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Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Maßregelvollstreckungsverfahren

1. Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Vollstreckungsverfahren erfolgt für jeden Verfahrensabschnitt des Vollstreckungsverfahrens gesondert.

2. Eine dauerhafte Beiordnung für das gesamte Maßregelvollstreckungsverfahren erfolgt – anders als bei der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung – nicht.

3. Ein neuer Prüfungsabschnitt beginnt spätestens mit der Erforderlichkeit und der Auswahl eines externen Sachverständigen, mit der Folge, dass dem Untergebrachten ab diesem Zeitpunkt ein Verteidiger beizuordnen ist. (Leitsätze des Gerichts)

OLG Celle, Beschl. v. 31.7.2020 – 2 Ws 122/20

I. Sachverhalt

Der Untergebrachte ist wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Zugleich wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet. Seit der Rechtskraft des Urteils befindet sich der Untergebrachte in der Psychiatrischen Klinik L. Im Überprüfungsverfahren zur Fortdauer der Unterbringung hat der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer auf Antrag des Untergebrachten mit Beschluss vom 7.11.2019 Rechtsanwalt J aus B als Pflichtverteidigter beigeordnet. Die mündliche Anhörung des Untergebrachten erfolgte am 27.11.2019. Mit Beschluss vom selben Tage ordnete die Strafvollstreckungskammer die Fortdauer der Unterbringung an. Diese Entscheidung ist seit dem 19.12.2019 rechtskräftig.

Mit Schriftsatz vom 2.1.2020 beantragte Rechtsanwalt S aus B unter Vorlage eines mit „Vollmacht“ überschriebenen Schreibens des Untergebrachten vom 19.12.2019, diesem als Verteidiger beigeordnet zu werden. Auf den Hinweis des Vorsitzenden der Strafvollstreckungskammer, dass ein neuer Prüfungstermin erst im November 2020 anstehe, teilte Rechtsanwalt S mit, dass nach seiner Auffassung der Überprüfungszeitraum spätestens mit Rechtskraft der zuvor ergangenen Entscheidung erneut begonnen habe, und beantragte zudem die Hin- und Rückfahrt zu dem Untergebrachten in die Psychiatrische Klinik L für notwendig zu erklären. Seine Ausführungen seien jedoch nicht als Antrag auf Prüfung der Fortdauer der Maßregel zu behandeln.

Der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer hat mit Beschluss vom 1.4.2020 den Antrag des Untergebrachten auf Beiordnung von Rechtsanwalt S zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Beiordnung eines Verteidigers erfolge für jedes Prüfungsverfahren gesondert. Eine Beiordnung komme dann in Betracht, wenn bei der Strafvollstreckungskammer ein solches Verfahren anhängig sei und diese mit der Überprüfung der Fortdauer des Maßregelvollzuges befasst ist. Ein solcher neuer Prüfungsabschnitt habe hier noch nicht begonnen. Weder sei ein neuer Prüfungsantrag gestellt worden noch eine Anfechtung der ergangenen Entscheidung erfolgt.

Dagegen hat der Verteidiger „Beschwerde“ eingelegt. Diese hatte beim OLG keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Nach Auffassung des OLG liegen die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Verteidigers (derzeit) nicht vor. Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers sei auch im Vollstreckungsverfahren in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO zulässig (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 62. Aufl., § 140 Rn 33, 33a m.w.N.), wenn die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage oder die Unfähigkeit des Verurteilten, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen, dies gebieten (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 1999, 319) oder wenn die Entscheidung von besonders hohem Gewicht ist (vgl. OLG Celle StraFo 2011, 523 = StRR 2011, 406). Betreffe das Verfahren die Vollstreckung einer Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB), sei der untergebrachten Person, die keinen Verteidiger habe, nach § 463 Abs. 4 S. 8 StPO für die Überprüfung der Unterbringung, bei der nach § 463 Abs. 4 S. 2 StPO das Gutachten eines Sachverständigen eingeholt werden soll, ein Verteidiger beizuordnen.

Die Beiordnung eines Verteidigers im Vollstreckungsverfahren erfolge – anders als im Erkenntnisverfahren – nicht für das gesamte Strafvollstreckungs- oder Maßregelvollstreckungsverfahren, sondern für jeden Verfahrensabschnitt des Vollstreckungsverfahrens gesondert. Insoweit folgt das OLG der weit überwiegenden Auffassung in Literatur und Rechtsprechung (vgl. KG NStZ-RR 2002, 63; OLG Düsseldorf StraFo 2011, 371; OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2003, 252 f.; OLG München StraFo 2009, 527; OLG Zweibrücken NStZ 2010, 470 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl. 2020, § 140 Rn 33a; Willnow, in: KK-StPO, 8. Aufl., § 141 Rn 11). Die in der Rechtsprechung vereinzelt gebliebene Auffassung der OLG Stuttgart (NJW 2000, 3367) und Naumburg (Beschl. v. 27.4.2010 – 1 Ws 144/10), die Bestellung „für das Vollstreckungsverfahren“ gelte bis zu dessen Ende, überzeuge nicht. Sie widerspreche dem – gerade beim Maßregelvollzug – oft lang andauernden und wechselhaften Verlauf der Vollstreckung. Insbesondere werde sie dem berechtigten Anspruch des Verurteilten auf die Auswahl des von ihm gewünschten Verteidigers nicht gerecht. Für die dauerhafte Festlegung auf einen zunächst ausgesuchten Verteidiger bestünden angesichts der außergewöhnlichen und oft als besonders belastend empfundenen Situation der häufig über lange Zeiträume Untergebrachten keine nachvollziehbaren Gründe (vgl. OLG Zweibrücken a.a.O.). Im Übrigen führe die umfassende Beiordnung auch zu kostenrechtlichen Schwierigkeiten und Widersprüchen (vgl. OLG Frankfurt a.M., a.a.O.). Eine solche „permanente“ Beiordnung ist auch nicht durch das Urteil des EGMR vom 12.5.1992 (StV 1993, 88) geboten, denn dieses Urteil besage lediglich, dass in Verfahren, in denen es um die Fortsetzung, Aussetzung oder Beendigung der Unterbringung einer geisteskranken Person geht, auch ohne eigenen Antrag des Untergebrachten die Beiordnung eines Verteidigers erfolgen muss (vgl. auch KG a.a.O.).

Für die Richtigkeit dieser Auffassung spreche im Übrigen auch die Gesetzgebungshistorie. Der Gesetzgeber habe sich insbesondere auch im Gesetzgebungsverfahren über das „Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung“ (BGBl I 2019, S. 2128), mit dem – wenngleich auch in Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10.2016 – zahlreiche Regelungen zur notwendigen Verteidigung geändert worden seien, nicht gehalten gesehen, die seit dem 1.8.2016 geltende Regelung des § 463 Abs. 4 S. 8 StPO, wonach dem nach § 63 StGB Untergebrachten für die Überprüfung der Unterbringung, bei der nach § 463 Abs. 4 S. 2 StPO das Gutachten eines Sachverständigen eingeholt werden soll, ein Verteidiger zu bestellen ist, an die Regelung des § 463 Abs. 8 StPO anzugleichen.

Ein solcher neuer, eine Beiordnung eines Verteidigers erforderlich machender Prüfungsabschnitt habe hier noch nicht begonnen. Der neue Prüfungsabschnitt beginne spätestens mit der Erforderlichkeit und der Auswahl eines externen Sachverständigen, mit der Folge, dass dem Untergebrachten ab diesem Zeitpunkt ein Verteidiger beizuordnen ist (vgl. hierzu OLG Brandenburg, Beschl. v. 7.6.2019 – 1 Ws 83/19; OLG Celle, Beschl. v. 2.3.2020 – 2 Ws 69/20; OLG Zweibrücken a.a.O.). Die vom Verteidiger vertretene Auffassung, wonach unmittelbar nach Ende des einen Prüfungsabschnitts der nächste beginne, würde letztlich darauf hinauslaufen, dass dem Untergebrachten für die Dauer des gesamten Maßregelvollstreckungsverfahrens – wenngleich auch in Abweichung von § 463 Abs. 8 StPO durch mehrere Beiordnungsentscheidungen – ein Verteidiger beizuordnen wäre, was jedoch, wie vorstehend dargelegt, von Rechts wegen nicht geboten ist.

III. Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung entspricht der h.M. in der Frage der Beiordnung im Vollstreckungsverfahren (vgl. dazu Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl. 2019, Rn 3048 ff. m.w.N.). Das Vollstreckungsverfahren wird nicht von der Beiordnung im Erkenntnisverfahren erfasst. Die Beiordnung endet grundsätzlich mit dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens (§ 143 Abs. 1 StPO). Das bedeutet, dass der Rechtsanwalt für das Strafvollstreckungsverfahren erneut beigeordnet werden muss. Das und der daher erforderliche Antrag darf nicht übersehen werden, da anderenfalls keine gesetzlichen Gebühren von der Staatskasse gezahlt werden (§ 45 RVG). Und darüber hinaus muss in Maßregelvollzugssachen beachtet werden, dass eine dort erfolgende Beiordnung immer nur für das jeweilige Überprüfungsverfahren (§ 67e StGB) gilt. Das bedeutet, dass für jedes Überprüfungsverfahren erneut beigeordnet werden muss. Übersieht der Rechtsanwalt das, gehen ihm die gesetzlichen Gebühren nach Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG verloren.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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