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Corona: Maskenpflicht bei Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs

1. Das Infektionsschutzgesetz enthält mit den in §§ 28, 32, 73 Abs. 1a Nr. 24 getroffenen Regelungen eine ausreichende Ermächtigung für die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 Corona-VO BW angeordnete Beschränkung (Pflicht zum Tragen einer nicht-medizinischen Alltagsmaske oder vergleichbaren Mund-Nasen-Bedeckung bei Nutzung des öffentlichen und des touristischen Personenverkehrs) und deren Bußgeldbewehrung in § 19 Nr. 2 Corona-VO.

2. Das bußgeldbewehrte Gebot des Tragens einer (nicht-medizinischen) Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Personenverkehr nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 19 Nr. 2 der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (Corona-Verordnung) vom 23.6.2020 (GBl, S. 483) in der am 30.9.2020 geltenden Fassung vom 22.9.2020 (GBl S. 721) ist verfassungsgemäß.

3. Soweit § 3 Abs. 1 Nr. 1 Corona-VO vom 23.6.2020 bei Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs das Tragen einer nicht-medizinischen Alltagsmaske oder einer vergleichbaren Mund-Nasen-Bedeckung vorschreibt, wird für jeglichen Aufenthalt in den namentlich aufgeführten Fahrzeugen des öffentlichen Personenverkehrs das durchgängige Tragen eine Mund-Nasen-Bedeckung angeordnet. Der Verordnungsgeber hat in § 3 Abs. 2 CoronaVO einzelne Ausnahmen von der durchgängigen Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in den in § 3 Abs. 1 genannten Orten (insbesondere im öffentlichen Personenverkehr) geregelt, dabei jedoch keine Ausnahme „bei Einhaltung eines Mindestabstands von über 1,5 Metern“ normiert. Eine solche Ausnahme gebot das Verfassungsrecht zum verfahrensgegenständlichen Zeitpunkt auch nicht. (Leitsätze des Gerichts)

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 11.6.2021 – 2 Rb 35 Ss 94/21

I. Sachverhalt

Da AG hat die Betroffene wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen die Corona-Verordnung (Nichttragen einer medizinischen Alltagsmaske oder einer vergleichbaren Mund-Nasen-Bedeckung) verurteilt. Die Betroffene fuhr mit der S-Bahn. Durch eine Polizeistreife wurde im Zug festgestellt, dass die Betroffene ihre nicht-medizinische Alltagsmaske unter dem Kinn trug und sich mit einer Pinzette Barthaare am Kinn herauszupfte. Ihre zugelassene Rechtsbeschwerde wurde bei Reduzierung der Geldbuße und Änderung auf vorsätzliche Begehung als unbegründet verworfen.

II. Entscheidung

Das IfSG enthalte mit den in §§ 28, 32, 73 Abs. 1a Nr. 24 getroffenen Regelungen eine ausreichende Ermächtigung für die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 Corona-VO angeordnete Beschränkung (Pflicht zum Tragen einer nicht-medizinischen Alltagsmaske oder vergleichbaren Mund-Nasen-Bedeckung bei Nutzung des öffentlichen und des touristischen Personenverkehrs) und deren Bußgeldbewehrung in § 19 Nr. 2 Corona-VO. Die Normen des IfSG, mit denen die Regelungskompetenz auf die Landesregierungen delegiert wird, genügten im Hinblick auf die hier in Frage stehende Regelung in der Corona-VO sowohl hinsichtlich der Vorgaben für die Ausgestaltung der Maßnahmen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten als auch für die Bußgeldbewehrung (zum Aufenthaltsverbot im öffentlichen Raum OLG Karlsruhe, Beschl. v. 25.3.2021 – 2 Rb 34 Ss 2/21, juris; OLG Stuttgart, Beschl. v. 21.4.2021 – 2 Rb 34 Ss 2/21, juris). Die Ermächtigungsgrundlage genüge unter Berücksichtigung der Wesentlichkeitsdoktrin dem Vorbehalt des Gesetzes in seiner Ausprägung als Parlamentsvorbehalt. Wenn – wie im Fall des Coronavirus unstreitig – eine übertragbare Krankheit i.S.d. § 2 Nr. 3 IfSG festgestellt ist, könnten nach § 32 S. 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 IfSG die notwendigen Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Krankheit durch eine Verordnung der Landesregierung getroffen werden. § 28 Abs. 1 lfSG (i.d. vom 28.3.2020 bis zum 18.11.2020 gültigen Fassung) ermächtige nach seinem Wortlaut, seinem Sinn und Zweck sowie dem Willen des Gesetzgebers auch zu Maßnahmen gegenüber Nichtstörern, also gesunden Menschen, beispielsweise um sie vor Ansteckung zu schützen. Im Falle neuartiger Krankheitserreger und Erkrankungen könne denknotwendig die Frage der Gefährdung der Bevölkerung nicht aufgrund einer sicheren und umfassend abgeklärten Tatsachenbasis bewertet und beantwortet werden. Nach dem Maßstab der Vertretbarkeit müsse die vom Verordnungsgeber angestellte Prognose sachgerecht und vertretbar sein, was voraussetze, dass die Prognose aus einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung des erreichbaren Materials herrührt. Der Verordnungsgeber habe sich – ebenso wie die Bundesregierung – weitestgehend auf die Risikobewertungen und Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) gestützt. Diesem komme nach § 4 lfSG bei der Einschätzung des Infektionsgeschehens hinsichtlich übertragbarer Krankheiten bereits gesetzlich eine zentrale Stellung zu.

Der § 3 Abs. 1 S. 1 Corona-VO vom 23.6.2020 in der zur Tatzeit geltenden Fassung zukommende Regelungsgehalt sei dabei durch Auslegung zu ermitteln. Mit dem Begriff „bei der Nutzung des öffentlichen … Personenverkehrs“ werde jegliches Nutzen und damit jeglicher Aufenthalt in den namentlich aufgeführten Fahrzeugen des öffentlichen Personenverkehrs erfasst. Es komme nach dem maßgeblichen Willen des Verordnungsgebers gerade nicht darauf an, welchen Abstand die in der Bahn befindlichen Personen zueinander haben. Vielmehr werde für jegliche Nutzung bzw. jeglichen Aufenthalt in den namentlich aufgeführten Fahrzeugen des öffentlichen Personenverkehrs das durchgängige Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung angeordnet. § 2 (Allgemeine Abstandregeln) der Corona-VO beziehe sich auf den gesamten öffentlichen Raum, also insbesondere auch auf den Aufenthalt im Freien, und wird in Bezug auf die in § 3 aufgezählten geschlossenen Räume – bei denen nach wissenschaftlichen Erkenntnissen die Ansteckungsgefahr signifikant höher liegt – durch die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, welche nach dem klaren Wortlaut der Norm keine Einschränkung durch einen Mindestabstand erfährt, verschärft. Der Verordnungsgeber habe für die Maskenpflicht im öffentlichen Personenverkehr keine Ausnahme bei Einhaltung eines Mindestabstands von über 1,5 Metern normiert.

Der Verordnungsgeber habe angesichts dieser tatsächlichen Gefährdungslage in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise in § 3 Corona-VO das permanente Tragen von Mund-Nasen-Bedeckung (zukünftig MNB) für Situationen in geschlossenen Räumen vorgesehen, in denen engere und längere Kontakte zu anderen Menschen unvermeidbar sind, wie beim Einkaufen, in Arbeits- und Betriebsstätten, bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel einschließlich der dazugehörenden Wartebereiche sowie in Praxen humanmedizinischer Berufe und Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes. In diesen Räumen, insbesondere bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, herrsche im Übrigen ein dynamisches Geschehen in beengten Verhältnissen (wird ausgeführt). Das in § 3 Abs. 1 Corona-VO geregelte grundsätzliche Gebot zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen in bestimmten öffentlichen Bereichen stehe mit Verfassungsrecht in Einklang und genüge insbesondere im hier verfahrensgegenständlichen Zeitpunkt auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Es bestünden vorliegend – auch wenn die Eignung einer MNB zur Verhütung einer Ansteckung mit dem Coronavirus durchaus fachlich umstritten gewesen sein mag – keine Anhaltspunkte, die die Wahl dieses Mittels zur Zweckerreichung durch den Verordnungsgeber fehlerhaft oder unvertretbar erscheinen lassen. Dem stehe auch nicht entgegen, dass nunmehr für bestimmte Bereiche das Tragen von medizinischen oder FFP2-Masken vorgeschrieben ist, die einen besseren Schutz für den Träger bieten als nichtmedizinische (Alltags-)Masken, da auch Alltagsmasken zumindest einen gewissen Schutz dahingehend darstellen, dass Dritte vor vom Maskenträger beim Sprechen o.Ä. ausgestoßenen Aerosolen geschützt werden. Das Gebot des Tragens einer sogenannten Alltagsmaske sei demnach zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet gewesen und auch erforderlich, da nicht erkennbar sei, dass andere, weniger einschneidende Maßnahmen zur Verfügung standen, um im unvermeidlichen Bereich naher Kontakte die Gefahr einer Infektion zu reduzieren. Die Regelungen zur Verwendung einer MNB seien zudem angemessen. In Abwägung der Schwere des Eingriffs in die allgemeine Handlungsfreiheit und des Gewichts der den Eingriff rechtfertigenden Gründe stünden die Maßnahmen nicht außer Verhältnis zum verfolgten Zweck. Den Rechtsgütern Leben und körperliche Unversehrtheit, denen nach der verfassungsrechtlichen Ordnung ein Höchstwert bzw. besonderes Gewicht zukommt, sei gegenüber der nicht schrankenlos gewährleisteten allgemeinen Handlungsfreiheit bereits ein höherer Rang einzuräumen. Es handele sich um Eingriffe von vergleichsweise geringer Intensität nur für kurze Zeiträume. Auch die entsprechenden Bußgeldtatbestände, durch die Verstöße gegen die in der Verordnung vorgeschriebenen Handlungsweisen geahndet werden, seien verfassungsgemäß. Soweit der Thüringische VerfGH (Beschl. 1.3.2021 – 18/20, juris) diesbezüglich (bei Verstößen gegen das Abstandsgebot) zu der abweichenden Auffassung gelangt und annimmt, dass die entsprechenden thüringischen Bußgeldvorschriften wegen Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 2 GG verfassungswidrig seien, überzeuge die Entscheidung nicht. An dieser Überzeugung des Senats vermöge auch die inzwischen erfolgte Vorlage an das BVerfG durch den Thüringer VerfGH mit Beschluss vom 19.5.2021 – 110/20, juris, nichts zu ändern. Die Begründung, dass es sich bei § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG um ein Blankettgesetz handle, aus dem sich nicht unmittelbar ergebe, welches Verhalten konkret untersagt ist, der parlamentarische Gesetzgeber aber die Festlegung konkret untersagter Verhaltensweisen nicht dem Verordnungsgesetzgeber hätte überlassen dürfen, trage den Besonderheiten der hochdynamischen tatsächlichen Entwicklung im Rahmen der Corona-Pandemie nicht Rechnung (wird ausgeführt),

III. Bedeutung für die Praxis

Das OLG Karlsruhe bewertet die landesrechtliche Maskenpflicht im öffentlichen Personenverkehr und die entsprechende Bußgeldnorm in Baden-Württemberg als verfassungsgemäß und lehnt deren Einschränkung bei Einhaltung eines Mindestabstands von über 1,5 Metern ab. Angesichts der besonderen, schwer abschätzbaren Gefährdungslage und der geringen Eingriffsintensität der Pflicht ist das plausibel begründet. Bei Verstößen gegen das Verbot gemeinsamen Aufenthalts wird hingegen teilweise gefordert, dass dabei der Mindestabstand von 1,5 Metern unterschritten sein muss (OLG Stuttgart, Beschl. v. 21.4.2021 – 4 Rb 24 Ss 7/21, juris; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.3.2021 – 2 Rb 34 Ss 1/21 und 2/21, juris; Beschl. v. 27.4.2021 – 2 Rb 34 Ss 198/21, juris; AG Reutlingen COVuR 2020, 611: a.A. das OLG Hamm, Beschl. v. 28.1.2021 – III-4 RBs 446/20 und 3/21, juris). Es bleibt abzuwarten, wie sich das BVerfG auf die Vorlage des ThürVerfGH a.a.O. zu den grundsätzlichen Fragen positionieren wird (Rechtsprechungsübersicht zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie im Straf- und Bußgeldrecht bei Deutscher, StRR 6/2021, 5).

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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