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Beweisverwertungsverbot nach Durchsuchung

1. Die gerichtliche Anordnung der Freiheitsentziehung durch eine rechtskräftige Entscheidung umfasst alle Maßnahmen gegen den Verurteilten, die zur Verwirklichung des Strafausspruchs notwendig werden, mithin auch die Durchsuchung der Wohnung zwecks Ergreifung des – der Ladung zum Strafantritt nicht folgenden – Beschuldigten auf der Grundlage eines durch die Staatsanwaltschaft erlassenen Vollstreckungshaftbefehls; einer gesonderten richterlichen Durchsuchungsanordnung bedarf es insoweit nicht.

2. Die Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft für die Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung liegt nicht vor, wenn sich vor Ort befindliche Polizeibeamte davon überzeugt hatten, dass sich niemand in der seitdem von ihnen überwachten Wohnung befand und wenn die Durchsuchung an einem Werktag zu dienstüblichen Zeiten stattfinden soll, zu denen der Ermittlungsrichter ohne Weiteres in absehbarer Zeit zu erreichen war.

3. Zur (bejahten) Annahme eines Beweisverwertungsverbotes. (Leitsätze des Verfassers)

OLG Koblenz, Beschl. v. 4.3.2021 – 1 Ws 53/21

I. Sachverhalt

Das OLG hat auf die weitere Beschwerde des Beschuldigten in einem Verfahren wegen des Vorwurfs des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln den Haftbefehl gegen den Betroffene aufgehoben. Dem Vorwurf lag das Ergebnis einer Wohnungsdurchsuchung beim Beschuldigten zugrunde. Polizeibeamte hatten die Wohnung des Beschuldigten zunächst gegen 9.52 Uhr – nach vergeblichem Klopfen und Rufen – durch die unverschlossene Wohnungstür betreten, um den Beschuldigten aufgrund eines in einem andern Verfahren bestehenden Vollstreckungshaftbefehls festzunehmen, die Wohnung nach ihm durchsucht, ihn jedoch nicht angetroffen und auf dem Couchtisch im Wohnzimmer eine weiße Substanz nebst typischen Betäubungsmittel-Utensilien sowie in einer Papiertüte auf dem Sofa eine Plastikbox mit transparentem Deckel, die eine grünliche Substanz beinhaltete, vorgefunden. Der daraufhin gegen 10 Uhr von den Beamten zwecks (weiterer) Durchsuchung der Wohnung kontaktierte Bereitschaftsstaatsanwalt vertrat die Auffassung, der Vollstreckungshaftbefehl stelle eine hinreichende Grundlage für eine Durchsuchung der Wohnung dar, zumal etwa durch das Auffinden von Unterlagen eventuell auch Rückschlüsse auf den aktuellen Aufenthaltsort des Beschuldigten möglich seien. Rein vorsorglich – da er nicht ausschließen könne, dass die Rechtsfrage streitig sei – würde er dennoch – nachdem er den Dezernenten der Betäubungsmittelabteilung nicht erreicht hatte – versuchen, die Ermittlungsrichterin zu kontaktieren, damit sie Bescheid wisse und „notfalls (deklaratorisch)“ die Durchsuchung legitimiere. Er traf sodann die Ermittlungsrichterin sowie deren Vertreterin nicht in ihren Büros an, die Mitarbeiterin der Geschäftsstelle befand sich in einem Telefonat und die Mitarbeiterin einer weiteren Geschäftsstelle teilte ihm mit, dass sich die Ermittlungsrichterin grundsätzlich im Hause befinde, die Vertreterin nicht. Der Staatsanwalt schilderte nunmehr einer weiteren Richterin kurz den Sachverhalt, die die Vermutung äußerte, der zweite Vertreter sei wohl der dienstjüngste Richter, ohne angeben zu können, wer dies sei. Daraufhin teilte der Staatsanwalt den Polizeibeamten gegen 10.30 Uhr mit, er habe die Ermittlungsrichterin und ihre Vertreterin nicht erreichen können, sehe die Voraussetzungen für eine weitere Durchsuchung als gegeben und „trage insoweit die Verantwortung“. Aufgrund dieser – von den Polizeibeamten als solche verstandenen – Durchsuchungsanordnung erfolgte die Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten, im Rahmen derer insbesondere größere Mengen an Betäubungsmitteln, ein Baseballschläger, Feinwaagen, Verpackungsmaterial und ein Handy aufgefunden und sichergestellt wurden.

Der Verwertung dieser Beweismittel hat der Beschuldigte widersprochen. Das AG hat den Haftbefehl gegen den Beschuldigten dann aufgehoben, da die bei der Durchsuchung aufgefundenen Beweismittel einem Beweisverwertungsverbot unterlägen. Das LG hat ihn dann neu erlassen. Das OLG hat ihn dann wieder aufgehoben.

II. Entscheidung

Das OLG sieht die erste Durchsuchung als rechtmäßig an. Zwar stelle der durch die Staatsanwaltschaft gem. § 457 Abs. 2 StPO erlassene Vollstreckungshaftbefehl für sich genommen keine hinreichende Ermächtigung hierfür dar. Jedoch umfasse die gerichtliche Anordnung der Freiheitsentziehung durch eine rechtskräftige Entscheidung alle Maßnahmen gegen den Verurteilten, die zur Verwirklichung des Strafausspruchs notwendig werden, mithin auch die Durchsuchung der Wohnung zwecks Ergreifung des – der Ladung zum Strafantritt nicht folgenden – Beschuldigten auf der Grundlage eines durch die Staatsanwaltschaft erlassenen Vollstreckungshaftbefehls; einer gesonderten richterlichen Durchsuchungsanordnung bedarf es insoweit nicht (vgl. OLG Düsseldorf NJW 1981, 2133; OLG Frankfurt am Main NJW 1964, 785; KK-StPO/Bruns, 8. Aufl. 2019, § 105 Rn 6; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 457 Rn 11; a.A. KK-StPO/Appl, 8. Aufl. 2019, § 457 Rn 11; LR-StPO, 26. Aufl. 2010, § 457 Rn 22 ff.).

Die im Rahmen dieser ersten Durchsuchung aufgefundenen Beweismittel seien damit als Zufallsfunde gem. § 108 Abs. 1 StPO verwertbar. Der Verweis des Verteidigers auf § 108 Abs. 1 S. 3 StPO verfange nicht, da sich diese Vorschrift nur auf eine Durchsuchung der Wohnung eines Dritten zum Zwecke der Ergreifung des Beschuldigten gem. § 103 Abs. 1 S. 2 StPO bezieht.

Die sodann nach Rücksprache mit dem Staatsanwalt durchgeführte (weitere) Durchsuchung der Wohnung war demgegenüber nach Auffassung des OLG wegen Missachtung des Richtervorbehalts rechtswidrig. Die dem vorliegenden Vollstreckungshaftbefehl vorausgehende gerichtliche Entscheidung habe unter keinem denkbaren Gesichtspunkt eine Grundlage für die erfolgte Durchsuchung zum Zwecke des Auffindens von Beweismitteln hinsichtlich des neuen Tatverdachts dargestellt. Die Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft – auf die sich der Staatsanwalt infolge seiner fehlerhaften Rechtsauffassung auch gar nicht ausdrücklich berufe – habe ersichtlich nicht vorgelegen. Angesichts der vor Ort befindlichen Polizeibeamten, die sich davon überzeugt hatten, dass sich niemand in der seitdem von ihnen überwachten Wohnung befand, habe bereits keinerlei Beweismittelverlust gedroht. Hinzu komme, dass ein Ermittlungsrichter an einem Werktag zu dienstüblichen Zeiten ohne Weiteres in absehbarer Zeit zu erreichen gewesen sei. Nach den seitens des Staatsanwalts eingeholten Informationen habe sich sogar die originär zuständige Ermittlungsrichterin im Haus befunden, diese habe sich zu dem Zeitpunkt lediglich nicht in ihrem Büro aufgehalten.

Das OLG bejaht dann auch ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der bei dieser zweiten Durchsuchung aufgefundenen Beweismittel. Zwar könne in der Gesamtschau nicht von einem willkürlichen oder bewussten Verstoß ausgegangen werden, es liege jedoch ein schwerwiegender Fehler vor. Zwar sei nicht zu verkennen, dass dem Beschuldigten mit dem Vorwurf des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln ein schweres Verbrechen zur Last liegt (vgl. zur Berücksichtigung dieses Umstandes BGH NStZ 2016, 551; OLG Köln StV 2021, 14) und es sich angesichts der Fortsetzung einer zunächst – auf der Grundlage der dem Vollstreckungshaftbefehl vorausgegangenen gerichtlichen Entscheidung – zulässigen Durchsuchung um einen Verstoß minderen Gewichts handele (vgl. für eine zunächst gefahrenabwehrrechtlich zulässige Wohnungsdurchsuchung BGH NStZ 2019, 227; NStZ-RR 2019, 94, wobei aber – anders als hier – die meisten Beweismittel schon gesichtet wurden). Der Verfahrensverstoß wiege jedoch so schwer, dass trotz dieser Umstände ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen sei. Die sich aus der dienstlichen Stellungnahme des Staatsanwalts ergebende Rechtsauffassung, der Vollstreckungshaftbefehl stelle eine Grundlage für die weitere Wohnungsdurchsuchung dar, entbehre jeglicher Grundlage. Selbst wenn die Annahme noch vertretbar erscheinen könnte, die dem Haftbefehl vorangegangene Gerichtsentscheidung berechtige auch zu einer Durchsuchung zwecks Auffindens von Anhaltspunkten für den aktuellen Aufenthalt des Festzunehmenden, sei es jedenfalls fernliegend und objektiv unvertretbar, von einer Berechtigung zum Suchen nach Beweismitteln hinsichtlich eines neuen Tatverdachts – hier eines Verstoßes gegen das BtMG – auszugehen. In Anbetracht der offensichtlich fehlenden Dringlichkeit der Durchsuchung sei es auch nicht nachvollziehbar, dass der Staatsanwalt neben den vorgenommenen Erkundigungen nicht weitere naheliegende Maßnahmen ergriffen habe, um einen Ermittlungsrichter zu erreichen. Der Staatsanwalt habe noch nicht einmal einen Anrufversuch unternommen.

Auf der Grundlage hat das OLG dann einen dringenden Tatverdacht hinsichtlich der dem Beschuldigten mit dem Haftbefehl zur Last gelegten Tat verneint; es bestehe lediglich der dringende Verdacht des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln. Insoweit erweise sich eine Fortdauer der Untersuchungshaft angesichts der hierfür zu erwartenden Strafe jedoch als unverhältnismäßig.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Eine Entscheidung, die sehr schön differenziert zwischen der ersten – rechtmäßigen – Durchsuchung und der zweiten, die dann rechtswidrig war. Dazu findet das OLG übrigens sehr deutliche Worte hinsichtlich der Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft, bei der man sicherlich nicht gern lesen wird: „entbehrt jeglicher Grundlage“ oder „jedenfalls fernliegend und objektiv unvertretbar“. Wenn die OLG doch nur immer so konsequent wären.

2. Konsequent ist das OLG dann auch hinsichtlich der Annahme eines Beweisverwertungsverbotes betreffend die bei der zweiten Durchsuchung vorgefundenen Beweismittel. Auch da wird nicht – wie sonst häufig in der Rechtsprechung – die Karte „aber die Abwägungslehre“ gezogen, sondern: Der massive Verstoß gegen die Zuständigkeitsregelung in § 105 StPO (vgl. dazu Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl. 2019, Rn 1609 ff. m.w.N.) hat das Beweisverwertungsverbot zur Folge (zu den Beweisverwertungsverboten Burhoff, EV, Rn 1684 ff.).

3. Und der Verteidiger hat auch alles richtig gemacht. Er hat der Verwertung der Beweismittel – schon im Ermittlungsverfahren – widersprochen, obwohl das an sich nach der Rechtsprechung des BGH nicht erforderlich gewesen wäre (vgl. BGH StRR 8/2019, 10).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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