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Ausdrückliche Zustimmung der Staatsanwaltschaft zu Verständigung ist erforderlich

1. Die allgemeine Begründungslast des § 23 Abs. 1 S. 2 BVerfGG verlangt von einem Beschwerdeführer im Zweifelsfall die schlüssige Darlegung, dass die einmonatige Frist des § 93 Abs. 1 S. 1 BVerfGG zur Erhebung und Begründung der Verfassungsbeschwerde eingehalten ist.

2. In Strafsachen werden Entscheidungen regelmäßig sowohl dem Verteidiger als auch dem Beschuldigten bekanntgegeben. Daher ist substantiierter Vortrag zu allen Zugangszeitpunkten – oder die Klarstellung, dass der Beschluss nur einem der Beteiligten bekanntgegeben wurde – jedenfalls dann erforderlich, wenn sich die Einhaltung der Monatsfrist nicht ohne Weiteres aus den vorgelegten Unterlagen ergibt. Die Regelung des § 37 Abs. 2 StPO findet im verfassungsgerichtlichen Verfahren keine Anwendung.

3. Die Vorgaben an die Transparenz des Verständigungsverfahrens erfordern, dass Angeklagter und Staatsanwaltschaft einem gerichtlichen Verständigungsvorschlag ausdrücklich – und nicht lediglich konkludent – zustimmen. Nur in Ausnahmefällen wird ein Urteil nicht darauf beruhen, dass das erkennende Gericht bei einer verfahrensrechtswidrig nur konkludent erklärten Zustimmung von einer wirksamen Verständigung ausgegangen ist. (Leitsätze des Gerichts)

BVerfG, Beschl. v. 29.4.2021 – 2 BvR 1543/20

I. Sachverhalt

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen seine strafrechtliche Verurteilung durch das LG und den seine Revision verwerfenden Beschluss des BGH. In dem Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer unterbreitete der Kammervorsitzende zu Beginn der Beweisaufnahme einen Verständigungsvorschlag, dem der Beschwerdeführer zustimmte. Die StA gab keine ausdrückliche Zustimmungserklärung ab. Auf Grundlage des Verständigungsvorschlags gestand der Beschwerdeführer (§ 257c Abs. 2 S. 2 StPO). Das LG legte dem Urteil die Verständigung zugrunde. Mit der Revision rügte der Beschwerdeführer, die Verständigung sei verfahrensfehlerhaft gewesen, da die StA einer Verständigung nicht ausdrücklich zugestimmt habe. Der BGH verwarf die Revision mit Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO. Er folgte damit dem Antrag des Generalbundesanwalts, der es als ausreichend erachtete, dass sich „unzweifelhaft“ eine „eindeutige (konkludente) Zustimmungserklärung“ aus dem im Hauptverhandlungsprotokoll niedergelegten Verfahrensgang ergebe. Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen

II. Entscheidung

Die Verfassungsbeschwerde sei schon unzulässig, da der Beschwerdeführer Vortrag dazu vermissen lasse, ob und wann ihm selbst die Entscheidung des BGH bekanntgegeben wurde und damit nicht ohne weitere Ermittlungen die Einhaltung der Frist des § 93 Abs. 1 S. 1 BVerfGG überprüft werden könne (näher Leitsätze 1 und 2)

Es spreche allerdings viel dafür, dass der Beschluss des BGH den verfassungsrechtlichen Vorgaben an das wirksame Zustandekommen einer Verständigung nicht gerecht geworden sei. Eine Verständigung komme gem. § 257c Abs. 3 S. 4 StPO nur wirksam zustande, wenn StA und Angeklagter einem Verständigungsvorschlag des Gerichts zustimmen. Fehlt es an den Zustimmungserklärungen und geht ein Gericht dennoch vom Zustandekommen einer Verständigung aus, beruhe das Urteil regelmäßig auf dem Verfahrensfehler, denn das Geständnis eines Angeklagten, das nach § 257c Abs. 2 S. 2 StPO Bestandteil einer jeden Verständigung sein soll, kann regelmäßig durch das rechtsfehlerhafte Verständigungsverfahren beeinflusst sein. Das auch für die StA geltende Zustimmungserfordernis sei wesentlicher Bestandteil der Verständigungsregeln, denn die Mitwirkung der StA an einer Verständigung als „Wächter des Gesetzes“ sichert die Gesetzmäßigkeit der Verständigung und damit die Verfahrensfairness (BVerfGE 133, 168, Rn 91 ff. = NJW 2013, 1058 = StRR 2013, 179 [Deutscher]). Mit dem Zustimmungserfordernis sei auch der mit der Möglichkeit der Verfahrensverkürzung durch eine Verständigung einhergehenden Gefahr einer Motivationsverschiebung bei dem erkennenden Gericht entgegengewirkt und dem mit der Zusage einer wesentlichen Strafmilderung für den Fall eines Geständnisses verbundenen Anreiz für den Angeklagten, ein (teilweise) falsches Geständnis abzulegen, Rechnung getragen. Die Vorgaben an die Transparenz des Verständigungsverfahrens erforderten, dass Angeklagter und StA (BGH NStZ-RR 2017, 87) dem Verständigungsvorschlag ausdrücklich – und nicht lediglich konkludent – zustimmen. Die Zustimmungserklärungen seien nach § 257c Abs. 3 S. 4 StPO für die Verständigung konstituierend. Daraus folge das Gebot einer ausdrücklichen Zustimmung. Ließe man eine konkludente Zustimmung ausreichen, führe das – wie hier – zu Unsicherheiten über Form und Inhalt der Erklärung. Da jede Unsicherheit über den wesentlichen Verfahrensablauf die Kontrolle des Verständigungsgeschehens jedenfalls erschwert, wenn nicht sogar verhindert, lasse sich eine nur konkludente Zustimmung mit den Transparenz- und Dokumentationspflichten der Regelungen zur strafprozessualen Verständigung nicht in Einklang bringen.

Die mit einer konkludenten Zustimmung einhergehenden Unsicherheiten über das Zustandekommen einer Verständigung ließen auch Raum für „informelle“ Absprachen und „Deals“, die wegen der mit ihnen verbundenen Gefährdung des Schuldprinzips, der darin verankerten Wahrheitserforschungspflicht und des dem Rechtsstaatsprinzip innewohnenden Gebots der Verfahrensfairness schon von Verfassungs wegen untersagt sind. Verklausulierte Zustimmungserklärungen würden die Gefahr eines – für den Angeklagten und die Öffentlichkeit nicht erkennbaren – „Schulterschlusses“ zwischen Gericht, StA und Verteidigung bergen, vor dem die Konzeption der Verständigungsregeln den von der Verständigung betroffenen Angeklagten schützen soll.

Da der BGH die Revision des Beschwerdeführers nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen hat, ohne zu den erhobenen Verfahrensrügen auszuführen, könne davon ausgegangen werden, dass sich das Revisionsgericht die Rechtsauffassung der Revisionsstaatsanwaltschaft zu eigen gemacht hat Die Ausführungen in dem Verwerfungsantrag dürften verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügen, soweit eine „eindeutige (konkludente) Zustimmungserklärung“ als ausreichend für eine wirksame Zustimmung zur Verständigung erachtet wurde. Ausdrücklich habe die StA der Verständigung nicht zugestimmt. Soweit eine konkludente Zustimmung im Raum steht, belege schon der Verweis auf den Verfahrensgang bei der Auslegung der als Zustimmungserklärung gedeuteten Erklärung zur Verfahrensabtrennung Unsicherheiten über Form und Inhalt dieser Erklärung, die die verfassungsrechtlich gebotene effektive Kontrolle des Verständigungsgeschehens jedenfalls erschwert. Auch zum Schutz des Angeklagten sei es unzulässig, den Verfahrensablauf heranzuziehen, um sonstige Prozesserklärungen der StA als Zustimmungserklärung im Sinne des § 257c Abs. 3 S. 4 StPO zu werten, wenn die Prozesserklärungen zeitlich erst nach dem im Rahmen einer Verständigung gemäß § 257c Abs. 2 S. 2 StPO abgelegten Geständnis abgegeben wurden. Das Gebot der Verfahrensfairness erfordere, dass der Angeklagte sich bei Abgabe des verständigungsbasierten Geständnisses sicher sein kann, dass ihm die strafprozessualen Regelungen zur Verständigung Schutz bieten. Erst recht dürfe er nicht bis zum nach Abschluss der Beweisaufnahme gehaltenen Schlussvortrag der StA über das Vorliegen einer Verständigung im Unklaren gelassen werden. Es gebe keinen Grundsatz, dass sich nach einer gescheiterten Verständigung die Strafe oder – vorangehend – der Strafantrag der Staatsanwaltschaft nicht im Rahmen eines Verständigungsvorschlages bewegen dürfe. Eine solche Strafzumessungsregel missachtete nicht nur das verfassungsrechtliche Gebot schuldangemessenen Strafens. Auch der hier erfolgten Erklärung der StA, sie stimme einer Verfahrensabtrennung zu, könne kein Erklärungsinhalt dahingehend entnommen werden, dass sie auch dem Verständigungsvorschlag zustimme, denn ein inhaltlicher Bezug der Verfahrensabtrennung zur vorangegangenen Verständigung sei nicht erkennbar. Ein besonderer Ausnahmefall, in dem ein Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensfehler auszuschließen ist, dürfte hier nicht vorliegen, weil der Beschwerdeführer auf die Wirksamkeit der Verständigung – insbesondere den Schutz durch § 257c Abs. 4 StPO – vertraute, als er ein Geständnis ablegte. Zudem dürfe die Bedeutung des Zustimmungserfordernisses für die Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit, die auch dem Schutz des Angeklagten und damit der Verfahrensfairness dient, nicht ausgeblendet werden.

III. Bedeutung für die Praxis

Es ist schon recht auffällig, dass sich das gewiss nicht unterbeschäftigte BVerfG eingehend in einem obiter dictum zur eventuellen Begründetheit einer als unzulässig und deshalb nicht zur Entscheidung angenommenen Verfassungsbeschwerde äußert. Das ist darauf zurückzuführen, dass es sich das BVerfG seit seiner Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 2013 (BVerfGE 133, 168) auf seine Fahne geschrieben hat, strikte verfassungsrechtliche Regeln für die Verständigung aufzustellen und deren Einhaltung in der Praxis streng zu überwachen (Übersicht der aktuellen Rechtsprechung zur Verständigung bei Deutscher, StRR 5/2021, 5), selbst wenn es im konkreten Fall nicht zu einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung kommt. Man hätte das durchaus weniger restriktiv sehen können, da das gesamte Verhalten der StA auf den Willen zur Zustimmung hindeutet und die vom BVerfG beschriebenen Gefahren bei Anerkennung einer konkludenten Zustimmung der StA eher abstrakter Natur sind, zumal sich hier nicht die StA, sondern der sich offenbar zunächst auf die wirksame Verständigung verlassende Angeklagte nunmehr auf deren Unwirksamkeit beruft. Unbeschadet dieser Gedanken hat sich die Praxis darauf einzurichten, dass die Zustimmung der StA ausdrücklich vor Abschluss der Verständigung erklärt und diese Erklärung protokolliert werden muss.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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