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Zulässigkeit einer Presseerklärung über Anklageerhebung

1. Der Grundsatz der Waffengleichheit zwischen Staatsanwaltschaft und Beschuldigten, der sich aus dem Recht auf ein faires Verfahren ergibt, ist auch außerhalb des Strafprozesses im Rahmen der Pressearbeit der Staatsanwaltschaft zu berücksichtigen.

2. Will die Staatsanwaltschaft die Presse kurz nach Zuleitung der Anklageschrift an das Gericht über die Anklageerhebung unterrichten, muss sie dem Beschuldigten zuvor die vollständige Anklageschrift übermitteln und ihm zeitlich die Möglichkeit einräumen, angemessen auf das behördliche Informationshandeln reagieren zu können. Die hierfür erforderliche Zeitspanne hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. (Leitsätze des Gerichts)

VGH München, Beschl. v. 20.8.2020 – 7 ZB 19.1999

I. Sachverhalt

Die Staatsanwaltschaft hat, nachdem sie am Morgen des 27.7.2017 gegen den Kläger Anklage u.a. wegen Bestechung, Vorteilsgewährung und Verstößen gegen das Parteiengesetz erhoben hatte, mittags eine Pressemitteilung veröffentlicht und zur Durchführung einer mündlichen Presseinformation am selben Tag geladen. Erst zwei Stunden zuvor hatte sie die Verteidiger des Klägers über die Anklageerhebung informiert und diesen den 25-seitigen Anklagesatz der Anklageschrift zugefaxt. Das VG hat dazu festgestellt, dass die Staatsanwaltschaft hierzu nicht berechtigt war. Auch wenn die Pressearbeit inhaltlich nicht zu beanstanden sei, habe die Anklagebehörde das Recht des Klägers auf ein faires Verfahren verletzt. Die dagegen eingelegte Berufung hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Der BayVGH hat die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt bzw. die Berufung nicht zugelassen. Das VG habe zu Recht angenommen, dass der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung habe, dass die Pressearbeit der Staatsanwaltschaft rechtswidrig gewesen sei. Auch wenn das Ermittlungsverfahren gegen einen Mitbeschuldigten zwischenzeitlich eingestellt worden sei, ermittle die Staatsanwaltschaft wegen weitgehend desselben Sachverhalts immer noch gegen den Kläger. Im Fall einer Anklage sei erneut von einem erheblichen medialen Interesse auszugehen. Es bestehe daher die konkrete Gefahr, dass die Staatsanwaltschaft ihre Pressearbeit in Bezug auf den Kläger auch künftig nicht anders gestalten werde. Mit der beanstandeten Pressearbeit habe die Staatsanwaltschaft gleich zweifach gegen das Recht des Klägers auf ein faires Verfahren verstoßen. Ein Zeitraum von nur zwei Stunden zwischen der Information der Verteidiger und der Information der Presse sei hier nicht ausreichend gewesen. Die Verteidiger hätten zudem das wesentliche Ermittlungsergebnis erhalten müssen. Der Grundsatz der Waffengleichheit zwischen Staatsanwaltschaft und Beschuldigten, der sich aus dem Recht auf ein faires Verfahren ergebe, sei auch im Rahmen der Pressearbeit der Staatsanwaltschaft zu berücksichtigen. Wolle sie die Presse kurz nach Anklageerhebung unterrichten, müsse sie dem Beschuldigten zuvor die vollständige Anklageschrift übermitteln und ihm zeitlich die Möglichkeit einräumen, angemessen auf das behördliche Informationshandeln reagieren zu können. Diese Grundsätze habe die Staatsanwaltschaft nicht beachtet.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Klare Worte aus Bayern zu dem sicherlich sehr vorschnellen Handeln der Staatsanwaltschaft. Dem ist m.E. nichts hinzuzufügen, außer: Welche Frist für die Veröffentlichung angemessen ist, ist sicherlich eine Frage des Einzelfalls, die vom Umfang des Verfahrens und der Anklage abhängt. Der Verteidiger muss jedenfalls genügend Zeit haben, sich auf ein „mediales Echo“ einstellen zu können. Der VGH Kassel (NJW 2001, 3802) hat es als erforderlich angesehen, dass in einem komplexen Verfahren der Verteidiger (mindestens) einen Arbeitstag vor einer Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft vom Inhalt der Anklage, die auf dieser Pressekonferenz vorgestellt werden soll, Kenntnis nehmen kann (zum Verbot der Veröffentlichung von Anklageschriften vor der Hauptverhandlung [§ 353d Nr. StGB] zuletzt BVerfG NJW 2014, 2777 m.w.N.; zu § 353d StGB im Zusammenhang mit Bloggen Lorenzen, Festschrift zum 70. Geburtstag von Detlef Burhoff, 2020, S. 67 ff.

2. Der VGH weist in seinem Beschluss zudem darauf hin, dass aus Nr. 23 Abs. 2 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) nichts anderes folgt. Soweit dort keine ausdrückliche Wartefrist zwischen der Bekanntgabe der Anklageschrift an den Beschuldigten und der Information der Öffentlichkeit vorgesehen ist – ebenso wie übrigens die Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz für die Richtlinien über die Zusammenarbeit der Bayerischen Justiz mit der Presse (Presserichtlinien – PresseRL) vom 26.5.2014 (JMBl. S. 67) – dürfe nicht übersehen werden, dass diese Richtlinien im Rang unter Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK und auch unter Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG stehen und den materiellen Gehalt der Gewährleistung des fairen Verfahrens daher nicht zu verändern vermögen.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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