Beitrag

Zusätzliche Verfahrensgebühr nach Einstellung gem. § 154 Abs. 2 StPO

1. Auch die Einstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO ist eine nicht nur vorläufige Einstellung im Sinne der Nr. 4141 VV RVG.

2. Welchen Umfang die anwaltliche Mitwirkung hat, ist unerheblich. Für die Beurteilung der anwaltlichen Tätigkeit kommt es nur darauf an, ob ein Beitrag des Verteidigers vorliegt, der objektiv geeignet ist, das Verfahren in formeller und/oder materieller Hinsicht im Hinblick auf eine Verfahrensbeendigung außerhalb der Hauptverhandlung zu fördern. (Leitsätze des Verfassers)

LG Verden, Beschl. v. 29.10.2020 – 4 KLs 461 Js 23425/20 (9/20)

I. Sachverhalt

Der Rechtsanwalt war Pflichtverteidiger des Angeklagten. Am 31.7.2020 beantragte die Staatsanwaltschaft Verden die Einstellung des Verfahrens gegen den Angeklagten gemäß § 154 Abs. 2 StPO. Am 3.8.2020 übersendete das LG den Antrag an den Verteidiger mit der Bitte um Stellungnahme und der Anfrage, ob der Angeklagte bereit wäre, auf die Rückgabe etwaiger sichergestellter Gegenstände zu verzichten, und teilte dem Verteidiger telefonisch mit, dass eine Einstellung von dem Verzicht des Angeklagten abhängig gemacht werde. Mit Schriftsatz vom 3.8.2020, der am selben Tag beim LG einging, stimmte der Verteidiger einer Verfahrenseinstellung zu und verzichtete im Namen des Angeklagten auf die Rückgabe der sichergestellten Gegenstände. Mit Beschluss vom 4.8.2020 wurde das Verfahren gegen den Angeklagten nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Im Rahmen der Vergütungsfestsetzung hat der Rechtsanwalt auch eine zusätzliche Vernehmung gemäß Nr. 4141 VV RVG geltend gemacht. Diese ist vom UdG nicht festgesetzt worden. Der Verteidiger hat Erinnerung eingelegt, die beim LG Erfolg hatte.

Il. Entscheidung

Das LG weist zunächst darauf hin, dass es der herrschenden Meinung entspreche, dass auch die Einstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO eine nicht nur vorläufige Einstellung i.S.d. Nr. 4141 VV RVG sei, da der Fortführung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 4 und 5 StPO erhebliche Hindernisse entgegenstehen (OLG Stuttgart RVGreport 2010, 263 = AGS 2010, 292 = RVGprofessionell 2010, 119 = VRR 2010, 320 = StRR 2010, 440).

Darüber hinaus liege – so das LG – auch eine anwaltliche Mitwirkung an der Einstellung des Verfahren vor. Nach dem Ausschlusstatbestand der Nr. 4141 Abs. 2 VV RVG entstehe die Gebühr nur dann nicht, wenn eine auf die Förderung gerichtete Tätigkeit nicht ersichtlich sei. Welchen Umfang die anwaltliche Mitwirkung i.S.d. Nr. 4141 VV RVG habe, sei unerheblich. Dem Wortlaut der Regelung könne eine weitergehende Anforderung an die Quantität oder Qualität des anwaltlichen Mitwirkungsbeitrags nicht entnommen werden. Für die Beurteilung komme es daher einzig darauf an, ob ein Beitrag des Verteidigers vorliegt, der objektiv geeignet sei, das Verfahren in formeller und/oder materieller Hinsicht im Hinblick auf eine Verfahrensbeendigung außerhalb der Hauptverhandlung zu fördern. Dem steht auch nicht der Zweck der Regelung entgegen. Ziel der Regelung sei eine Verringerung der Arbeitsbelastung der Gerichte. Dieses Ziel solle durch eine adäquate Vergütung des Verteidigers bereits im Vorfeld der Hauptverhandlung erreicht werden (BGH AGS 2010, 1 = VRR 2010, 38 = RVGreport 2010, 70 = StRR 2010, 110). Dies entspreche auch der Rechtsprechung des BGH zum Begriff der anwaltlichen Mitwirkung in Bußgeldsachen vor der Verwaltungsbehörde nach Nr. 5115 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG, dessen Wortlaut Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG entspricht. Auch dort genüge jede Tätigkeit, die zur Förderung der Verfahrenserledigung geeignet ist. Der strengere Maßstab nach Nr. 1002 VV RVG, welcher eine besondere, nicht nur unwesentliche und gerade auf die außergerichtliche Erledigung gerichtete Tätigkeit verlange, lasse sich nach Ansicht des BGH nicht auf Nr. 5115 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG übertragen, da Nr. 1002 VV RVG keine den Grad der Mitwirkung konkretisierende Regelung aufweist, wie sie in Nr. 5115 Abs. 2 und auch Nr. 4141 Abs. 2 VV RVG ausdrücklich aufgenommen wurde (vgl. BGH AGS 200, 491 = RVGreport 2008, 431 = VRR 2008, 438 = StRR 2009, 78). Nach Nr. 4141 Abs. 2 VV RVG genüge für das Anfallen der Zusatzgebühr bereits ein Beitrag zur Förderung des Verfahrens. Dies sei ersichtlich weniger als eine Mitwirkung zur Erledigung des Verfahrens.

Hier habe der Verteidiger am 3.8.2020 einer Verfahrenseinstellung zugestimmt und den Verzicht auf die Rückgabe der sichergestellten Gegenstände erklärt. Diese Tätigkeit sei geeignet, die Einstellung des Verfahrens zu fördern, da das Gericht gegenüber dem Erinnerungsführer erklärt hatte, die Einstellung des Verfahrens solle von dem Verzicht abhängig gemacht werden. Ob der Verzicht in tatsächlicher Hinsicht für die darauffolgende Einstellungsentscheidung von Bedeutung gewesen sei, sei dagegen unerheblich. Die auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Mitwirkungshandlung müsse für die Entscheidung des Gerichts nicht ursächlich oder mitursächlich sein. Denn im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens solle vermieden werden, dass nachträglich die subjektiven Erwägungen und Vorstellungen der entscheidenden Richter ermittelt werden müssen und als Maßstab für die Bewertung zugrunde gelegt werden (vgl. OLG Stuttgart a.a.O.).

III. Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung ist zutreffend und entspricht der h.M. in Rechtsprechung und Literatur.

1. Dass auch die Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO eine Einstellung i.S.d. Nr. 4141 VV RVG darstellt ist inzwischen unbestritten (vgl. noch LG Arnsberg StraFo 2017, 131 = AGS 2017, 216; LG Saarbrücken AGS 2015, 225; AG Koblenz, RVGreport 2020, 262 = RVGprofessionell 2020, 207; AG Mettmann RVGreport 2011, 228 = StRR 2011, 124 = AGkompakt 2011, 14; StRR 2011, 124 = RVGprofessionell 2011, 58).

2. Das LG sieht auch die Frage der Mitwirkung des Verteidigers richtig. Ausreichend ist es, wenn die Tätigkeit objektiv geeignet war, die Beendigung des Verfahrens ohne Hauptverhandlung zu fördern. Ob die Tätigkeit ursächlich gewesen ist, ist unerheblich (vgl. dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4141 VV Rn 12 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung). Anders hat das vor Kurzem das AG Nürnberg gesehen (vgl. Beschl. v. 17.11.2020 – 59 Gs 4066/20). Das AG meint, die zusätzliche Verfahrensgebühr entstehe nicht, wenn das Gericht ungeachtet einer vom Verteidiger vorgetragenen Einlassung des Angeklagten das Verfahren nach § 154 StPO wegen einer zu erwartenden Strafe in einem anderen Verfahren einstellt (so auch schon AG Aschaffenburg RVGreport 2018, 97 = AGS 2017, 506 = RVGprofessionell 2018, 113). Das ist aber nicht zutreffend. Denn der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft den aus ihrer Sicht vielleicht einfacheren Weg der Einstellung nach § 154 StPO gegangen ist, sagt ja nichts über die Qualität der Mitwirkung des Verteidigers aus. Und das ist auch zutreffend, denn sonst hätten es die Gerichte in der Hand, durch die Wahl des „richtigen“ Einstellungsgrundes die Voraussetzungen für das Entstehen der Nr. 4141 VV RVG zu legen oder nicht. Das kann aber nicht richtig sein.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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