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Keine eingeschränkte PKH für den Nebenkläger

Es ist mit dem Wesen der Nebenklage nicht zu vereinbaren. die Entscheidung des Nebenklägers und des ihm beigeordneten Rechtsanwalts zur Ausübung des Anwesenheitsrechts über die Form der Prozesskostenhilfebewilligung zu steuern und ihn kostenrechtlich davon abzuhalten, das Anwesenheitsrecht auszuüben. (Leitsatz des Verfassers)

OLG Naumburg, Beschl. v. 16.3.2021 – 1 Ws (s) 60/21

I. Sachverhalt

Der Beschwerdeführer ist als Nebenkläger zu einem Strafkammer-Verfahren zugelassen, das sich gegen drei Mitangeklagte richtet. Am ersten Sitzungstag beantragte der Nebenklägervertreter für den Nebenkläger die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter seiner Beiordnung. Dem hat das LG nur dahin entsprochen, „soweit das Verfahren die den Angeklagten pp. und pp. mit Anklage der Staatsanwaltschaft Magdeburg – Zweigstelle Halberstadt – vom 23.7.2018 zur Last gelegte Tat betrifft“. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Nebenklägers, der beantragt, ihm die Prozesskostenhilfe für das gesamte Verfahren zu bewilligen. Die Beschwerde hat beim OLG Erfolg.

II. Entscheidung

Die Beschwerde des Nebenklägers ist zulässig. Gegen die unter Einschränkungen vorgenommene Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 397a Abs. 2 StPO stehe – so das OLG – einem Nebenkläger als statthafter Rechtsbehelf die Beschwerde nach § 304 StPO zu. Die Unanfechtbarkeit eines Beschlusses nach § 397a Abs. 2 StPO sei durch Streichung von § 397a Abs. 3 S. 3 StPO durch das Gesetz vom 14.3.2013 (BGBl I 2013, 1805) beseitigt worden. Mangels ausdrücklicher Bestimmung sei nicht nur eine sofortige Beschwerde gegeben.

Nach Auffassung des OLG kann Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Nebenklägervertreters nach § 397a Abs. 2 StPO für das Strafverfahren und für den Rechtszug nur einheitlich bewilligt werden. Einzelne Teile des Verfahrens, insbesondere einzelne Hautverhandlungstage oder einzelne Tatvorwürfe, können nicht ausgenommen werden.

§ 397a Abs. 2 S. 1 StPO definiere die Voraussetzungen, unter denen Prozesskostenhilfe bewilligt werde. Dem Nebenkläger sei für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts auf Antrag Prozesskostenhilfe nach denselben Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zu bewilligen, wenn er seine Interessen selbst nicht ausreichend wahrnehmen kann oder ihm dies nicht zuzumuten ist. Weitere Bedingungen sehe das Gesetz nicht vor. Die Verweisung auf die Vorschriften der §§ 114 ff. ZPO durch die Formulierung „nach denselben Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten“ führe unzweifelhaft nicht dazu, dass sich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe daran orientierte, ob und inwieweit eine Nebenklage Erfolg haben kann oder nicht. § 114 S. 1 Hs. 2 ZPO werde von § 397a Abs. 2 S. 3 StPO für nicht anwendbar erklärt, so dass die Erfolgsaussicht der Nebenklage für die Bewilligungsentscheidung keine Rolle spiele.

Der Nebenkläger genieße nach den Vorstellungen des Gesetzes eine besondere Verfahrensrolle. Das komme dadurch zum Ausdruck. dass § 397 StPO dessen Rechte besonders definiert und damit die Stellung des Nebenklägers in Abgrenzung zu einem Privatkläger hervorhebt. Dazu gehöre insbesondere das Recht des Nebenklägers zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung (§ 397 Abs. 1 S. 1 StPO), so dass die seine Anwesenheit beschränkenden Vorschriften der §§ 58 Abs. 1, 243 Abs. 2 S. 1 StPO nicht gelten (u.a. Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2021, § 397 Rn 2). Das Anwesenheitsrecht erstrecke sich hierbei auf die gesamte Hauptverhandlung (Valerius, in: MüKo-StPO, 1. Aufl. 2019, § 397 Rn 4).

Mit dem Wesen der Nebenklage sei es nicht zu vereinbaren, die Entscheidung des Nebenklägers und des ihm beigeordneten Rechtsanwalts zur Ausübung des Anwesenheitsrechts über die Form der Prozesskostenhilfebewilligung zu steuern und ihn kostenrechtlich davon abzuhalten, das Anwesenheitsrecht auszuüben. Diese Kompetenz stehe dem Gericht nach dem gesetzgeberischen Willen nicht zu, selbst wenn der Vorsitzende die Hauptverhandlung so gestalte, dass einzelne Teile (insbesondere Verhandlungstage oder Verhandlungsinhalte) keinen unmittelbaren Bezug zum Nebenkläger und zu dem ihn unmittelbar berührenden Tatvorwurf gegen den Angeklagten aufweisen sollten und Rechte dem Nebenkläger nach Sachlage des Einzelfalls nur im Hinblick auf das Nebenklagedelikt zustehen (LR-Hilger, StPO, 26. Aufl. 2009, § 397 Rn 2). Hierbei gehe es jedoch vornehmlich um Befugnisse des Nebenklägers in einer Hauptverhandlung wie etwa Beteiligungsrechte, nicht das Anwesenheitsrecht des Nebenklägers selbst. Die Hauptverhandlung unterliege außerdem einer Dynamik. Es lässt sich nicht sicher vorhersagen, dass die Erörterungen in der Hauptverhandlung an einem konkreten Verhandlungstag stets den anfangs erwarteten Verlauf nehmen und sich die Erwartung des Gerichts bei Abfassung einer Bewilligungsentscheidung erfüllt, dass den Nebenkläger betreffende Themen an bestimmten Verhandlungstagen nicht oder erst an einem späteren Verhandlungstag zur Sprache kommen. Ungeachtet dessen stehen einem Nebenkläger Erklärungsrechte im Hinblick auf eine mögliche Gesamtstrafenbildung, Maßregel der Besserung und Sicherung nach Nebenfolgen zu, sodass keinesfalls von vornherein eine Beschränkung der Teilnahme erfolgen darf. Schon deshalb könne die Beschränkung der Bewilligung keinen Bestand haben, da, wie ausgeführt, der Gesetzgeber sich gegen eine Beschränkung entschieden hat.

Nichts anderes folge – so das OLG – aus der Tatsache, dass die Bewilligung im angefochtenen Beschluss, so zeigt es der Nichtabhilfebeschluss, praktisch zwei Hauptverhandlungstage von der Bewilligung ausnimmt, an denen zwei Mitangeklagten und deren Verteidigern nach § 231c StPO eine Entfernung von der Hauptverhandlung gestattet wurde. Denn die Beurlaubung einzelner Mitangeklagter schränke das allein maßgebliche Anwesenheitsrecht eines Nebenklägers aus § 397 Abs. 1 StPO nicht ein. § 231c StPO stelle nämlich nur auf das „Betroffensein“ der Mitangeklagten ab. Eine Regelung zu anderen Verfahrensbeteiligten als zu Mitangeklagten enthalte die Norm nicht. Deshalb sei es auch nicht zulässig, aus der Beurlaubung von Mitangeklagten abzuleiten, dass Nebenkläger nicht anwesend sein müssen und ihnen im Falle einer Anwesenheit die Kostenlast auferlegt werden darf. § 231c StPO erlaube keine Rückschlüsse auf den Gebrauch des umfassend vorgesehenen Anwesenheitsrechts eines Nebenklägers, auch wenn der Zweck der Vorschrift, Verteidigern Zeit zu ersparen und einzelne Mitangeklagte zeitlich nicht über Gebühr zu belasten, sinngemäß auch für einen Nebenklägervertreter und einen Nebenkläger gilt. Im Unterschied zu einem Angeklagten existiert für den Nebenkläger jedoch keine Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung (§ 231 StPO).

III. Bedeutung für die Praxis

1. Die Entscheidung ist zutreffend und überzeugend begründet. Kostenrechtliche Erwägungen, etwa zum Umfang der Erstattungsfähigkeit von notwendigen Auslagen des Nebenklägers, sind für das Zustandekommen einer Bewilligungsentscheidung nach § 397a Abs. 2 StPO also ohne Bedeutung. Wäre es anders, hätte es der Gesetzgeber regeln müssen. Das ist nicht geschehen. Um einer ausufernden Kostentragungspflicht des Staates zu begegnen, stehen andere Instrumente zur Verfügung. Die Trennung von Verfahren nach den §§ 2 ff. StPO dürfte dabei allerdings nur selten kostenrechtlich (oder gar zeitlich) Vorteile bringen.

2. Die Entscheidung liegt im Übrigen auf der Linie vorliegender Rechtsprechung. Das OLG Düsseldorf hat nämlich vor einiger Zeit entschieden, dass dann, wenn ein Nebenklägervertreter in einem Verfahren, in dem mehrere selbstständige prozessuale Taten verhandelt werden, die nicht alle zum Anschluss als Nebenkläger berechtigen, an sämtlichen Hauptverhandlungstagen teilnimmt, die dadurch entstandenen Terminsgebühren auch hinsichtlich derjenigen Verhandlungstage geltend gemacht werden können, an denen das Nebenklagedelikt nicht Gegenstand der Hauptverhandlung war, wenn die Taten einen inneren Zusammenhang aufweisen, der es nicht ausgeschlossen erscheinen lässt, dass die Interessen des Nebenklägers auch in den ihn nicht unmittelbar betreffenden Verhandlungsabschnitten tangiert werden (OLG Düsseldorf RVGreport 2013, 232 = RVGprofessionell 2012, 117 = JurBüro 2012, 358 = StRR 2012, 397).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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