Beitrag

Gebührenbemessung in einem Pandemiefall

Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist unterdurchschnittlich, wenn im Ordnungswidrigkeitenverfahren inhaltlich lediglich zu klären war, ob der gemeinsame Aufenthalt von drei Personen in einem privaten Pkw einen Aufenthalt im öffentlichen Raum darstellt. (Leitsatz des Verfassers)

LG Braunschweig, Beschl. v. 8.6.2021 – 2 b Qs 160/21

I. Sachverhalt

Gegen den Betroffenen wurde durch die Stadt Salzgitter am 11.6.2020 ein Bußgeldbescheid wegen eines behaupteten Verstoßes des Betroffenen am 3.5.2020 um 18:40 Uhr gegen §§ 73 Abs. la Nr. 24 IfSG i.V.m. §§ 2, 12 Abs. 1 der Niedersächsischen Corona-VO erlassen, weil der Betroffene sich mit zwei weiteren Personen in einem Pkw befunden und dabei nicht den erforderlichen Mindestabstand eingehalten habe. Mit dem Bescheid wurde eine Geldbuße in Höhe von 200,00 EUR festgesetzt. Als Beweismittel ist im Bußgeldbescheid eine Zeugin von der Polizei benannt.

Mit Schreiben vom 29.6.2020 zeigte der Verteidiger des Betroffenen dessen Vertretung an, legte gegen den Bußgeldbescheid Einspruch ein und beantragte Akteneinsicht. Nach Gewährung der Akteneinsicht begründete der Verteidiger den Einspruch damit, dass sich aus den Akten nichts ergäbe, was verwertbar wäre. Daraufhin machte die Zeugin ergänzende Angaben. Anschließend wurde das Verfahren an das AG abgegeben. Nach Durchführung der Hauptverhandlung, die zehn Minuten gedauert hat, hat das AG den Betroffenen freigesprochen, eine Beweisaufnahme ist nicht erfolgt. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen wurden der Staatskasse auferlegt.

Der Verteidiger des Betroffenen hat am 29.1.2021 beantragt, die notwendigen Auslagen des Betroffenen für den Verteidiger als Abtretungsempfänger gegen die Staatskasse festzusetzen, und hat dabei die Gebühren über den Mittelgebühren angesetzt. Zur Begründung seines Antrages führte der Verteidiger aus, dass der Ansatz von Gebühren leicht über den Mittelwerten angemessen sei, da es sich um völlig neue Rechtsnormen handele, sodass eine intensive Einarbeitung erforderlich gewesen sei, zumal zum Zeitpunkt der Verhandlung erst eine einzige entsprechende Entscheidung veröffentlicht gewesen sei und die Verteidigung nicht davon habe ausgehen können, dass sich das AG dieser Rechtsmeinung anschließen würde. Kommentarliteratur habe überhaupt noch keine vorgelegen.

Im angefochtenen Beschluss setzte das AG die dem Betroffenen zu erstattenden notwendigen Auslagen nur gekürzt, und zwar unter der Mittelgebühr, fest.

Gegen diesen Kostenfestsetzungsbeschluss wendet sich der Verteidiger mit seiner sofortigen Beschwerde, mit der er u.a. die festgesetzten Gebühren als zu niedrig beanstandet. Das LG hat das Rechtsmittel als unbegründet zurückgewiesen.

II. Entscheidung

Die vom Verteidiger angesetzten Gebühren waren nach Auffassung des LG unbillig gemäß § 14 Abs. 1 S. 4 RVG. Unter Berücksichtigung des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit liege jedenfalls insgesamt eine unterdurchschnittliche Angelegenheit vor. Es handele sich nämlich um ein einfach gelagertes Ordnungswidrigkeitenverfahren, das keiner besonderen Vorbereitung bedurfte. Inhaltlich sei lediglich zu klären gewesen, ob der gemeinsame Aufenthalt von drei Personen in einem privaten Pkw einen Aufenthalt im öffentlichen Raum darstellt, wobei es sich um eine reine Rechtsfrage handelte, über die es zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits Ausführungen in zwei Beschlüssen des AG Stuttgart und des AG Reutlingen gegeben habe. Es habe sich daher auch nicht um eine, wie der Verteidiger meine, nicht ausgetragene Rechtsfrage gehandelt. Darüber hinaus ergebe sich aus der Akte kein Hinweis darauf, dass an dem Verfahren ein besonderes öffentliches Interesse bestanden habe. Die Dauer der Hauptverhandlung habe lediglich zehn Minuten betragen, wobei Zeugen nicht vernommen worden sind und der Betroffene von dem persönlichen Erscheinen entbunden worden ist. Der Schriftverkehr mit dem Verteidiger beschränkte sich auf den Einspruchsschriftsatz vom 29.6.2020 und eine Einspruchsbegründung vom 2.7.2020, deren Inhalt äußerst überschaubar war. Der Aktenumfang sei mit 34 Blatt bis zum Beginn der Hauptverhandlung gering, wobei sich ein nicht unerheblicher Teil des Umfanges aus den Folgen der teilweisen mehrfachen Heftung von ergänzenden Sachverhaltsmitteilungen/Stellungnahmen ergeben habe.

Die Bedeutung der Angelegenheit für den Betroffenen sei angesichts der verhängten Geldbuße in Höhe von 200,00 EUR noch als unterdurchschnittlich zu bewerten. Es drohten weder berufliche noch andere einschneidende Konsequenzen. Die genauen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Betroffenen seien unbekannt. Sie bleiben daher als Gebührenbemessungskriterien außer Betracht. Für die Angemessenheit einer Gebühr ist der Rechtsanwalt darlegungs- und beweispflichtig.

III. Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung ist m.E. unzutreffend. Die Ausführungen des LG kranken schon daran, dass das LG den falschen Maßstab zugrunde legt. Auszugehen ist nämlich auch im Bußgeldverfahren von der Mittelgebühr (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A). Auf der Grundlage sind dann die Umstände des Einzelfalls heranzuziehen. Dabei hat dann m.E. die Schwierigkeit des Verfahrens so erhebliches Gewicht, dass das – selbst wenn die anderen Umstände unterdurchschnittlich wären, was sie nicht sind – die geringfügige Überschreitung der Mittelgebühr gerechtfertigt hätte. Denn zum Zeitpunkt der Beauftragung des Verteidigers haben, was das LG geflissentlich übersieht, die beiden erwähnten Entscheidungen des AG Stuttgart und des AG Reutlingen noch nicht vorgelegen, auch gab es noch keine OLG-Rechtsprechung zu der Problematik, so dass die anstehenden Rechtsfragen eben doch „nicht ausgetragen“ waren und eine umfassende Auseinandersetzung auch mit der verfassungsrechtlichen Problematik erforderten. Das mag heute nach einem Jahr „Pandemie-Rechtsprechung“ anders sein. Im Frühjahr 2020 waren die Fragen Neuland. Fazit: Gewogen und für zu leicht befunden.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…