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Entpflichtung des Pflichtverteidigers: Terminkollision?

Die Verhinderung des Pflichtverteidigers an fast allen bei dem hinzugezogenen forensisch-psychiatrischen Sachverständigen für die Durchführung der Hauptverhandlung zur Verfügung stehenden Terminen kann in einer Haftsache auch gegen den Willen des Angeklagten die Entpflichtung des Rechtsanwalts gemäß § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO rechtfertigen, wenn die Terminkollision nicht aufgelöst werden kann und eine Verlegung der Hauptverhandlung zu einer erheblichen Verfahrensverzögerung führen würde. (Leitsatz des Gerichts)

OLG Zweibrücken, Beschl. v. 31.5.2021 – 1 Ws 132/21

I. Sachverhalt

Gegen den sich seit Januar 2021 in Untersuchungshaft befindenden Angeschuldigten wird ein Verfahren vor dem LG geführt, in dem die Anordnung der Sicherungsverwahrung in Betracht kommen könnte. Noch vor Erhebung der Anklage beauftragte die StA einen forensisch-psychiatrischen Sachverständigen mit der Erstattung eines Gutachtens zur Frage des Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 20, 21, 63, 64 und 66 StGB.

Unmittelbar nach Eingang der Verfahrensakten im April 2021 versuchte die Vorsitzende der zuständigen Strafkammer, mit der Pflichtverteidigerin und dem Sachverständigen Termine abzustimmen. Dabei stellte sich heraus, dass die Verteidigerin aufgrund anderweitiger Verpflichtungen im Juni und Juli nur drei Verhandlungstermine, an denen auch der zeitlich stark beanspruchte Sachverständige zur Verfügung stand, hätte wahrnehmen können.

Die Vorsitzende teilte deshalb den Verfahrensbeteiligten mit, dass die Entpflichtung der Verteidigerin in Betracht komme. Der Angeklagte erhielt Gelegenheit, einen anderen Verteidiger zu benennen, zugleich wurde ihm ein Rechtsanwalt, der ihn in anderen Verfahren bereits vertreten hatte bzw. aktuell vertritt, als neuer Pflichtverteidiger vorgeschlagen. Der Angeklagte trat der Entpflichtung seiner Verteidigerin entgegen und erklärte, er lehne in vorliegender Sache den vorgeschlagenen Rechtsanwalt als neuen Verteidiger ab. Dennoch hob die Vorsitzende die Bestellung der Pflichtverteidigerin auf und ordnete dem Angeschuldigten den von ihr zuvor vorgeschlagenen Rechtsanwalt als neuen Pflichtverteidiger bei.

Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde des Angeklagten hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

1. Nach Auffassung des Senats ist das Vorgehen der Vorsitzenden nicht zu beanstanden. Der Angeschuldigte könne nicht fordern, dass ein Pflichtverteidiger seines Vertrauens stets im Verfahren belassen wird. Vielmehr komme eine Entpflichtung in Betracht, wenn dem Verteidiger die Teilnahme an einem beträchtlichen Teil der Hauptverhandlung nicht möglich ist.

Dem Vorbringen des Angeklagten, wonach die Termine des Sachverständigen nicht vor jene seiner Verteidigerin hätten gestellt werden dürfen, erteilt das OLG eine Absage. Zum einen sei die angespannte Terminsituation des Sachverständigen zum Zeitpunkt der Beauftragung durch die StA im Ermittlungsverfahren noch nicht absehbar gewesen, zum anderen sei die Zahl der forensisch tätigen psychiatrischen Sachverständigen, die für die Erstellung eines Gutachtens zum Vorliegen der Voraussetzungen der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung fachlich geeignet sind, nicht allzu groß. Angesichts der im Raum stehenden Rechtsfolgen komme der Auswahl eines fachlich qualifizierten Sachverständigen jedoch große Bedeutung zu. Dessen Auswechslung komme daher nicht in Betracht, zumal bei einer erneuten Begutachtung während laufender Hauptverhandlung durch einen anderen Gutachter Qualitätseinbußen nicht auszuschließen seien.

Außerdem sei die Auswechslung der Pflichtverteidigerin auch im Hinblick auf das Beschleunigungsgebot geboten gewesen. Ein Hinauszögern des Beginns der Hauptverhandlung bis kurz vor dem Sechsmonatstermin oder eine von vornherein absehbare Verlängerung der Hauptverhandlung durch Sprungtermine komme nicht in Betracht. Überdies besorgt der Senat, dass die Pflichtverteidigerin die Bedeutung der Sache verkennt, da sie dem Gericht keine weiteren freien Termine benannt habe.

2. Die vom Angeschuldigten zuvor ausdrücklich erklärte Ablehnung des neuen Pflichtverteidigers stehe dessen Bestellung nicht entgegen. Gleiches gelte für den Umstand, dass der neue Verteidiger weder Fachanwalt für Strafrecht ist noch gegenüber der RAK sein Interesse an der Übernahme von Pflichtverteidigung angezeigt hat (s. § 142 Abs. 6 StPO). Seine gleichwohl gegebene Geeignetheit für die Übernahme der Pflichtverteidigung ergebe sich daraus, dass der neue Verteidiger den Angeschuldigten sowohl in einem früheren als auch in einem noch laufenden weiteren Strafverfahren verteidigt (hatte). Hieraus habe die Vorsitzende auf eine hinreichende Eignung zur Führung der Verteidigung schließen dürfen.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Die Entscheidung beinhaltet nichts Neues, soweit sie hervorhebt, dass das Beschleunigungsgebot in Haftsachen der Beiordnung des vom Beschuldigten genannten „Wunschpflichtverteidigers“ entgegenstehen bzw. dessen Entpflichtung gebieten kann. Lassen sich Terminkollisionen nicht anderweitig beheben, kann dem Beschleunigungsgebot gegenüber dem Interesse des Angeklagten, vom Anwalt seines Vertrauens vertreten zu werden, der Vorrang einzuräumen sein. Der Beschluss ist jedoch gleichwohl bedenklich, da der Senat die erforderliche Abwägung zwischen den Interessen des Angeschuldigten und den Erfordernissen des Beschleunigungsgebots zwar erwähnt, letztlich aber nicht mit der gebotenen Gründlichkeit vornimmt. Stattdessen wird relativ pauschal auf die Verfügbarkeit des Sachverständigen abgestellt und diese für wichtiger erklärt als jene der Verteidigerin.

Insbesondere lässt das OLG unerörtert, ob die Vorsitzende der Strafkammer nicht gehalten gewesen wäre, einen Austausch des Sachverständigen anstelle eines Verteidigerwechsels zumindest näher zu prüfen. Hierfür spricht schon, dass bis zum angedachten Beginn der Hauptverhandlung noch etliche Wochen zur Verfügung standen, was dann auch die vom Senat geäußerte Befürchtung, eine Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen könne zu Qualitätseinbußen führen, nicht recht einleuchtend erscheinen lässt. Dass die Terminsprobleme im Zeitpunkt der Beauftragung des Sachverständigen durch die StA im Ermittlungsverfahren noch nicht absehbar waren, genügt als Grund, dem Angeschuldigten seine Wunschverteidigerin zu entziehen, nicht.

Darüber hinaus ist auch nicht nachvollziehbar, weshalb gerade dieser Sachverständige unverzichtbar gewesen sein soll. Forensisch-psychiatrische Gutachter, die über die erforderliche Fachkompetenz auch hinsichtlich der Voraussetzungen des § 66 StGB verfügen, stehen in der Praxis zwar in der Tat nicht im Übermaß zur Verfügung, das Fachgebiet ist jedoch nicht derart speziell, dass es sich von vornherein aufdrängen würde, dass nur dieser eine Sachverständige hätte hinzugezogen werden können. Auch hätte eine überregionale Suche nach einem geeigneten und verfügbaren Gutachter erfolgen können. Mit diesen Fragen setzt sich der Senat nahezu nicht auseinander, sondern leistet sich stattdessen eine unnötige Frechheit gegenüber der Pflichtverteidigerin, indem er dieser aufgrund ihrer terminlichen Auslastung unterstellt, sie verkenne die Bedeutung des Verfahrens. Hierfür gibt es nun gar keine Anhaltspunkte.

2. Folgen kann man dem OLG dagegen hinsichtlich der fachlichen Eignung des neuen Pflichtverteidigers. Die Annahme, dass ein Rechtsanwalt, der den Mandanten bereits in der Vergangenheit – und auch aktuell – in anderen Verfahren vertritt bzw. vertreten hat, für die Führung der Verteidigung geeignet ist, erscheint nachvollziehbar.

RiLG Thomas Hillenbrand, Stuttgart

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