Beitrag

Beweisverwertungsverbot nach abgehörtem Verteidigergespräch

Anhaltspunkte für den konkreten Verdacht i.S.d. § 160a Abs. 4 S. 1 StPO dürfen nicht allein aus der in Frage stehenden Ermittlungsmaßnahme erlangt werden.

(Leitsatz des Verfassers)

LG Düsseldorf, Beschl. v. 15.2.2021 – 10 Qs 46/20

I. Sachverhalt

Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs wurde mit Beschluss des AG die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation von Rufnummern des Beschuldigten E angeordnet. Während der daraufhin erfolgten Telefonüberwachung wurden auch Gespräche des Verteidigers mit dem Beschuldigten A aufgezeichnet. Der Rechtsanwalt hatte sich mit Schreiben vom 4.8.2017 gegenüber dem Polizeipräsidium Düsseldorf als Verteidiger des A bestellt.

Mit Schreiben vom 21.2.2020 beantragte der Rechtsanwalt beim AG festzustellen, dass 1) die Art und Weise des Vollzugs der angeordneten Überwachung insoweit rechtswidrig sei, als die Aufzeichnungen der Gespräche, die der Beschuldigte E mit ihm geführt habe, nicht unverzüglich gelöscht worden seien, und dass 2) die Erkenntnisse aus diesen Gesprächen nicht verwendet werden dürfen und sämtliche Aufzeichnungen und Vermerke hierüber unverzüglich und vollständig aus der Ermittlungsakte – einschließlich sämtlicher Duplikatsakten – zu entfernen und zu vernichten seien.

Das AG Düsseldorf hat diese Anträge mit Beschluss zurückgewiesen. Dagegen wandte sich der Verteidiger mit seiner sofortigen Beschwerde, die in der Sache Erfolg hatte.

II. Entscheidung

Die anlässlich der verfahrensgegenständlichen Telefongespräche erlangten Erkenntnisse hätten gemäß § 160a Abs. 1 S. 2 u. 5 StPO nicht verwertet werden dürfen, da der Rechtsanwalt über diese als Verteidiger des Beschuldigten gemäß § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO das Zeugnis verweigern dürfe. Die Aufzeichnungen hätten daher nach § 160a Abs. 1 S. 3 u. 5 StPO unverzüglich gelöscht werden müssen.

Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 160a Abs. 4 S. 1 StPO. Der Anwendungsbereich dieser Ausnahmevorschrift sei hier nicht eröffnet. Zwar unterfalle der Rechtsanwalt als Verteidiger grundsätzlich dem Anwendungsbereich des § 160a Abs. 4 S. 1 StPO, dieser sei für Verteidiger in verfassungskonformer Weise allerdings dahingehend auszulegen, dass er nur dann in Betracht komme, wenn der Verdacht einer auch im Einzelfall schwerwiegenden Katalogtat des § 100a Abs. 2 StPO gegenüber dem Verteidiger bestehe, weil das Verteidigungsverhältnis und insbesondere die zu diesem Zwecke geführte Kommunikation gemäß § 148 Abs. 1 StPO einem besonderen Schutze unterliege (Griesbaum, in: KK-StPO, 8. Aufl., § 160a Rn 20 unter Verweis auf BGH, Urt. v. 5.11.1985 – 2 StR 279/85, BGHSt 33, 347–353). Es fehle allerdings an den Verdacht einer schwerwiegenden Katalogtat begründenden Tatsachen, denn diese dürften nicht auf Erkenntnissen beruhen, die aufgrund der konkreten Ermittlungsmaßnahme erlangt worden seien.

Soweit in der Literatur vereinzelt vertreten werde, dass die Anhaltspunkte für den konkreten Verdacht alleine aus der in Frage stehenden Ermittlungsmaßnahme erlangt werden dürften (so Griesbaum, in: KK, Rn 7), vermöge die Kammer dem nicht zu folgen. § 160a Abs. 1 S. 1 StPO ordne für Geistliche in ihrer Eigenschaft als Seelsorger, Verteidiger und Abgeordnete ein absolutes Beweiserhebungs- und verwertungsverbot an. Die Regelung in § 160a Abs. 1 u. 2 StPO bezwecke in Anlehnung an die in § 53 Abs. 1 StPO normierten Zeugnisverweigerungsrechte der Berufsgeheimnisträger den Schutz des zu diesen bestehenden Vertrauensverhältnisses. Dem einzelnen Bürger werde damit ein unantastbarer Bereich privater Lebensgestaltung zuerkannt, der der Einwirkung der öffentlichen Gewalt und damit auch strafprozessualen Ermittlungen von vornherein entzogen sei: Soweit der Gesetzgeber annehme, dass der Kontakt zwischen einem Bürger und einem Berufsgeheimnisträger typischerweise den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung berühre, gewähre er absoluten Schutz vor einer Erhebung, Verwendung oder Verwertung von Informationen (BVerfG, Beschl. v. 12.10.2011 – 2 BvR 236/08, BVerfGE 129, 208–268, Rn 247). Sei mithin in § 160a Abs. 1 S. 2 StPO ein absolutes Verwendungsverbot für alle „dennoch“ – d.h. unter Verstoß gegen das Beweiserhebungsverbot – erlangten Erkenntnisse normiert, könne dessen Folge nur sein, die gewonnenen Erkenntnisse nicht nur für ihre Verwendung als Spurenansatz, sondern auch für ihre Heranziehung zur Begründung einer Verdachtslage nicht verwenden zu dürfen (so auch Erb, in: LR-StPO, 27. Aufl., § 160a Rn 51; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 160a Rn 15; Zöller, in: Gercke/Julius/Temming/Zöller, StPO, 6. Aufl., § 160a Rn 18; Kölbel, in: MüKo-StPO, 1. Aufl., § 160a Rn 24). Es entspreche gerade nicht dem Zweck der Norm, unzulässig gewonnene Erkenntnisse gleichwohl nutzen zu dürfen.

So sei es im Hinblick auf § 148 StPO im Rahmen einer laufenden Telefonüberwachung auch grundsätzlich geboten, die Aufzeichnung eines Telefonats sofort abzubrechen, wenn sich ergebe, dass es sich um ein Mandantengespräch zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger handele. Entsprechendes sei anerkannt bei der unzulässigen Beschlagnahme von Verteidigungsunterlagen. Wenn sich dort der – für die Zulässigkeit notwendige – Verdacht (erst) aus den beschlagnahmten Schreiben selbst ergebe, könne dies die ursprünglich unzulässige Beschlagnahme nicht nachträglich zulässig machen (BGH, Urt. v. 28.6.2001 – 1 StR 198/01, Rn 33, juris m.w.N.).

Dieser Wertung stehe – so das LG – auch nicht entgegen, dass Anordnung und Durchführung der hier in Streit stehenden Maßnahme grundsätzlich und damit ursprünglich zulässig gewesen seien. Der Schutz des § 160a StPO greife in dem Moment, in dem Erkenntnisse, die dem Schutz des § 53 StPO unterlägen, gewonnen würden. Dies nehme der Maßnahme – insofern punktuell – deren Zulässigkeit mit der Folge eines absoluten Verwendungsverbots, für das dann nichts anderes gelten könne als in den Fällen von vornherein unzulässig gewonnener Erkenntnisse. Sofern es in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 16/5846, S. 37) heiße: „Auch kann sich aus einer zunächst unzulässigen Erhebung ein Verdacht gegen den Berufsgeheimnisträger ergeben, in die aufzuklärende Straftat verstrickt zu sein, so dass – unter den Voraussetzungen des Abs. 4 – die Schutzregelung des Abs. 2 nicht mehr eingreift und die gewonnenen Erkenntnisse verwertbar sind“, lasse sich nach Ansicht der Kammer auch daraus gerade nicht der Schluss ziehen, die den Verdacht begründenden Tatsachen könnten aus der Maßnahme allein gewonnen werden. Vielmehr werde dort auf die – insofern fortgeltenden – Voraussetzungen von Abs. 4, mithin auf die Notwendigkeit des Vorliegens verdachtsbegründender Tatsachen, verwiesen.

Schließlich ergebe sich auch nichts anderes aus der Entscheidung des BVerfG vom 27.6.2018 (2 BvR 1405/17). Diese verhalte sich dazu, dass § 97 StPO eine Spezialregelung für Beschlagnahmen darstelle, die § 160a Abs. 1 S. 1 StPO grundsätzlich verdränge, weshalb die Zulässigkeit von Beschlagnahmen bei Berufsgeheimnisträgern allein an § 97 StPO zu messen sei, und zwar auch dann, wenn dieser ein niedrigeres Schutzniveau vorsehe (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 27.6.2018). Die die Privilegien des Mandantenverhältnisses einschränkenden Ausführungen der Entscheidung beruhen mithin auf dem – so auch vom Bundesverfassungsgericht erkannten – niedrigeren Niveau des § 97 StPO und können damit gerade nicht per se auf § 160a StPO übertragen werden.

III. Bedeutung für die Praxis

Soweit ersichtlich, ist die Entscheidung des LG Düsseldorf die erste gerichtliche Entscheidung, die die umstrittene Frage klärt, ob sich der gegen einen Verteidiger gerichtete Tatverdacht aus der in Rede stehenden Ermittlungsmaßnahme selbst ergeben kann oder die Erkenntnisse aus anderen Beweismitteln resultieren müssen. Der ehemalige Bundesanwalt Rainer Griesbaum vertritt in KK-StPO, § 160a Rn 7, die Auffassung, dass Anhaltspunkte für den konkreten Verdacht allein aus der in Frage stehenden Ermittlungsmaßnahme erlangt werden dürfen. Dem hatte sich die StA Düsseldorf angeschlossen und damit versucht, den Schutzbereich des § 160a StPO unter Berufung auf diese Kommentarstelle zu verkürzen, indem eine Verstrickung des Verteidigers angenommen wurde.

§ 160a Abs. 4 StPO, dessen Wortlaut eine Überwachung des verstrickten Verteidigers in allen dort genannten Fällen erlaubt, ist zwar mit Rücksicht auf die Rechtsgarantie des § 148 StPO dahingehend einzuschränken, dass der Verdacht einer Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei zugunsten des Beschuldigten für einen Ausschluss des Überwachungsverbotes nicht ausreicht (vgl. BGHSt 33, 347). Wenn aber der Verteidiger aufgrund bestimmter Tatsachen selbst der Beteiligung an einer auch im Einzelfall schwerwiegenden Katalogtat des Mandanten tat- oder teilnahmeverdächtig ist, darf sein Anschluss nach § 100a StPO überwacht werden (vgl. Köhler, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 160a Rn 21 m.w.N.).

Nach Auswertung der Telefongespräche sah die StA Düsseldorf zureichende tatsächliche Anhaltspunkte, sogar in qualifiziertem Maße, dass der Verteidiger Beteiligter des gegenständlichen banden- und gewerbsmäßigen Betruges und damit einer Katalogtat i.S.d. § 100a StPO war. Konsequenz war, dass die zwischen dem Verteidiger und seinem Mandanten geführten Gespräche nicht dem geschützten Verteidigerverkehr nach § 148 StPO unterlagen und die nach § 160a Abs. 1 S. 3 StPO normierte Pflicht zur Löschung nicht bestand. Gegen den Verteidiger wurde wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs, immerhin ein Verbrechensvorwurf, ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Auch der Ermittlungsrichter beim AG Düsseldorf schloss sich dieser Argumentation der StA an und meinte, dass trotz der Pflicht zur Löschung des Gesprächs der Inhalt der Aufzeichnung für das Verfahren verwertbar bleibe, wenn sich aus dem Inhalt eines überwachten Gesprächs der Anfangsverdacht einer Tatbeteiligung an einer Katalogtat i.S.d. § 100a StPO ergebe.

Glücklicherweise hat das LG Düsseldorf auf die sofortige Beschwerde nach §§ 101 Abs. 7 S. 3, 311 Abs. 1 StPO gegen den Beschluss des AG Düsseldorf festgestellt, dass die Art und Weise des Vollzugs der mit Beschluss des AG Düsseldorf angeordneten Überwachung der dort aufgeführten Telefonnummern des Beschuldigten E insoweit rechtswidrig ist, als die Aufzeichnung der Gespräche, die der Beschuldigte A mit dem Rechtsanwalt/Verteidiger geführt hat, nicht unverzüglich gelöscht und die daraus gewonnenen Erkenntnisse verwendet worden sind. Damit hat das LG dem Vorgehen der StA Düsseldorf eine klare Absage erteilt und überzeugend unter Hinweis auf die herrschende Kommentarmeinung ausgeführt, dass § 160a StPO ein absolutes Verwendungsverbot für alle erlangten Erkenntnisse normiert. Folge dessen kann nur sein, die gewonnenen Erkenntnisse nicht nur für ihre Verwendung als Spurenansatz, sondern auch für ihre Heranziehung zur Begründung einer Verdachtslage nicht verwenden zu dürfen. Es entspricht gerade nicht dem Zweck der Norm, unzulässig gewonnene Erkenntnisse gleichwohl nutzen zu dürfen.

Erfreulich ist, dass das LG Düsseldorf eine inhaltliche Prüfungskompetenz der StA darüber, ob der privilegierte Kommunikationsvorgang und die diesen betreffenden Beweisstücke der Ermittlungsakten zu löschen sind oder ob der Löschung gegebenenfalls gewichtige Gesichtspunkte entgegenstehen, verneint. Diese Annahme, es müsse im Wege einer Gesamtschau aller Indizien, also unter Auswertung des gesamten Gesprächsinhalts, auch nach erkanntem Verteidigungsverhältnis eine inhaltliche Prüfung vorgenommen werden können, ob dem Abbruch bzw. der Löschung Gesichtspunkte entgegengehalten werden können, widerspricht dem absoluten Schutz der Verteidigerkommunikation und dem daraus resultierenden und vom Gesetzgeber als zwingend (vgl. BT-Drucks 16/5846, S. 35; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl. 2021, § 100a Rn 21) angesehenen Abbruch der Maßnahme sowie dem Verbot einer inhaltlichen Auswertung bei erkanntem Verteidigungsverhältnis.

Es ist für die Zukunft zu hoffen, dass die Strafverfolgungsbehörden bei Erkenntnis, dass es sich bei dem Gesprächsinhalt um ein strafrechtliches Mandatsverhältnis zwischen den Beteiligten handelt, die Überwachung abbrechen, um eine ungestörte Verteidigerkommunikation zu ermöglichen. Jedenfalls im vorliegenden Fall ist dies nicht erfolgt, sondern man hat einfach weitergehört und die Erkenntnisse der StA zur Prüfung vorgelegt. Eine solche Vorgehensweise ist vom LG daher zu Recht für rechtswidrig erklärt worden.

Mangels anderweitiger Anhaltspunkte für die Verstrickung des Rechtsanwalts musste die StA Düsseldorf vor dem Hintergrund der hiesigen Entscheidung das Ermittlungsverfahren gegen den Rechtsanwalt nach § 170 Abs. 2 StPO einstellen.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Michael Stephan, Dresden

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…