1. Die Durchführung einer ED-Behandlung mit Anfertigung von (Nackt-)Lichtbildern stellt einen erheblichen Grundrechtseingriff dar.
2. Daher ist die Beschwerde auch nach Vollzug der Anordnung zulässiges Rechtsmittel, da ein Feststellungsinteresse des Beschwerdeführers besteht. (Leitsätze des Verfassers)
LG Wuppertal, Beschl. v. 12.1.2021 – 24 Qs 10/20
I. Sachverhalt
Dem inhaftierten Beschwerdeführer wird u.a. vorgeworfen, seine minderjährige Tochter mehrfach sexuell missbraucht zu haben. Die Tochter hat dazu im Ermittlungsverfahren u.a. bekundet, dass der Beschwerdeführer Videos von ihr gefertigt oder sie zur Fertigung solcher Videos von ihm angehalten habe. Die Staatsanwaltschaft hat aus diesem Grund bei dem Ermittlungsrichter um Ausantwortung des inhaftierten Beschuldigten zur Durchführung einer ED-Behandlung ersucht, was durch Beschluss angeordnet wurde. Ferner erwirkte die Staatsanwaltschaft einen Durchsuchungsbeschluss, um Datenträger, PC usw. aufzufinden, auf denen sich „etwaige“ Tatvideos befinden sollen, der noch vor Vollzug der Anordnung über die ED-Behandlung vollstreckt wurde. Die Auswertung eines einzigen, anlässlich der Durchsuchung sichergestellten Tower-PCs verlief – noch vor Vollzug der Anordnung der ED-Behandlung – negativ. Gegen die zumindest konkludente Anordnung der ED-Behandlung wurde Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Das LG hat nach Vollzug der Maßnahme deren Rechtswidrigkeit festgestellt.
II. Entscheidung
Nach Auffassung des LG war die Anordnung der Maßnahme rechtswidrig, da die Maßnahme nicht „notwendig“ i.S.d. § 81b StPO gewesen sei. Die Notwendigkeit i.S.d. § 81b StPO und ihre Grenzen ergäben sich im Strafverfahren aus der Sachaufklärungspflicht (Meyer-Goßner/Schmitt, 63. Aufl. 2020, § 81b StPO Rn 12; LR/Krause, StPO, 27. Aufl. 2017, § 81b Rn 11 m.w.N.), die im Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft trifft (§ 160 StPO). Maßgeblich sei hiernach, ob die aus der angeordneten erkennungsdienstlichen Maßnahme gewonnenen Erkenntnisse den zu führenden Ermittlungen förderlich sind. Zugleich verweise der Begriff der Notwendigkeit auf den ohnehin bereits aus allgemeinen rechtsstaatlichen Gründen zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der verlange, dass die angeordnete Maßnahme zur Erreichung des angestrebten Zweckes – hier der Förderung des Ermittlungsverfahrens nach o.g. Maßstab – geeignet, erforderlich und angemessen sei.
Das LG setzt sich sodann ausführlich anhand der Aktenlage mit Kriterien zur Notwendigkeit und dem eigentlichen Maßstab „geeignet, erforderlich und angemessen“ auseinander und stellt dazu fest, die Anordnung sei schon nicht geeignet gewesen, das Ermittlungsverfahren zu fördern, denn weder im Zeitpunkt ihrer Anordnung und Durchführung noch ihrer richterlichen Bestätigung sei die Existenz vermeintlicher inkriminierender Videos, auf denen der Angeschuldigte zu sehen sein könnte und daher identifiziert werden müsste, geklärt gewesen. Ohne das Vorliegen solcher Videos hätte ein möglicher Nutzen erkennungsdienstlichen Materials wie von Lichtbildern zu ldentifizierungszwecken im Unklaren gelegen. Vielmehr habe sich nach und nach abgezeichnet, dass man Videos nicht würde zutage fördern können. So seien bei einer Wohnungsdurchsuchung vor der Maßnahme weder ein gesuchtes Tablet noch andere Datenträger gefunden worden.
Die Untersuchung eines Tower-PC-Systems sei ohne positiven Befund beendet worden; nicht einmal die von der Zeugin erwähnte Webcamnutzung habe für den untersuchten PC belegt werden können. Weitere Ermittlungsansätze hätten sich ausweislich eines polizeilichen Vermerks hieraus nicht ergeben.
Jedenfalls sei die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung des Angeschuldigten aufgrund vorstehender Erwägungen unangemessen gewesen. Obgleich es sich bei erkennungsdienstlichen Maßnahmen oftmals um eher niederschwellige Eingriffe handele, sei vorliegend zu berücksichtigen, dass es im konkreten Fall – wie erst nachträglich aktenkundig gemacht wurde – um die Fertigung von Lichtbildern im unbekleideten Zustand ging, was dem Eingriff zumindest einige Erheblichkeit verleihe. Dies stünde im konkreten Fall außer Verhältnis zum Gewicht des öffentlichen Strafverfolgungsinteresses, da nicht klar war, ob es überhaupt Material zum Abgleich geben und sich die Maßnahme letztlich als überflüssig erweisen würde. Dem Grundrechtseingriff stünde dann kein Gewinn der staatlichen Strafverfolgung gegenüber.
Auch gegen die Erforderlichkeit äußerte die Kammer erhebliche Bedenken. Denn im konkreten Fall wäre außer dem Opfer einer damit einhergehenden, möglichen Retraumatisierung auch eine Befragung der weiteren Zeugen innerhalb der Familie in Betracht gekommen, die aufgrund ihrer familiären Beziehung zum Angeschuldigten ebenfalls hierzu in der Lage gewesen sein dürften und sich auch bislang zur Aussage bereitgefunden hätten.
Auf präventivpolizeiliche erkennungsdienstliche Zwecke außerhalb des Ermittlungsverfahrens (§ 81b Var. 2 StPO) sei die Anordnung in dem zur Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit maßgeblichen Zeitraum, d.h. spätestens bis zu ihrem Vollzug, nicht gestützt worden, so das LG. Auch sei nicht ansatzweise ersichtlich, dass diese Erwägung bereits vor der Durchführung einmal im Raum gestanden hätte, sodass sie nicht Grundlage der Anordnung gewesen sein könne. Die Staatsanwaltschaft habe sich die Erwägung des LKA erst nachträglich mit zu eigen gemacht. Überdies habe der anlässlich des vorliegenden Ermittlungsverfahrens festgestellte Sachverhalt keinen Anlass für die Annahme geboten, dass der Angeschuldigte in den Kreis Verdächtiger einer noch aufzuklärenden anderen strafbaren Handlung mit einbezogen werden könnte.
III. Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung ist bemerkenswert, vielleicht auch rein pragmatisch ergangen und dem Umstand geschuldet, dass der Beschwerdekammer das „Chaos im Ermittlungsverfahren“ rund um die Anordnungen schlicht zu viel war. Aber:
Soweit ersichtlich wurde ein Feststellungsinteresse und damit die Zulässigkeit einer Beschwerde im Ermittlungsverfahren nach Vollzug der Anordnung noch nicht für eine (Nackt-)ED-Behandlung bejaht.
Bei Durchsicht der einschlägigen Kommentierung fällt auf, dass eine Beschwerde gegen eine durch Vollzug oder auf andere Weise erledigte Anordnung grundsätzlich unzulässig sei (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, vor § 296 Rn 18 m.w.N.). Das ist einleuchtend, denn die „Beschwer“ ist dann weggefallen und kann durch ein Rechtsmittel grundsätzlich nicht mehr korrigiert werden.
Ausnahmen bestehen dann, wenn Wiederholungsgefahr besteht oder das Interesse des Beschwerdeführers an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme auch nach deren Erledigung fortbesteht, zum Beispiel bei Beschlüssen, mit denen ein Ordnungsgeld verhängt wird (s.o.). Das gilt aber nicht für den Beschuldigten (vgl. BeckOK-StPO/Cirener, 38. Ed. 1.10.2020, StPO § 296 Rn 13 m.w.N.).
Dem BVerfG folgend gilt darüber hinaus eine weitere Ausnahme von den oben angeführten Grundsätzen – und zwar in Fällen tiefgreifender, tatsächlich nicht mehr fortwirkender Grundrechtseingriffe, wenn sich die Belastung durch die Maßnahme nach ihrem typischen Ablauf in einem so kurzen Zeitraum erledigt, in dem diese in der Regel nicht gerichtlich durch eine Beschwerde vor ihrer Erledigung überprüft werden kann. Dabei muss es sich um erhebliche Grundrechtseingriffe handeln, dies wird bisher – soweit ersichtlich – unter anderem nur für Wohnungsdurchsuchung, erledigte Vorführungen, Festnahmen und Verhaftungen oder bei Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit angenommen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.; Rn 18a; BeckOK-StPO, a.a.O., Rn 14).
Insofern ist es bemerkenswert, dass das LG Wuppertal hier die Gelegenheit nutzt und zumindest die (Nackt-)ED-Behandlung auf die Stufe eines solchen erheblichen Grundrechtseingriffs hebt, dass dem Beschwerdeführer trotz prozessualer Überholung mithilfe der Beschwerde ein Feststellungsinteresse an der Rechtswidrigkeit des Eingriffs zugestanden wird.
RA/FAStR Patrick Lauterbach, Solingen