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Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter

1. Gemäß der Verordnung über die Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen am Straßenverkehr (eKFV) sind Elektrokleinstfahrzeuge mit elektrischem Antrieb, einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht weniger als 6 km/h und nicht mehr als 20 km/h und bestimmten, in § 1 eKFV genannten zusätzlichen Merkmalen als Kraftfahrzeuge eingestuft.

2. Bei derartigen E-Scootern handelt es sich demnach um Kraftfahrzeuge im Sinne des § 1 Abs. 2 StVG.

3. Für Führer derartiger E-Scooter liegt der Mindestwert für die unwiderlegliche Annahme von absoluter Fahruntüchtigkeit bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille. (Leitsätze des Gerichts)

BayObLG, Beschl. v. 24.7.2020 – 205 StRR 216/20

I. Sachverhalt

Das AG hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt. Zudem hat es ein Fahrverbot von drei Monaten angeordnet und dem Angeklagten die Fahrerlaubnis mit einer Sperre von sieben Monaten unter Einziehung des Führerscheins entzogen. Der Angeklagte mietete während der Zeit des Oktoberfestes in München gegen 22.15 Uhr einen E-Scooter mit Versicherungskennzeichen an. Er beabsichtigte, mit dem E-Scooter die Strecke bis zu seinem Hotel in etwa 300–400 m Entfernung zurückzulegen. Nachdem er eine Wegstrecke von ca. 300 m zurückgelegt hatte, wurde er von der Polizei mit einer BAK von 1,35 Promille angehalten. Seine Sprungrevision blieb erfolglos.

II. Entscheidung

Bei E-Scootern handele es sich um Fahrzeuge i.S.v. § 316 StGB. Fahrzeug sei jedes zur Ortsveränderung bestimmte Fortbewegungsmittel zur Beförderung von Personen oder Gütern. Der Begriff entspreche dem des Straßenverkehrsrechts. Zu den Fahrzeugen gehörten insbesondere Kfz im Sinne des § 1 Abs. 2 StVG i.V.m. § 2 Nr. 1 FZV. Gemäß der seit dem 15.6.2019 geltenden eKFV würden aufgrund ihrer Motorisierung auch Elektrokleinstfahrzeuge mit elektrischem Antrieb, einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht weniger als 6 km/h und nicht mehr als 20 km/h und bestimmten, in § 1 eKFV genannten zusätzlichen Merkmalen als Kfz im Sinne des § 1 Abs. 2 StVG eingestuft. Hierunter fielen auch die sog. E- Scooter im entsprechenden Leistungsbereich.

Der Grenzwert absoluter Fahruntüchtigkeit sei unter Anwendung der für Kraftfahrer geltenden Promillegrenze bei 1,1 Promille (BGHSt 37, 89 = NJW 1990, 2393, 2395) anzunehmen. Auch wenn der Entscheidung des BGH eine Trunkenheitsfahrt eines Autofahrers zugrunde lag, habe der BGH ausdrücklich klargestellt, dass dieser Grenzwert generell für (alle) Führer von Kfz gilt, und dies zusätzlich durch Bezugnahme auf vorausgegangene Entscheidungen zu Kraftradfahrern (BGHSt 22, 352) sowie Fahrrädern mit Hilfsmotor, sog. Mofa 25 (BGHSt 30, 251 = NJW 1982, 588) und auch Führen eines abgeschleppten betriebsunfähigen Pkw (BGHSt 36, 341 = NJW 1990, 1245) zum Ausdruck gebracht. Dem sei die Rechtsprechung (OLG Nürnberg NZV 2011, 358 = DAR 2011, 152 = VRR 2011, 111 [Deutscher] zum motorisierten Krankenfahrstuhl; OLG Hamburg DAR 2017, 157 = NZV 2017, 193 [Kerkmann] für den sog. Segway) sowie die herrschende Meinung in der Literatur (Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 316 Rn 25; speziell zu E-Scootern: Kerkmann, NZV 2020, 161; Heß/Figgener, NJW-Spezial 2019, 585; Engel, DAR 2020, 16, 17; a.A. Schefer, NZV 2020, 239) gefolgt. Von dem Grundsatz im Falle der E-Scooter abzuweichen bestehe kein Anlass. Elektrokleinstfahrzeuge würden in § 1 Abs. 1 eKFV aufgrund ihres elektrischen Antriebs als Kfz eingestuft. Sie unterlägen damit den für Kfz geltenden Regelungen im Straßenverkehrsrecht, soweit nicht für Elektrokleinstfahrzeuge ausdrücklich abweichende Regelungen geschaffen wurden. Das ist hinsichtlich der Vorschriften zum Alkohol im Straßenverkehr nicht der Fall. Im Übrigen würde auch ein eigener Grenzwert für jede Fahrzeugart zu einer verwirrenden Vielfalt von Werten und Begriffen für die Verkehrsteilnehmer führen, was schon aus praktischen Gründen bedenklich wäre (so schon BGHSt 22, 352, 359). Der Angeklagte habe auch fahrlässig gehandelt. Soweit er irrig davon ausgegangen ist, dass bei einer Fahrt mit einem E-Scooter der absolute Grenzwert für Fahrräder mit 1,6 Promille einschlägig ist, sei zu beachten: Die Grenzwerte stellten keine Tatbestandsmerkmale dar, sondern lediglich eine Art Beweisregel für das Vorliegen der Fahruntüchtigkeit. Daher müssen sie auch nicht vom Vorsatz umfasst sein (BGHSt 60, 227 = NJW 2015, 1834 = VRR 6/2015, 13 = StRR 2015, 232 [jew. Burhoff]).

Die Verhängung eines Fahrverbots von drei Monaten als Nebenstrafe gemäß § 44 Abs. 1 StGB begegne keinen rechtlichen Bedenken. Zwar schlössen sich Fahrverbot und Fahrerlaubnisentziehung regelmäßig aus, da das Fahrverbot nach § 44 StGB voraussetzt, dass sich der Täter gerade nicht als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat. Ein Fahrverbot komme neben einer Entziehung der Fahrerlaubnis jedoch in Betracht, wenn das Gericht dem Täter das Fahren mit gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 FeV fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen verbieten oder nach § 69a Abs. 2 StGB bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen von der Sperre ausnehmen will (BGH BA 55, 437 = VRR 11/2018, 17 [Burhoff] = NZV 2019, 153 [Rinio]). Dies sei nach den Urteilsgründen ersichtlich der Fall gewesen, nachdem die Tat mit einem fahrerlaubnisfreien Fahrzeug begangen wurde.

Auch im Rahmen des § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB sei für den Begriff „Kraftfahrzeug“ die verkehrsrechtliche Legaldefinition des § 1 Abs. 2 StVG maßgeblich. Unerheblich sei, ob es für das Führen des Kfz nach § 4 Abs. 1 FeV einer Fahrerlaubnis bedarf. Eine vom Gesetzgeber bewusst vorgenommene Ausnahmeregelung bestehe gemäß dem im Rahmen des § 69 StGB ebenfalls zu beachtenden § 1 Abs. 3 Satz 1 StVG für sog. Pedelecs. Diese würden gemäß § 1 Abs. 3 StVG als Fahrräder eingestuft und fielen daher nicht unter den Anwendungsbereich des § 69 StGB. Eine solche Regelung sei dagegen für E-Scooter nicht getroffen worden. Gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB sei ein Täter dann regelmäßig als ungeeignet zum Führen von Kfz anzusehen, wenn – wie hier – als rechtswidrige Tat ein Vergehen der Trunkenheit im Verkehr zugrunde liegt. Die Wirkung der gesetzlichen Vermutung gehe dahin, dass für die Feststellung der Ungeeignetheit eine sie explizit begründende Gesamtwürdigung nur erforderlich ist, wenn ernsthafte Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein Ausnahmefall vorliegen könnte (BGH NStZ 2000, 26). Solche besonderen Umstände könnten entweder in der Tat, in der Persönlichkeit des Täters oder dem Nachtatverhalten liegen und seien insbesondere dann besonders sorgfältig zu prüfen, wenn Anlasstat ein Fall der Trunkenheit im Verkehr ist. Die Indizwirkung könne bei sog. Bagatellfahrten entfallen, worunter vor allem folgenlos gebliebene Trunkenheitsfahrten zu verstehen sind, bei denen der alkoholisierte Fahrer das Kraftfahrzeug auf der Straße oder einem öffentlichen Parkplatz lediglich um wenige Meter versetzt, um das Fahrzeug ordnungsgemäß zu parken (OLG Stuttgart NJW 1987, 142; OLG Düsseldorf NZV 1988, 29). Nach dieser Maßgabe sei es nicht zu beanstanden, dass das AG die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB mit ausführlicher Begründung als nicht widerlegt angesehen hat. Ausgehend von der Gesetzessystematik komme ein Abweichen von der Regelvermutung nur bei besonderen Umständen des Einzelfalles in Betracht. Das AG habe über den Aspekt hinaus, dass die Fahrt mit einem im Vergleich zu einem Personenkraftwagen leichteren E-Scooter stattfand, berücksichtigt, dass die vom Angeklagten bis zu seiner polizeilichen Kontrolle gefahrene Strecke von ca. 300 m nicht allzu lang war. Wenn das AG darin keinen Fall einer Bagatellfahrt mehr gesehen hat, so liege dies im Rahmen seines Beurteilungsspielraums. Soweit die Revision zu den Tatumständen ergänzend anführt, dass der Bürgersteig, auf dem der Angeklagte fuhr, zum Tatzeitpunkt von Fußgängern nicht benutzt worden sei, handele es sich um urteilsfremdes Vorbringen, das der Senat bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigen könne. Der Umstand, dass Leib oder Leben anderer Menschen oder Sachen von bedeutendem Wert nicht konkret gefährdet wurden, sei zudem bereits Tatbestandsvoraussetzung des als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestalteten § 316 StGB.

III. Bedeutung für die Praxis

Die ersichtlich erste obergerichtliche Entscheidung zu Trunkenheitsfahrten mit E-Scootern, deren Führen durch die eKFV seit 15.6.2019 zugelassen ist (dazu Deutscher, ZAP Fach 9, S. 1105; VRR 9/2020, 4). Das BayObLG sieht E-Scooter als Kfz gem. den §§ 316, 69 StGB und entspricht damit der herrschenden Ansicht (N. o. und bei Deutscher, VRR 9/2019, 5, 8, 9). Von besonderer Bedeutung für die Praxis ist der Umstand, dass das BayObLG zutreffend auch die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB für anwendbar hält. Damit ist die von einigen Instanzgerichten propagierte Widerlegung der Regelvermutung bei Trunkenheitsfahrten mit E-Scootern (N. bei Deutscher, a.a.O.) zwar nicht ausgeschlossen und sollte vom Verteidiger auch immer versucht werden (Stichworte: kurze beabsichtigte und zurückgelegte Fahrtstrecke, verkehrsarme Zeit und Örtlichkeit). Die Chancen auf einen Erfolg sind mit dieser Entscheidung gleichwohl geringer geworden (zu Trunkenheitsfahrten mit Pedelecs OLG Karlsruhe VRR 9/2020 15 = StRR 9/2020, 28 [jew. Deutscher] = NZV 2020, 435 [Kerkmann]).

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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