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Sitzordnung in der Hauptverhandlung

1. Eine Verletzung des Anwesenheitsrechts des Angeklagten durch Verbringung in den Zuschauerbereich während einer Zeugenvernehmung nach § 247 S. 1 i.V.m. § 338 Nr. 5 StPO liegt nicht vor, wenn der Angeklagte nicht aus dem Sitzungszimmer entfernt wurde und er in seiner Sitzposition auch weiterhin in Sicht- und Hörweite des Verfahrensgeschehens ist.

2. Macht der Angeklagte geltend, in seiner Verteidigung unzulässig beschränkt worden zu sein, ist die Tatsache nach § 344 Abs. 2 S. 2 StPO hinreichend anzugeben.

3. Wenn eine angegriffene Tatsache zur Überprüfung vorgelegt wird, sind die zu überprüfenden Vernehmungsprotokolle zur Revisionsschrift i.S.d. § 344 Abs. S. 2 StPO vorzulegen.

4. Für die aussagepsychologische Begutachtung eines Zeugen ist es nicht notwendig, dass dieser bei seiner Exploration mitwirken muss. (Leitsätze des Verfassers)

BGH, Beschl. v. 16.2.2021 – 4 StR 517/20

I. Sachverhalt

Das LG hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Während der Vernehmung der Nebenklägerin/Opferzeugin wurde veranlasst, dass der Angeklagte im Zuschauerraum Platz zu nehmen hat. In dem Hauptverfahren wurde zudem von der Verteidigung erfolglos ein aussagepsychologisches Sachverständigengutachten beantragt. Mit seiner Revision hat der Angeklagte eine Verletzung des § 247 S. 1 i.V.m § 338 Nr. 5 StPO sowie die aus Sicht der Verteidigung fehlerhafte Ablehnung des Beweisantrages geltend gemacht. Die Revision hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Eine Verletzung von § 247 S. 1 i.V.m. § 338 Nr. 5 StPO liegt nach Auffassung des BGH nicht vor, weil der Angeklagte nicht aus dem Sitzungszimmer entfernt wurde und er in seiner Sitzposition auch weiterhin in Sicht- und Hörweite des Verfahrensgeschehens und damit nicht abwesend im Sinne von § 338 Nr. 5 StPO war. Die Unterbrechung des ständigen Kontaktes zu seinem Verteidiger ändere daran nichts.

Eine durch diese Maßnahme bewirkte unzulässige Beschränkung der Verteidigung i.S.d. § 338 Nr. 8 StPO sei zudem bereits nicht hinreichend dargetan (§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO). Zwar könne auch eine – wie hier – im Beschlusswege angeordnete Umgestaltung der Sitzordnung gemäß § 176 GVG zu einer unzulässigen Beschränkung der Verteidigung in einem für das Urteil wesentlichen Punkt führen. Dies setze aber voraus, dass bei dieser nur auf grobe Ermessensfehler hin überprüfbaren Anordnung die Rechtsposition des Angeklagten oder seines Verteidigers grundlegend verkannt und ihre Mitwirkungsmöglichkeiten tatsächlich entscheidungserheblich eingeschränkt wurden (vgl. BGH NStZ 2019, 297 m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 338 Rn 59).

Für die Vortragspflicht des Revisionsführers bedeute dies, dass er auch die Tatsachen vorzubringen habe, aus denen sich ein konkreter Zusammenhang zwischen dem geltend gemachten Verfahrensfehler und einem für die Entscheidung bedeutsamen Punkt ergibt (vgl. BGHSt 30, 131, 135 f. m.w.N.; BGH NJW 2005, 300, 303; siehe auch BGH NStZ 2014, 347). Diesen Erfordernissen werde das Revisionsvorbringen nicht gerecht. Zwar werde geltend gemacht, dass es dem intellektuell eingeschränkten Angeklagten von der ihm zugewiesenen Sitzposition im Zuhörerraum aus nicht möglich gewesen sei, direkt mit seinem Verteidiger Kontakt aufzunehmen und Nachfragen vorzubringen. Auch habe er dieses Defizit aufgrund seiner mangelnden Erinnerungsfähigkeit nicht nach seiner Rückkehr auf die Anklagebank ausgleichen können. Aus diesem Vorbringen ergebe sich aber nur, dass die durch die Änderung der Sitzordnung bewirkte Beschränkung der Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten generell geeignet war, seine Verteidigung zu beeinträchtigen. Dass tatsächlich bestimmte und möglicherweise entscheidungserhebliche Umstände infolge der von der Strafkammer bestimmten Sitzordnung nicht zur Sprache gekommen seien, zeige die Revision nicht auf (vgl. BGHSt 30, 131, 135 zur selektiven Beiziehung von Spurenakten). Dies wäre aber erforderlich gewesen, um wenigstens die Möglichkeit eines konkret kausalen Zusammenhangs zwischen den durch die Sitzordnung bewirkten Beschränkungen der Verteidigung und einem bedeutsamen Punkt im Urteil gemäß § 338 Nr. 8 StPO darzutun.

Es könne im Übrigen dahinstehen – so der BGH –, ob die Rüge, das LG habe bei der Ablehnung eines Antrages auf Einholung eines Gutachtens zur Aussagetüchtigkeit der Zeugin M und zur Glaubhaftigkeit ihrer Angaben gegen § 244 Abs. 3 S. 2 und Abs. 2 StPO verstoßen, schon deshalb unzulässig ist, weil zu einer Einwilligung der Zeugin in eine Exploration nichts vorgetragen sei (vgl. BGH NStZ 2013, 672; Beschl. v. 5.10.2004 – 1 StR 284/04). Diese Auffassung sei rechtlich bedenklich, weil die aussagepsychologische Begutachtung eines Zeugen nicht notwendig dessen Exploration unter seiner Mitwirkung bedarf. Vielmehr ist es je nach Fallgestaltung regelmäßig möglich, dem Sachverständigen auf anderem Wege die erforderlichen Anknüpfungstatsachen für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen zu verschaffen (vgl. BGH NStZ-RR 2015, 17 f. m.w.N.; siehe dazu auch BGH, Beschl. v. 31.1.2017 – 4 StR 531/16).

Die Rüge sei aber jedenfalls deshalb nicht zulässig erhoben, weil das in der Antragsbegründung in Bezug genommene und für den Revisionsvortrag wesentliche Protokoll der polizeilichen Vernehmung der Zeugin M nicht vorgelegt worden sei, obwohl dies nach § 344 Abs. 2 S. 2 StPO erforderlich gewesen sei (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 13.5.2020 – 4 StR 533/19 Rn 7 m.w.N.).

III. Bedeutung für die Praxis

Der BGH lässt sich deutlich darüber aus, dass die Verteidigung es versäumt hat, für die Überprüfung des Urteils alles heranzutragen, was für die Revision nötig ist. Das gilt sowohl für Protokolle als auch für den Gesamtvortrag. Es scheint mehr als ein Kunstfehler zu sein, die in Bezug genommenen Vernehmungsprotokollinhalte nicht vorzulegen. Aktenbestandteile werden eben nicht geprüft.

Wird behauptet, dass das erkennende Gericht Verfahrensfehler begangen hat, so ist die kausale Auswirkung des Fehlers auf das Urteil darzulegen.

Es gilt wie immer: Das Urteil muss auf den behaupteten Verfahrensfehlern beruhen. Die Darlegung des Beruhens muss ausführlich erfolgen und ist somit mehr als ein Einzeiler.

RA/FAStR Harald Stehr, Göppingen

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