Ein Verbrechen gilt schon dann als zur Last gelegt, wenn wegen eines solchen ermittelt wird. (Leitsatz des Verfassers)
LG Flensburg, Beschl. v. 30.7.2020 – II Qs 28/20 jug
Der Mandant erscheint bei dem Rechtsanwalt mit einer Vorladung der Polizei. Bei der ihm darin zur Last gelegten Tat handelt es sich um ein Verbrechen. Daraufhin beantragt der Rechtsanwalt bei der Staatsanwaltschaft seine Beiordnung, der Ermittlungsrichter teilt ihm mit, dass er nicht beiordnen wird, weil es hier nicht um ein Verbrechen gehe, es läge vielmehr offensichtlich nur ein Vergehen vor, was objektiv zutreffend ist. Der Rechtsanwalt nimmt dazu Stellung und erklärt, dass es doch auf den Vorwurf zum Zeitpunkt der Antragstellung ankomme. Das AG lehnt die Bestellung ab. Die LG haben auf die Beschwerden beigeordnet.
Die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO liegen vor, da gegen den Beschuldigten wegen des Verdachts der Brandstiftung nach § 306 Abs. 1 StGB, die ein Verbrechen i.S.d. § 12 Abs. 1 StGB darstellt, ermittelt wurde. Ein Verbrechen gilt nämlich schon dann als „zur Last gelegt“, wenn wegen eines solchen ermittelt wird (vgl. BeckOK-StPO/Krawczyk, 36. Ed. 1.1.2020, StPO § 140 Rn 6 m.w.N.). Zwar seien seitens der Kriminalpolizei bereits frühzeitig Überlegungen angestellt worden, wonach eine Strafbarkeit wegen eines Brandstiftungsdeliktes ausscheiden könnte. Diese Überlegungen hätten indes zu keiner Änderung der Bewertung des Tatvorwurfs geführt, wie die Vorladung des Beschuldigten vom 22.1.2020 dokumentiere. Diesem sei darin bekanntgegeben worden, dass ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen Brandstiftung gemäß § 306 Abs. 1 StGB geführt werde. Dass die Staatsanwaltschaft im Rahmen des Beiordnungsverfahrens nunmehr eine – wenngleich zutreffende – rechtliche Würdigung dahingehend vornehme, dass lediglich ein Tatverdacht wegen Sachbeschädigung bestehe, führe zu keinem Entfallen der Beiordnungsvoraussetzungen. Denn wenn die Tat nach Einordnung als Verbrechen im Laufe des weiteren Verfahrens anders beurteilt werde, bleibe die Verteidigung nach allgemeiner Ansicht gleichwohl notwendig (MüKo-StPO/Thomas/Kämpfer, 1. Aufl. 2014, StPO § 140 Rn 13). Auch wenn dieser Grundsatz keine uneingeschränkte Anwendung entfalte und vor dem Hintergrund der zeitlichen Vorverlagerung des Beiordnungsverfahrens ins Ermittlungsverfahren modifiziert werden müsse, dürfte er aber jedenfalls gelten, wenn mit dem Vorwurf eines Verbrechens an den Beschuldigten herangetreten werde.
Ähnlich hat das LG Magdeburg entschieden. Auf StRR 10/2020, 23 wird hingewiesen.
RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg
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