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Gerichtsbesetzung an verlegtem Hauptverhandlungstag

1. Wird die Mitteilung über die Besetzung nur formlos mitgeteilt, beginnt die einwöchige Besetzungsrügenfrist nach § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO nicht zu laufen.

2. Wird mit der Hauptverhandlung (hier: wegen der Corona-Krise) nicht an dem zunächst geplanten Terminstag begonnen, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt, ist das Gericht ggf. mit den Schöffen als „gesetzliche Richter“ besetzt, die für den Tag ausgelost gewesen sind, an dem die Verhandlung tatsächlich begonnen hat. (Leitsätze des Gerichts)

OLG Oldenburg, Beschl. v. 14.5.2020 – 1 Ws 190/20

I. Sachverhalt

Ein Umfangsverfahren vor der großen Strafkammer des LG Oldenburg hätte am 1.4.2020 beginnen sollen. Aufgrund einer Erkrankung des Vorsitzenden wurde der Beginn mit Verfügung vom 25.3.2020 aufgehoben und auf den 28.4.2020 – welcher bereits einer von vielen festgelegten Hauptverhandlungstagen war – bestimmt.

Am 8.4.2020 wurde der Verteidigung ausschließlich per Fax die Besetzung für den neuen Beginn der Hauptverhandlung am 28.4.2020 mitgeteilt, also eine Woche nach dem ursprünglich geplanten Start am 1.4.2020. Am 30.4.2020 rügte die Verteidigung die vorschriftswidrige Besetzung mit der Begründung, dass sich die Auslosung der Schöffenzuständigkeit nach der ursprünglichen Terminierung, also dem 1.4.2020, und nicht nach dem 28.4.2020 zu richten habe. Darüber hinaus sei die Auslosung der Hauptschöffen nicht durch die Präsidentin des LG Oldenburg, sondern durch eine Richterin des LG vorgenommen worden.

Das LG hat den Besetzungseinwand gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 4 GVG dem zuständigen OLG zur Entscheidung vorgelegt. Der Einwand hatte keinen Erfolg

II. Entscheidung

Trotz der möglicherweise versäumten Wochenfrist des § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO sei – so das OLG – der Besetzungseinwand zulässig, da die Besetzung des Gerichts per Fax am 8.4.2020 und somit nur formlos mitgeteilt wurde und daher die Frist erst mit Beginn der Hauptverhandlung am 28.4.2020 zu laufen begonnen habe.

Die Verteidigung hatte in ihrer Rüge nicht dargelegt, dass eine spätere – nach ihrer Meinung vorschriftsgemäße – Auslosung zu anderen Schöffen geführt hätte. Eine Rüge nach § 222b Abs. 1 Satz 2 StPO n.F. fordert jedoch – so das OLG – durch Angabe anhand des Geschäftsverteilungs- oder Schöffenplans belegbare „Tatsachen“, warum der betreffende Richter oder Schöffe nicht zur vorgeschriebenen Besetzung gehört. Allerdings wurde durch den Einwand, dass die Auslosung der Schöffen gegen § 77 Abs. 3 Halbsatz 1 GVG verstoße, da nicht die Präsidentin, sondern eine Richterin des LG diese vorgenommen hat, in ausreichender Form vorgetragen.

Der Einwand hat jedoch insoweit keinen Erfolg. Eine Vertreterbestimmung bei reiner Verwaltungstätigkeit, also bei der Auslosung von Schöffen, ist zulässig. Die Richterin am LG habe die Auslosung vornehmen dürfen, da die Präsidentin mit Verfügung im Oktober 2019 diese mit der Auslosung für das Geschäftsjahr 2020 beauftragt hatte. Die Vertretung sei zulässig, da die Auslosung eine „reine Verwaltungstätigkeit darstellt“ (vgl. BGHSt 25, 257).

Auch durch die Heranziehung der für den 28.4.2020 ausgelosten Schöffen ergebe sich keine vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts. Die Frage, ob die für einen ordentlichen Sitzungstag, hier etwa den 1.4.2020, ausgelosten Schöffen zu einer an einem anderen Sitzungstag beginnenden Hauptverhandlung heranzuziehen sind, stelle sich nur, wenn es sich hierbei um einen anderen als einen ordentlichen Sitzungstag handelt (vgl. BGHSt 41, 175). Vorliegend habe die Hauptverhandlung indessen am 28.4.2020 und damit an einem ordentlichen Sitzungstag begonnen, für den die Schöffinnen, die teilnahmen, im November der Strafkammer zugelost worden seien. Damit seien sie und nicht die mit ihnen nicht identischen, für den 1.4. 2020 ausgelosten Schöffen für die am 28.4.2020 begonnene Hauptverhandlung heranzuziehen.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Die Auslosung der Schöffen durch den Präsidenten des LG ist, so wie in § 77 GVG vorgesehen, rein abstrakter Natur, da mit Verfügung die „Verwaltungstätigkeit der Auslosung“ stets abgegeben werden kann. Interessant dürfte es nur dann werden, wenn diese Auslosungsabtretungsverfügung, etwa aufgrund interner wiederholender Praxis, unauffindbar ist.

2. Die Entscheidung ist auch hinsichtlich der Besetzung zutreffend. Bei dem Hauptverhandlungstag, an dem die Hauptverhandlung begonnen hat, handelte es sich um einen ordentlichen Hauptverhandlungstag der Kammer. Dann sind aber die für diesen Tag bestimmten Schöffen heranzuziehen (zu den Besetzungsfragen Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl. 2019, Rn 1084 und Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 9. Aufl. 2019, Rn 1011; zur Neuregelung Burhoff, StRR 8/2020, 5.

RA/FAStR Harald Stehr, Göppingen

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