatsanwaltschaften, zunächst einmal Revision einzulegen, diese dann aber – aus welchen Gründen auch immer – vor Begründung wieder zurückzunehmen, absegnet bzw. für die Staatsanwaltschaft kostenrechtlich ungefährlich macht. Denn: Zu erstattende Kosten sind ja nicht entstanden, da der Beschuldigte ja keinen Anspruch darauf hat, über ein ggf. auch unsinniges Rechtsmittel beraten zu werden. Also ein rein fiskalisches Interesse der OLG, Staatsanwaltschaften und Vertreter der Landeskassen, das die durch das o.a. Gesetz verfolgten Ziele der Stärkung der Rechte des Beschuldigten konterkariert.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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