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Durchsuchung zur Aufklärung persönlicher Verhältnisse für die Festsetzung der Tagessatzhöhe

An die Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung einer Wohnung zur Feststellung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten im Rahmen der Festsetzung der Tagessatzhöhe sind strenge Anforderungen zu stellen. Eine solche Durchsuchung ist allenfalls in Ausnahmefällen zulässig. (Leitsatz des Verfassers)

LG Bonn, Beschl. v. 28.10.2020 – 50 Qs 36/20

I. Sachverhalt

Das AG hat gegen den Angeklagten einen Strafbefehl erlassen, in dem drei Einzelgeldstrafen festgesetzt worden sind. Das AG hat einen Tagessatz in Höhe von jeweils 30 EUR festgesetzt. Der Strafbefehl enthält keine Ausführungen zur Tagessatzhöhe. Der Angeklagte hat Einspruch eingelegt. Das AG hat Hauptverhandlungstermin anberaumt, zu dem die frühere Lebensgefährtin des A als Zeugin geladen worden ist.

In einem zwischenzeitlich bei einem anderen AG durchgeführten Hauptverhandlungstermin eines anderen Strafverfahrens hat der Angeklagte sich zwar geständig eingelassen, aber keine Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen und Einkünften gemacht. Dieses AG hat die Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten zum Zweck der Aufklärung der persönlichen Verhältnisse zur Ermittlung der etwaigen Tagessatzhöhe angeordnet. Nachdem bekannt geworden war, dass der Angeklagte umgezogen war, hat das AG im vorliegenden Verfahren ebenfalls einen Durchsuchungsbeschluss für die neue Wohnanschrift erlassen. Bei dessen Vollstreckung ca. sechs Wochen vor dem anberaumten Hauptverhandlungstermin wurden u.a. ein Fotoalbum, diverse Kontoauszüge, ein Handy und ein Laptop sichergestellt und bezüglich der Berufs-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse ausgewertet. Daraus ergaben sich Lohneinkünfte des Angeklagten von monatlich gut 1.650 EUR. Der Angeklagte hat gegen den Durchsuchungsbeschluss Beschwerde eingelegt. Diese hatte beim LG Erfolg.

II. Entscheidung

Das LG hat den Durchsuchungsbeschluss (nachträglich) wegen eines Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aufgehoben. Bei Wohnungsdurchsuchungen müsse aufgrund des damit verbundenen schweren Eingriffs in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in besonderem Maße berücksichtig werden. Hier lasse sich den Gründen der Anordnung entnehmen, dass das AG aufgrund des Schweigens des Angeklagten zu seinen persönlichen Verhältnissen im Parallelverfahren ein entsprechendes Verhalten auch in der Hauptverhandlung dieses Verfahrens vermutet und daher die Durchsuchung zur Ermittlung des „Lebenszuschnitts“ des Angeklagten angeordnet habe, um eine Schätzung der Einkünfte zur Festsetzung der Tagessatzhöhe im Fall einer Verurteilung zu vermeiden.

An eine Durchsuchung, die ausschließlich der Feststellung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Angeklagten im Rahmen der Festsetzung der Tagessatzhöhe diene, seien aber besonders strenge Anforderungen zu stellen, da § 40 Abs. 3 StGB ausdrücklich die Möglichkeit einer Schätzung der Einkünfte vorsehe (OLG Dresden StraFo 2007, 329 f.; OLG Jena, Beschl. v. 12.2.2009 – 1 Ss 160/08; OLG Brandenburg, Beschl. v. 23.11.2009 – 1 Ss 104/09). Eine solche Durchsuchung sei daher allenfalls in eng begrenzten Ausnahmefällen denkbar, wenn anhand der zur Verfügung stehenden Beweismittel eine Schätzung der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht möglich sei. Das sei hier aber nicht der Fall gewesen. Es habe bis zum Hauptverhandlungstermin noch ausreichend Zeit für die Einholung einer behördlichen Auskunft der BaFin oder der Deutschen Rentenversicherung als naheliegender Aufklärungsansatz bezüglich der Erwerbstätigkeit des A zur Verfügung gestanden. Auch habe die als Zeugin geladene Lebensgefährtin zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten vernommen werden können. Ferner seien als Schätzungsgrundlage zum Durchschnittseinkommen von Arbeitnehmern die allgemein zugänglichen Veröffentlichungen der Statistischen Bundes- und Landesämter verfügbar gewesen.

Darüber hinaus habe – so das LG – vor dem ersten Hauptverhandlungstermin nicht unbedingt davon ausgegangen werden können, dass der Angeklagte auch in diesem Verfahren keine Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen machen werde. Zwar sei es Aufgabe des erkennenden Gerichts, sich von Werdegang und Lebensverhältnissen eines Angeklagten Kenntnis zu verschaffen, da dies für eine an anerkannten Strafzwecken ausgerichtete Strafzumessung wesentlich sei. Verweigere der Angeklagte in der Hauptverhandlung Angaben dazu, sei das Gericht zwar verpflichtet, sich um die Aufklärung zu bemühen. Zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes seien aber zunächst die weniger grundrechtsrelevanten Ermittlungsansätze der Zeugenvernehmung und Behördenauskünfte zu verfolgen (gewesen).

III. Bedeutung für die Praxis

1. Die Entscheidung ist zutreffend. Zu Recht weist das LG darauf hin, dass das AG vor der Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung zur Ermittlung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten zunächst einmal hätte prüfen müssen, ob und inwieweit eine Schätzung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse möglich ist, um auf der Grundlage dann ggf. die Tagessatzhöhe bestimmen zu können. Der Weg ist vorrangig, bevor man diese Frage mit der Brechstange der Durchsuchung klärt bzw. zu klären versucht. Das gilt hier umso mehr, weil im Strafbefehl ja eine Tagessatzhöhe angenommen worden war und das AG in dem bei ihm anhängigen Verfahren ja noch gar nicht wusste, ob der Angeklagte auch in diesem Verfahren Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen verweigern würde. Solange das nicht geklärt war, beruhte die Durchsuchung letztlich nur auf einem vermuteten Anlass. Das kann und darf aber nicht Grundlage für den Eingriff in das Wohnungsgrundrecht (Art. 13 Abs. 2 GG) sein. Als Ausweg, den das Tatgericht ggf. hätte beschreiten können, zeigt das LG genügend Möglichkeiten auf, wie man die Vermögensverhältnisse des Angeklagten ggf. hätte klären können.

2. Ich bin kein Freund von vorschnellen Ablehnungsanträgen (§§ 24 ff. StPO). Wird allerdings vorschnell eine Durchsuchung angeordnet, wovon ja nicht nur das Wohnungsgrundrecht des Angeklagten betroffen ist, sondern letztlich auch das Schweigerecht, wird man dem Gedanken an einen solchen Antrag schon nähertreten können. Denn Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Gerichts sind in einem solchen Fall sicherlich berechtigt.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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